Unterhaltung

Anneke Kim Sarnau in Interview "Das hätte ja auch schiefgehen können"

Sie ist eine der wenigen deutschen Schauspielerinnen, die es bis nach Hollywood geschafft haben. Mit Ralph Fiennes spielte sie in "Der ewige Gärtner". Zuvor hatte sie der große Theatermacher Claus Peymann höchstpersönlich von der Schauspielschule in Stuttgart wegengagiert. Den Grimme-Preis bekam sie gleich zwei Mal hintereinander, dazu den Deutschen und den Bayerischen Fernsehpreis. Jetzt spielt Anneke Kim Sarnau in der RTL-Produktion "Prager Botschaft" eine Ostdeutsche, die im Sommer 1989 über die bundesdeutsche Botschaft in Prag in den Westen gelangen will.

Was war das Besondere an dieser Rolle für Sie?

Das war schon verrückt, Geschichte zu spielen, die ich selbst erlebt habe. Ich weiß noch genau, wie ich damals in Elmshorn vor dem Fernseher gesessen habe: Dieser Moment, als Genscher auf den Balkon kommt und den Leuten verkündet, dass sie ausreisen dürfen. Da habe ich damals geheult und heule heute immer noch. Ich hatte echten Respekt vor der Rolle, weil ich nicht wusste, ob das jetzt in Ordnung ist, denn ich komme ja nicht aus Ostdeutschland.

Im Film spielen viele Emotionen eine Rolle: Da ist ein Paar auf Hochzeitsreise, der Mann hat den Fluchtplan schon fertig und überrascht seine Frau damit, der kleine Sohn ist aber bei der Oma geblieben und muss erst geholt werden, in der Botschaft trifft die Frau ihre Jugendliebe und die besten Freunde entpuppen sich als Stasi-Spitzel. War Ihnen das manchmal zu viel?

Nein, solche Situationen kennt man ja, dass man vielleicht zwischen zwei Menschen steht und das Herz weiß nicht wohin. Ich finde das auch nicht kitschig, weil es nicht kitschig erzählt ist. Dieser Stasi-Verrat, der hat für mich ein Moment des Unfassbaren, das ist so ein schwarzes Loch, der totale Vertrauensbruch. Diese Schizophrenie, diese ideologische Verblendung, die finde ich immer noch unheimlich schwierig. Das war ja auch eine ganz emotionale Zeit, voller Angst und Hoffnung und Freude. Das hätte ja auch alles unglaublich schiefgehen können.

Diese Atmosphäre haben Sie beim Drehen schon empfunden?

Ja, wir haben in Prag in der Original-Botschaft gedreht. Wir waren da in diesem nachgebauten Lager und ich habe einen Heidenrespekt und auch eine gewisse Demut bekommen. Da haben Menschen Unglaubliches in Gang gesetzt. Was für eine positive Kraft von denen ausging.

Wo liegt denn sonst die Herausforderung bei Ihrer Arbeit?

Ich suche einfach immer nach Geschichten, die mich aufrütteln oder überraschen. Nicht dieses Schema F., bei dem man von vornherein weiß, wo die Geschichte hinläuft. Jetzt habe ich glücklicherweise wieder mit Stefan Krohmer gedreht, das ist ja mein Lieblingsregisseur. Ich spiele so eine krasse Tante, nach außen völlig kontrolliert und innen ist der Teufel los, das ist spannend. Das macht mir Spaß, solche Figuren zu spielen, wo man eine eher glatte Oberfläche darstellt, und dann jagt es einem Schauer über den Rücken und man weiß vielleicht noch nicht mal so richtig warum. Da falle ich dann am Ende des Tages völlig erschöpft ins Bett, weil ich mich so beherrschen musste, das liebe ich. Dafür brauche ich dann aber auch Regisseure, die einen da hin bringen, Türen aufzustoßen.

Sie haben eine ganze Weile auf Ihren Durchbruch gewartet - hatten Sie jemals das Gefühl: "Vielleicht hätte ich doch was anderes als Schauspielerin werden sollen?"

