Von der Leichtigkeit des Seins Porsche Boxster Spyder - Bitte keine Wolken
01.10.2015, 20:02 Uhr
Klappe zu: Ganz so easy wie bei anderen Porsches ist Open-Air-Feeling beim Boxster Roadster nicht zu erreichen.
(Foto: Busse/Textfabrik)
Der leichteste und stärkste Porsche Boxster fährt 290 km/h Spitze. Doch der Spyder fordert auch Geduld. Dann nämlich, wenn man das Verdeck verstauen oder montieren will. Wie Eile und Gelassenheit harmonieren, klärt der n-tv.de Praxistest.
Vor sechs Jahren brachte Porsche den ersten Boxster in einer Spyder-Version heraus. Die Kennzahlen des aktuellen Modells lauten: 3,8 Liter Hubraum, 375 PS, 420 Newtonmeter Drehmoment, von Null auf hundert in 4,5 Sekunden. Gern mal 45 Sekunden, ohne Übung auch länger, wenn man das manuelle Faltdach öffnen oder schließen will. Die Entdeckung der Langsamkeit vollzieht sich in mehreren Schritten. Galten für den Vorgänger noch die werksseitigen Warnungen, Waschstraßen zu meiden und geschlossen nicht mehr als 200 km/h zu fahren, ist heute beides erlaubt.
Ein Porsche für James Dean

Die Höcker auf dem Heckdeckel sind das unverwechselbare Merkmal des Spyders.
(Foto: Busse/Textfabrik)
Die Spätsommer-Fahrt im Spyder erinnert zwangsläufig an das tragische Ende des Schauspielers James Dean, der vor 60 Jahren mit seinem Porsche tödlich verunglückte. Die Annahme, er sei zu schnell auf die verhängnisvolle Einmündung zugefahren, wurde 1990 bei einer Rekonstruktion des Unfallhergangs widerlegt. Inzwischen gilt es als wahrscheinlich, dass er den Unfall in einem Wagen, der mit den heute üblichen Sicherheitseinrichtungen ausgestattet gewesen wäre, überlebt hätte.
Tradition und Innovation hat man bei Porsche nie als Widerspruch begriffen. Im Gegenteil: In der Zuffenhausener Sportwagenschmiede ist es ein harmonisches Miteinander. Die Modellbezeichnung "Spyder", die der 550er von 1954 trug, hat schon vor neun Jahren im Prototypen-Rennsport Furore gemacht und ziert jetzt wieder einen Boxster für zahlungswillige Kunden. Geringes Gewicht als Voraussetzung für souveräne Fahrleistungen war damals wie heute Prinzip. Nur die 550 Kilogramm, die der Erstling wog, sind heute bei einem für öffentliche Straßen zugelassenen Pkw nicht mehr realisierbar – den Sicherheitsvorschriften sei Dank.
Asketisches Ausstattungskonzept

Dies ist schon die Komfort-Version: Es gibt ein Entertainment- und Navigationssystem. Beim Puristen fehlt dieser Luxus komplett.
(Foto: Busse/Textfabrik)
Während andere Hersteller dem Thema Gewicht vor allem unter dem Aspekt der Verbrauchsersparnis Aufmerksamkeit widmen, verfolgt Porsche bei diesem Fahrzeug einen anderen Ansatz. Es geht um Dynamik und Agilität. Der Spyder, der noch fünf Pferdestärken mehr in die Waagschale wirft als der neue 911er Carrera mit seinem Dreiliter-Turbomotor, wiegt nach DIN nur 1315 Kilogramm. Um diesen Wert zu erreichen, vermarktet der Hersteller den Zweisitzer mit einem asketischen Ausstattungskonzept: Kein Radio, Keine Klimaanlage, kein Navigationsgerät, keine Gimmicks.
Natürlich kann man all dies gegen Aufpreis nachbestellen, aber dann ist der Spyder eben nur noch bedingt die puristische Fahrmaschine, als der er annonciert wurde. Verzicht und Vergnügen fangen nicht zufällig mit der gleichen Silbe an, Verklärung aber auch. Jedes Gramm zählt beim großen Abspecken: Selbst die Innengriffe der Türen werden weggelassen und durch einfache Zugschlaufen ersetzt.
Rückbesinnung auf das Ursprüngliche

