n-tv.de-Interview Mitleid ist das Letzte
28.11.2008, 13:59 Uhr Wolfgang Müller hat sich in seinem Leben gegen viele Widerstände durchsetzen müssen. Seit Geburt fehlt ihm der linke Unterarm. Dennoch hat er es geschafft ein semiprofessioneller Rennfahrer zu werden. Mit seinem Verein "Pro Handicap" setzt er sich für die Belange von Behinderten ein. Mit n-tv.de spricht er über den Rennsport auf dem Nürburgring, die Akzeptanz von Behinderten in unserer Gesellschaft und seinen lebenslangen Kampf.
n-tv.de: Wie ist es auf dem Nürburgring am Start zu stehen?
Bei den Fahrern ist das immer eine Mischung zwischen Anspannung, Freude und Leid. Anspannung wegen dem Adrenalin, Leid wegen der intensiven Vorbreitung und die Freude ist da, aber noch gedämpft. In der ersten Kurve kann immer was passieren. Deshalb muss man sich immer ein bisschen zurück nehmen.
Wie war es bei Ihrem allerersten Rennen?
Ich bin die Strecke sooft im Kopf durchgegangen, dass die Kollegen mich schon für verrückt erklärt haben. Man fährt ja optimalerweise relativ emotionslos. Wenn es los geht ist alles schon vorprogrammiert.
Es geht um Automatismen also. Sind Sie vielleicht noch besser vorbereitet als andere Fahrer?
Ich denke schon. Aufgrund unserer besonderen Vorraussetzungen müssen wir Problemen, speziell in Kurven eher aus dem Wege gehen. Dabei geht es nicht nur um die Behinderung, sondern vor allem um Nachteile beim Material. Wir fahren ja 24-Stunden-Rennen. Wenn ein Rivale in einer Kurve eine bessere Linie erwischt, sollte man auch sportlich nachgeben und nicht auf des Messers Schneide fahren. Man braucht eine Mischung aus Intelligenz und Aggressivität. Nur so ist es möglich am Ende auch vorne zu landen.
Ist das eine Parallele zu Ihrem persönlichen Lebensweg?
Mein Lebensweg bestand darin mir Dinge anzutrainieren. Manche Kollegen nennen mich auch "Maschine". Wenn ich mir etwas in den Kopf gesetzt habe, dann versuche ich die auch zu erreichen. Das musste ich mein Leben lang. Wenn ich ein Ziel vor Augen habe, dann versuche ich es auch mit allen legalen und vernünftigen Mitteln zu erreichen. Man braucht schon ein Stück Hartnäckigkeit. Die habe ich mir durch meinen Werdegang angeeignet.
Wie stark hat dieser ständige Kampf auch Deinen Charakter geprägt?
Mein Vater hat mal zu mir gesagt: Der Unterschied zwischen Erfolg und Misserfolg liegt genau bei fünf Prozent. Am Anfang habe ich nicht verstanden, was er meinte. Später habe ich begriffen. Der Erfolglose hört bei 95 Prozent einer Aufgabe auf, aber derjenige, der erfolgreich ist, packt diese fünf Prozent oder mehr noch drauf und hat dann den Erfolg. Das ist, denke ich, auch der Einsatz, den man als Behinderter bringen muss. Als Behinderter ist man gezwungen eher 110 Prozent zu geben, wo nicht Behinderte mit 80 Prozent Einsatz vielleicht durchkommen. Das versuche ich auch in meiner Eigenschaft als Ausbilder in unserem Betrieb weiterzugeben. An Behinderte und Nicht-Behinderte.
Ist unsere Gesellschaft offen für behinderte Menschen?
Die Menschen begegnen Behinderten oft mit einer Mischung aus Neugier und einer Art Mitleid. Letzteres ist aber das, was man als Behinderter als allerletztes will. Gerade zum Beispiel Rollstuhlfahrer wollen behandelt werden wie andere auch. Deshalb muss man sich mit einem Handicap immer wieder beweisen. Die Leute starren Behinderte erst mal an. Dann muss er sich beweisen. Gelingt das, dann erntet er Respekt, gelingt es nicht, dann fällt er durch das Raster und erntet eben nur Mitleid.