Ja, das hatte ich. Als ich nach der Zeit am Burgtheater auf Rollen gewartet habe und in Wien war. Da habe ich gekellnert und das fühlte sich alles ganz weit weg an. Und da habe ich ganz oft überlegt, was noch meine Fähigkeiten sein könnten. Dann habe ich in "Ende der Saison" bei Stefan Krohmer die Hauptrolle gespielt und wusste, das ist die Art von Filmen, die ich drehen will, so will ich arbeiten. Dann bin ich nach Deutschland gezogen und habe gedacht: "So, jetzt kann's losgehen." Und dann war wieder Flaute. Ich hatte wieder keine Angebote und kein Geld. Dann habe ich Englischunterricht gegeben und einer Freundin beim Catering geholfen. Da wusste ich, ich kann mich über Wasser halten und überleben, das war auch wichtig. Und dann war ich unterwegs und bekam einen Anruf von meiner Agentin: "Wenn Du willst, hast Du vier Drehtage." Kurz darauf kam dann die Anfrage für "Die Hoffnung stirbt zuletzt" und ab da ahnte ich, es wird irgendwie laufen.

Geben Ihnen denn die vielen Preise, die Sie bereits gewonnen haben, nicht eine gewisse Sicherheit?

Nicht wirklich, das ist erst einmal überwältigend. Aber es kam alles in einem Jahr, ich konnte das gar nicht genug genießen. Das war jedes Mal der totale Kick und ganz viel Fassungslosigkeit. Ich hab mich immer gefragt: "Womit habe ich das verdient, jetzt so beschenkt zu werden?" Ich hab' das gar nicht so richtig geschnallt. Aber seitdem ist so viel passiert in meinem Leben, ich habe mich weiterentwickelt.

Sie hatten früher Angst, als die ewige Märtyrerin besetzt zu werden, nun spielen Sie jede Menge neue Rollen.

Also unter anderem habe ich ja in "Die andere Hälfte des Glücks" eine Frau gespielt, die ein Kind entführt und dann mit dem Kind als dessen Mutter lebt. Und daran hat mich interessiert, wie kommt ein Mensch dazu, so etwas zu tun? Was muss bei dem schief gelaufen sein, dass man diese Grenze überschreitet? Also dass man mit dem Gedanken spielt, denke ich, kann passieren, aber das dann in die Tat umzusetzen, ist ein so eindeutiger Grenzübertritt von der gesellschaftlichen Norm, dass ich das unheimlich spannend finde, mich in einen solchen Charakter einzufühlen. Da muss man ja alles völlig wegdrängen, um das normal zu finden.

Das klingt nach einer schwierigen Arbeit .

Ich spiele lieber schwere Rollen als leichte. Das fasziniert mich mehr. Ich spiele auch gerne lustig, und deshalb freue ich mich, dass das mit Dr. Psycho so gut läuft. Aber wenn ich die Wahl hätte, finde ich es spannender, Abgründe von Menschen auszuloten. Das ist einfach ein Abenteuer, die dunklen Seiten auch an sich selbst zu erforschen.

Als Schauspieler gerät man da ja auch in gesellschaftliche Diskussionsprozesse hinein. Mögen Sie das?

Das finde ich super und zwiespältig zugleich. Wenn dann Schauspieler zu irgendwelchen Talkshows eingeladen werden, und so reden wie ich jetzt, und das dann mehr zählt als die Meinung von fachgebildeten Leuten, dann ist das tückisch. Das ist ja nur ein Halb- oder Bauchwissen, eine persönliche Meinung oder eine Einstellung, die da verbreitet wird. Aber für mich als Mensch ist es natürlich toll, mich auf beruflicher Ebene mit ganz vielen verschiedenen Fragen auseinanderzusetzen. Ich habe zum Beispiel einen Film zum Thema Sterbehilfe gedreht und gemerkt, dass das für meine eigene Definition war plötzlich extrem wichtig war, diesen Film zu drehen. Vor dem Film war ich der Meinung, das müsste legalisiert werden und erlaubt sein. Jetzt bin ich komplett gegen Sterbehilfe und gegen die gesetzliche Verankerung, weil ich glaube, dass die Gesellschaft, wie sie jetzt ist, nicht reif dafür ist. Wer hat denn das Recht, eine Entscheidung zu treffen, ab wann jemand nicht mehr leben soll? Solche Gesetze sind dann dehnbar.

Mit Anneke Kim Sarnau sprach Solveig Bach

Quelle: ntv.de

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