"Gegen die Wand" Kino-Film als Ethno-Oper
11.06.2010, 12:42 Uhr
Der Film war ein Mega-Erfolg, Sibel Kekilli feierte darin ihren Durchbruch als ernst zu nehmende Schauspielerin und Regisseur Fatih Akin leifert seitdem einen preiswürdigen Film nach dem anderen ab. Jetzt gibt es das Drama auch als Oper.
Da steht sie auf der Bühne, Sibel, die junge Türkin. Ungläubig starrt sie auf die Hundeleine, die sie eben abgenommen hat. Endlich frei.
Endlich hat die Gängelei der Familie ein Ende. Endlich muss sie sich nicht mehr mit Partyexzessen beweisen, dass ein anderes Leben möglich wäre. Doch ihr Blick zeigt keine Freude. Seltsam stumpf steht sie da, in der zweiten Hälfte der Oper "Gegen die Wand", und schaut, als ob sie gar nicht wüsste, was sie nun anfangen soll mit all der Freiheit.
Dieser intime Augenblick zählte am Donnerstag zu den eindrücklichsten Momenten der Premiere der Jungen Oper im Stuttgarter Kammertheater. Es blieb nicht das einzig Geglückte an der Bühnenfassung von Fatih Akins erfolgreichem Kinodrama. Regisseur Neco Celik und Dramaturgin Barbara Tacchini inszenierten das 2006 in Bremen uraufgeführte Werk von Ludger Vollmer in Stuttgart neu. Sie verwandelten den intensiven Film in eine anspielungsreiche deutsch-türkische Sprech-, Spiel- und Tanzoper.
Unerfüllte Liebe
Für Begeisterung beim Publikum sorgten vor allem Tereza Chynavová und Ipca Ramanovic in den Rollen des Liebespaares Sibel und Cahit. Sie treffen sich nach gescheiterten Selbstmordversuchen in einer Klinik. Sibel kommt auf die Idee, mit dem lebensmüden Cahit eine Scheinehe einzugehen - bevor schließlich doch eine unerfüllte Liebe daraus entsteht.
Besonders in der intensiven zweiten Hälfte wird der Zuschauer bei Chynavová an das preisgekrönte Schauspiel der damaligen Newcomerin Sibel Kekilli erinnert. Ramanovic dagegen grimassiert und zuckt in manchen Szenen zu stark und ist vielleicht eine Nuance zu jung, um es mit der rauen Verbrauchtheit des Filmvorbilds Birol Ünel aufzunehmen.
Dennoch zeigt auch die Oper all die Gegensätze des Films. Auch sie ist intim und lebensprall zugleich, auch sie wirkt eingeengt und weltgewandt in einem, auch sie ist mal intensiv-reduziert, mal anspielungsreich-ausufernd. Grund sind die vielen klugen Regieeinfälle, auch die beiden Tänzer Sebastian Petrascu (mit kraftvollen Breakdance-Einlagen) und Sonia Santiago. Nur an wenigen Stellen wirken schwarze Engelsflügel, umherspringende Hasen und schwere Taue zu offensichtlich metaphorisch.
Suche nach eigenen Deutungen
Meistens jedoch fühlt sich der Zuschauer angenehm ernstgenommen, kann er doch in vielen langen Instrumentalpassagen in sich selbst hineinhorchen und nach eigenen Deutungen spüren. Auch die Bühne von Rifail Ajdarpasic begünstigt das. Sie wird vielseitig interpretiert, ist mit weißer Fliesenwand mal Clubdisco, mal Krankenhaus. Starken Applaus gab es schließlich auch für die schauspielerische und gesangliche Leistung des Projektchores der Jungen Oper Stuttgart (Einstudierung Thomas Schäfer) und das Projekt-Orchester unter der musikalischen Leitung von Bernhard Epstein.
Weitere Vorstellungen am 14.06., 15.06., 23.06., 29.06., 01.07., 05.07., 06.07., jeweils um 18 Uhr, sowie am 17.06., 19.06., 24.06., 26.06., 02.07., 09.07. und 10.07., jeweils um 19 Uhr. - Das Stück zählt zur Reihe "Junge Oper" und wird empfohlen für Zuschauer ab 14 Jahren.
Quelle: ntv.de, soe/dpa