Sie machen viele Info-Veranstaltungen, beispielsweise in Schulen und Kindergärten. Was bekommen Sie da an Rückmeldung und gibt es Unterschiede zwischen Behinderten und Nicht-Behinderten?
Es lässt sich schon was bewegen. Natürlich ist es schwierig, wenn man vor einer Klasse von pubertierenden15-Jährigen steht, die sich sowieso nicht für Schule interessieren. Aber wenn man zwei Wochen später mit dem Lehrer spricht, dann sagt der meistens, dass er schon Veränderungen an einzelnen Schülern bemerkt hat. Manche sind aufmerksamer geworden und haben vielleicht ein Stückweit den Ernst des Lebens erkannt. Bei Behinderten trifft man am Anfang oft aus Skepsis, aber wenn die Veranstaltung vorbei ist, dann begegnet einem ein hohes Maß an Dankbarkeit und Glücksgefühlen.
Der Verein "Pro Handicap" hat das Motto: "Geht nicht, gibt's nicht". Wie wichtig ist Dir persönlich diese Arbeit?
Sehr wichtig. Ich habe ja das Glück, dass ich, trotz meiner Behinderung, ein relativ uneingeschränktes Leben führen kann. Aber mit der Arbeit für "Pro Handicap" möchte ich ein Zeichen setzen, dass gerade für Behinderte Dinge möglich sind, die man auf den ersten Blick gar nicht für möglich gehalten hätte. Ich will Behinderte aus ihrer Ecke herausholen und zeigen, dass auch Sie schwierige Dinge erreichen können. Ich will Behinderte motivieren Dinge anzupacken und vor allen Dingen nicht aufzugeben.
Wo sehen Sie den Verein in einigen Jahren?
Es klingt vielleicht lächerlich, aber mein Vater hat mal zu mir gesagt: "Dein Ziel muss es sein so viele Mitglieder zu haben wie der ADAC". Die haben aber auch vor hundert Jahren angefangen, aber heute haben die Millionen Mitglieder und jeder kennt den Club. Das ist natürlich ein ganz großer Traum, aber man muss ja auch Visionen haben.
Wie sehen denn die Aktivitäten des Vereins aus?
Wir haben uns vorgenommen im Quartal vier bis sechs verschiedene Projekte zu machen. Das fängt an mit einem Sankt-Martins-Zug für Kinder über Besuche in Schulen bis zu Adventsbesuchen in Behindertenheimen. Am Heiligabend sind wir im Kinderheim in Duisburg. Dort sind Kinder an die gerade an einem solchen Tag nur wenige denken. Wir möchten neben dem Leuchtturmprojekt Motorsport immer wieder Zeichen in ganz anderen Bereichen setzen. Am 30. November sind wir beim Eishockey bei den Duisburger Füchsen und überraschen in der Drittelpause die anwesenden Rollstuhlfahrer mit Adventskalendern und Postern von der Mannschaft.
Noch mal zurück zum Motorsport. Wie laufen denn die Vorbereitungen für das kommende Jahr?
Das Team arbeitet auf Hochtouren an dem Auto. Auch die administrativen Dinge sind schon in der Mache. Wir haben die Hoffnung, dass wir für 2010 die Unterstützung eines namhaften Herstellers bekommen. Das wäre wohl ein Traum, aber da laufen auch schon ganz konkrete Verhandlungen. Im kommenden Jahr werden wir noch mit unserem Astra-Kombi fahren, aber für das darauffolgende Jahr könnte es klappen ein werksunterstütztes Fahrzeug zu bekommen.
Wir drücken die Daumen!
Vielen Dank.
Mit Wolfgang Müller sprach Markus Mechnich.
Quelle: ntv.de