"Superstar der Subkultur" Hanna Schygulla wird 65
25.12.2008, 08:00 UhrHanna Schygulla wäre sicherlich auch eine gute Psychologin geworden: Sie wirkt ruhig, gelassen, kann zuhören und hat, wie sie sagt, "die Gabe, sich in andere hineinzufühlen". Qualitäten, die sie letztlich zu einem internationalen Filmstar machten. Doch nicht nur das. Seit mehr als 20 Jahren hat sich die 1943 im oberschlesischen Kattowitz geborene Tochter eines Holzhändlers auch einen Platz als Chansonsängerin erobert. Karrieren, die sie meist abwechselnd führt. Seit mit Fatih Akin eine Reihe junger Filmemacher auf sie zugekommen ist, widmet sich "die Schygulla", die am zweiten Weihnachtsfeiertag 65 Jahre alt wird, wieder verstärkt dem Kino. Und dies mit der noch immer verwirrend-schönen Melancholie und Zerbrechlichkeit, die ihre Filmfiguren Effi Briest, Maria Braun, Petra von Kant und Lili Marleen so einzigartig machten.
In Fatih Akin, mit dem sie vor mehr als einem Jahr "Auf der anderen Seite" drehte, hat Schygulla wieder einen Regisseur psychologisch ausgefeilte und fesselnder Menschenbilder gefunden - so wie einst in Rainer Werner Fassbinder, dessen langjährige Muse Schygulla war. Doch im Gegensatz zu Fassbinder, den sie als "Magier und Monster" bezeichnete, sei Fatih Akin ein Ja-Sager, der zeigt, wie furchtbare Dinge die Menschen zu einer neuen Lebensqualität bringen. "Fassbinder war ein brodelnder Kessel voller Widersprüche", sagte sie einmal.
Einst Muse von Fassbinder
Widersprüche trägt Akin auch in sich. Er geht tief in seine Figuren hinein. "Aber er ist zum Glück längst nicht so tragisch", erklärte die Künstlerin. Fassbinder, der 1982 im Alter von 37 Jahren - vermutlich an der gleichzeitigen Einnahme von Kokain und Schlafmitteln - starb, spielte in ihrem Leben eine wichtige Rolle, denn er war es, der sie in den 60er Jahren an der Münchner Schauspielschule entdeckte. Durch ihn kam sie zum Action-Theater und mit ihm gründete sie 1968 das Antitheater in München. Sie spielte danach in fast allen seinen Filmen die weibliche Hauptrolle und wurde zum "Superstar der Subkultur".
Auf dem Höhepunkt ihrer Karriere jedoch, den sie 1974 in Fassbinders Fontane-Verfilmung "Effi Briest" feierte, traf Schygulla eine überraschende Entscheidung: Sie zog sich aus dem Filmgeschäft vorübergehend zurück. "Ich wollte zurück ins Dunkle, weil ich zu viel Licht nie vertragen habe. Ich habe schon immer gewusst, dass es ein permanentes Leben im Scheinwerferlicht nicht geben kann. Man muss auch ein Niemand sein können. Nur so bist du fähig, dich in andere hineinzuversetzen", erklärte sie in einem Interview mit der Tageszeitung "Die Welt" vor knapp einem Jahr.
Erst Film, dann Chanson
Bereut hat sie diese Entscheidung nie, denn was danach folgte, war eine neue Karriere als Chansonsängerin. So präsentierte sie 1996 bei den "Berliner Festwochen" Gedichte von Fassbinder und Texte von Handke, Heiner Müller, Thomas Bernhard, Rimbaud und Baudelaire. Danach ging sie mit dem in Frankreich hoch gelobten Liederabend "Brecht... hier und jetzt" auf Deutschland-Tournee. Seit 2003 reist sie mit "Der Tango, Borges und ich" durch die Welt, einem Chanson- und Rezitationsprogramm, mit dem sie auch dieses Jahr wieder in Deutschland gastierte. Bei der Arbeit an ihren eigenen Abenden fühlt sie die Künstlerin wohl: "Ich habe lange vermieden, ganz verantwortlich zu sein für etwas. Jetzt mache ich beides. Ich ziehe an den Fäden und bewege mich an den Fäden, die ich ziehe."
Sabine Glaubitz, dpa
Quelle: ntv.de