Zur Eskalation verdammt Das Dschungelcamp 2012
11.01.2012, 13:35 Uhr
Willkommen aus Tralien!
Vorfreude, Vorekel, Vorkasse, Vorhang auf für die sechste Staffel von RTLs "Ich bin ein Star, holt mich hier raus!" Die lustvolle Begegnungsstätte zwischen Unterschichts-TV und Meinungsführerfernsehen. Sarah Knappiks letztjährige Ausfälle, die entfremdete Liebe von Jay Khan und Indira garantieren dem Hier und Jetzt Instant-Aufmerksamkeit - doch es wird kalt in ihrem Schatten. Und was hat Christian Wulff eigentlich mit der ganzen Sache zu tun?
"Der Arzt kommt gleich!" - nur ein Claim, den die letzte Auflage des Dschungelcamps der kontemporären Popkultur geschenkt hat. Gemeint hat Indira Weis damit vor fast genau einem Jahr ihre Gegenspielerin Sarah Knappik - und sprach darüber hinaus mitunter fast neun Millionen Zuschauern aus den, naja, Herzen.
Die 2011er-Staffel geriet zum monolithischen Glanzlicht der Serie, verschränkte sie doch ohne jeglichen Reibungsverlust Trash mit dem doppelten Boden einer hochdiskutablen Gesellschaftsanalyse. Der australische Urwald als Erlmeyerkolben der Zivilgesellschaft - ohne eben den störenden Faktor Zivilisation.
Das ferne Treiben findet dabei für den Zuschauer eine sehr nahe Entsprechung im Dschungel der eigenen Netzwerke. Nicht nur Boulevardzeitungen hängen sich an den Hype, auch der Blogger oder gemeine Status-Updater bei Facebook fühlt sich angesprochen von dem Kommentierungs-Imperativ, der von der Sendung ausgeht, zudem sind selbst die Feuilletons der großen (Netz)Medien dem Kult erlegen. Eine Glosse zu Matthieu Carrières Kniefall ("Bitte geh! Verlass das Camp!") in Kontext mit Willy Brandt in Polen gebracht, verspricht weit mehr Klicks als das Interview mit dem neuen Intendanten des Berliner Schauspielhauses.
Der Hoden essende Parzival
Der Eklat zwischen den Protagonisten des letzten Jahres funktionierte als hämische Daily Talkshow wie auch als hochkulturell lesbare Heldenreise des Peer Kusmagk als Hoden essender Parzival.
Ja, richtig gelesen: Barbesitzer Kusmagk als Wolfram von Eschenbachs Parzival aus dem 13. Jahrhundert - der seinerzeit durch seine Mannwerdung irrte, um letztlich und konfliktreich aber doch den heiligen Gral zu erlangen. Auf solche und ähnlich konstruierte wie mitunter auch inspirierende Deutungskapriolen der Marke Feuilleton wird man sich wieder genauso einstellen können wie auf simples story-basiertes Mitfiebern, vorgegeben durch die angebotene RTL-Dramaturgie. Beides besitzt seinen Reiz und seine Fans.
Australien Open

Tennis? Das war gestern.
(Foto: picture-alliance / dpa)
Eines steht durch diese universelle Lesbarkeit des Spektakels daher längst nicht mehr in Frage: Es hat ein Paradigmenwechsel stattgefunden: Fieberten die Zuschauer der 80er und 90er Anfang jeden Jahres noch mit den Leistungen bei den Australien Open im Tennis mit, erfreut man sich heute am Leiden und Selbstüberwinden der Stars aus jenen Tagen. Immerhin - der Kontinent bleibt gleich.
Dennoch kann nicht als gesetzt betrachtet werden, dass auch 2012 (Einzug am Freitag den 13. Januar auf RTL) wieder eine derartige Erfolgsgeschichte erzählt werden wird. Die Erwartungen haben sich zumindest derart aufgetürmt, dass eine gewisse Ernüchterung unausweichlich scheint.
Das moderne Drama
Auf dem Papier muss man allerdings konstatieren, die längst kursierende Teilnehmerliste besitzt durchaus Sprengkraft.
Der schwarze Magier mit Rabenfetisch (Vincent Raven), der verstoßene Sohn (von Uwe Ochsenknecht), der gefallene Engel (Radost Bokel), die lesbische Mutter (Ramona Leiß), der Einfältige (Ailton) etc.
Wenn sich das nicht liest wie das Personenregister eines modernen Dramas ... Entscheidend wird wie bei jedem guten Stück wieder die Inszenierung sein - und damit kennen sich das RTL-Unterhaltungs-Empire und vor allem das konsensfähige Dreamteam Bach und Zietlow nachweislich aus.
Und Christian Wulff?
Nur einen sollte man bis zum Start der Sendung von der Liste gestrichen haben: Christian "Stahlgewitter" Wulff. Denn wenn die allgemeine begeisterte Empörung über dessen Taumeln durch den Mediendschungel sich auf den Social-Media-Seiten ab Freitag vermischt mit begeisterter Empörung über Brigitte Nielsen im echten Dschungel, müsste manch Kommentator und Privat-Poster feststellen, dass sich seine Entrüstung zu beidem völlig identisch anhört. Kakerlaken am Lagerfeuer, Lobbyisten in Bellevue - fällt das in Eins, sollte man wirklich anfangen, sich selbst zu hinterfragen.
Doch hey, wir alle wollen hier zwar Hässliches über die Anderen rausfinden, aber ganz sicher nicht über uns! Insofern möge der Präsident endlich alle Aufreger-Kanäle freimachen. Jetzt ist RTL dran.
Quelle: ntv.de