Wenig Gewicht und reichlich Leistung: So definiert Porsche seinen puristischen Roadster.
(Foto: Busse/Textfabrik)
Laut Projektleiter Stefan Weckbach stellt der Boxster Spyder "die Rückbesinnung auf den Ursprung des Roadsters" dar. Wer mit diesen Ursprüngen das heftige Kurvenräubern in einem offenen Zweisitzer assoziiert, liegt gewiss nicht falsch. Aber zu den Wurzeln des Freiluft-Fahrens gehört auch, dass Wolkenechos auf dem Regenradar nicht vorgesehen sind. Elektrisch bewegte Verdeck-Konstruktionen haben sommerlichen Gewitter-Schauern über die Jahrzehnte den Schrecken genommen. Sie schließen heute zum Teil in weniger als zwölf Sekunden. Dagegen war von den Piloten im Roadster-Altertum noch ehrliche Handarbeit gefordert. Und die braucht der Spyder-Pilot von heute auch.
Die Taste mit dem Verdecksymbol in der Mittelkonsole könnte falsche Erwartungen wecken. Sie wirkt lediglich auf den Sicherungshaken am Rahmen der Windschutzscheibe und öffnet den mit zwei sehr kleidsamen Höckern versehenen hinteren Karosseriedeckel. Dann geht’s ans Eingemachte. Aussteigen, mit kräftigem Druck auf die unter Segeltuch verborgenen Entriegelungstasten die beiden Verdeckfinnen lösen, die Sicherungsdornen in die dafür vorgesehenen Öffnungen des Scheibenrahmen stecken, Verdeck vorsichtig nach hinten klappen und den Verschluss des Heckdeckels einrasten lassen. Jetzt nur noch die beiden Plastikflügel über der versenkten Dachhalterung schließen – schon fertig!
Freude am gepflegten Krawall
Ist man zu zweit, dauert die Erledigung dieser Schritte eine Dreiviertelminute. Allein dauert es länger, weil man mehrfach um das Auto herum laufen muss. Und wer diese Phase der Entschleunigung nicht genießt, ist selber schuld. Mit jedem Handgriff, der zum Verstauen der Textilkappe nötig ist, baut sich Spannung auf – spannende Vorfreude auf ein unvergleichliches Fahrerlebnis. Das feinfühlige Gaspedal, die harte Kupplung, die sensibel dosierbare Bremse, die unmittelbare Lenkung – alles greift ineinander wie die Zahnräder eines Schweizer Uhrwerks. Die Tieferlegung bringt kürzere Federn mit sich, und die daraus resultierende Härte wirkt absolut authentisch.
Weil das Porsche-Doppelkupplungsgetriebe mehr wiegt als die Handschaltung, ist der Spyder nur manueller Schaltbox zu haben. Die Kupplung erfordert einen Kraftaufwand, auf den man im Stau gerne verzichten würde, dafür rasten die Gänge beim Beschleunigen so knackig und trocken ein, dass es eine Pracht ist. Die serienmäßige Sportabgasanlage orchestriert diesen Vorgang perfekt. Für Freude des gepflegten Krawalls ist sie schaltbar und röhrt dann alle hundert Umdrehungen in frecheren Oktaven.
Die künstlich aktivierten, aber authentisch klingenden Schnalzer beim Runterschalten versetzen Fahrer oder Fahrerin in die akustische Welt der Rundstrecke. Niedrigerer Schwerpunkt als beim Serien-Boxster, gestrafftes und um 20 Millimeter abgesenktes Fahrwerk sowie die mechanische Hinterachs-Quersperre sorgen für eine Kurven-Performance, die ihres Gleichen sucht.
Dass unter dem Einfluss dieser Sinnenfreuden der Tankstopp mitunter etwas früher als geplant eingelegt werden muss, ist entschuldbar. Vielleicht liegt es ja auch nur daran, dass der Spyder nicht so viel Kraftsoff mitführt, wie seine Baureihen-Brüder. Das Limit sind 54 Liter, der kleinere Tank spart sieben Kilogramm Gewicht gegenüber den anderen Modellen ein. Das Ergebnis von 11,4 Litern/100 km Testverbrauch kann nicht verschleiern, dass das Spaßpotenzial des Leichtbau-Roadsters häufig ausgeschöpft wurde.
Fazit: Rund 80.000 Euro kostet ein Boxster Spyder ohne Extras. Das sind rund 9000 Euro mehr als ein Boxster S kostet. Gut angelegtes Geld? Eindeutig ja. Porsche-Kunden müssen sich ihre Pisten-Spielzeuge gewöhnlich nicht vom Munde absparen. Wer will und kann, soll sich gern so ein giftiges, unpraktisches, kleines Auto – in dem man auch noch unverhofft nass werden kann – vor die Garage stellen. Von der Vergnügungssteuer ist man in jedem Fall befreit.
DATENBLATT | Porsche Boxster Spyder |
Abmessungen (Länge/Breite/Höhe) | 4,41/ 1,80/ 1,26 m |
Radstand | 2,48 m |
Leergewicht (DIN) | 1315 kg |
Sitzplätze | 2 |
Ladevolumen V/h | 150 /130 Liter |
Motor | 6-Zylinder Boxer-Mittelmotor mit 3800 ccm Hubraum |
Getriebe | 6-Gang manuell |
Leistung | 276 kW / 375 PS bei 6700 U/min |
Kraftstoffart | Super plus |
Antrieb | Hinterradantrieb |
Höchstgeschwindigkeit | 290 km/h |
Tankvolumen | 54 Liter |
max. Drehmoment | 420 Nm bei 4700 - 6000 U/min |
Beschleunigung 0-100 km/h | 4,5 Sekunden |
Normverbrauch / (städtisch, außerstädtisch, kombiniert) | 14,2 / 7,5 / 9,9 l/100 km |
Testverbrauch | 11,4 l |
Effizienzklasse | D/ EU6 |
Grundpreis | 79.945, 00 Euro |
Preis des Testwagens | 92.106, 80 Euro |
Quelle: ntv.de