Mode mit Höhepunkt Von Pornos, Schals und "Vorher/Nachher"
19.01.2012, 17:25 Uhr
(Foto: dpa)
Die FashionWeek in Berlin lässt keinen kalt, man kommt auch nicht mehr an ihr vorbei: Überall Plakate, überdurchschnittlich viele junge oder zumindest jung wirkende Menschen bevölkern die Mitte der Stadt, und das Nachtleben ist aus seinem After-Christmas-Detox-Beauty-Sleep wieder erwacht.
Hilfe, ich bin auf einer Pelzmodenschau gelandet! Ist das alles echt? Oder ist das nur verdammt gut nachgemacht? Wobei wir unser Stichwort hätten: Verdammt gut ist hier vieles, aber eben auch recht viel nachgemacht. Oder imitiert. Oder eben Retro oder Vintage, wie es so schön heißt. Und damit ist jetzt natürlich nicht die Mode gemeint, sondern der gemeine Besucher der FashionWeek. Sorry, Schalhersteller, sorry, Oberlippen-Botox-Spritzer, und auch der Optiker-Gilde ein tiefempfundenes "Sorry" – aber eines fällt doch ganz arg auf: Dass jeder Mann, wirklich JEDER, einen Schal trägt. Auch drinnen. Vielleicht sogar gerade drinnen. Der Indoor-Schal zeichnet sich dadurch aus, dass er an die Stelle der Krawatte gerückt ist und gern zerknittert sein darf. Ebenso wie der Träger, denn das Alter des Schal- oder Tuchträgers geht von null bis ins Unendliche. Würde Jopi noch leben, hier würde er auch einen Schal tragen – aber das tat er ja eh immer schon, wenn er ins "Maxim's" ging.
Wer ganz und gar nicht zerknittert sein darf, ist die Dame an der Seite des Schalträgers. Auch hier der universelle Trend von "just dem Schulmädchen-Alter entsprungen" bis zur hippen Seniorin: ne dicke Lippe. Also nicht riskieren, sondern tragen, und zwar oben. Also Oberlippe. Sie kennen diese Münder: Von der Seite an einen Entenschnabel erinnernd, soll er Assoziationen zu sinnlich aufgeworfenen Lippen à la Brigitte Bardot herstellen. Was sich beim Betrachter doch viel eher einstellt, ist die Frage: Wie küssen sich solche Lippen eigentlich? Ist es eher so, als würde man auf einem halbtoten Regenwurm rumlutschen, oder doch wie Kaugummi-Kauen? Und was empfindet die Trägerin? Ach, so genau will man das dann ja doch nicht wissen.
Auf der FashionWeek lässt sich eines wirklich vorzüglich: gucken. Endlich darf auch frau mal ungestraft ihren Blick an einer anderen Frau geruhsam auf- und wieder abgleiten lassen, ohne stutenbissig zu wirken, auf und wieder ab, immer wieder, herrlich. Hier sind wirklich ein paar schöne Models unterwegs. Sie sind so schön, dass man sich fragt, wie die Klamotten, die sie tragen, an der deutschen, modisch durchaus interessierten, aber doch eher im Größe-36-bis-42-Bereich angesiedelten Durchschnittsfrau, aussehen würde. Transparenz zum Beispiel: Ganz schön, um den Liebsten am Abend an der Haustür zu empfangen, aber da das Teil dann ja eh nicht lange an bleibt – wozu 485 Euro hinlegen?
Oder auch die Variante: Blazer mit nix drunter. Der Hollywoodstar greift zu doppelseitigem Klebeband. Der letzte Selbstversuch mit Teppichkleber bleibt jedoch schmerzhaft in Erinnerung, und immer den BH rausblinken lassen zerstört den Trend "nichts drunter" definitiv. Kurze Hose auch im Winter - sehr oft gesichtet bei der FashionWeek-Besucherin. Wie macht sie das bloß? Fährt sie nicht mit den Öffentlichen? Natürlich nicht, dafür gibt's ja den Limousinen-Service.
Die Klamotten, die von den überwiegend sehr jungen Models präsentiert werden, werden höchstwahrscheinlich von Frauen gekauft, die in einem eher mütterlich, wenn nicht gar großmütterlich angesiedelten Rahmen zu finden sein dürften. Denn welche 16- bis 21-Jährige kann sich schon Kaviar Gauche, Escada Sport oder Hugo Boss leisten? Schon klar, hier geht es um Inspiration, und die gibt's hinterher dann auch bei Zara und H&M, aber trotzdem.
Darf's ein bisschen oranger sein?
Wir wissen inzwischen, dass auch die meisten Nachwuchsdesigner sich ihre eigenen Klamotten nicht leisten können. Natürlich werden Wettbewerbe ausgeschrieben, Stipendien und Preise vergeben, aber da ein Designer immer erst in Vorleistung treten muss, braucht er Geld, bevor er auch nur eine Nähmaschine, die er dann auch besser von einer professionellen Näherin betreuen lassen sollte, kauft.
Lustig sieht das alles aus an den ganzen hippen Locations, man lässt sich die Laune nicht verderben, es ist ein bisschen wie im Showbusiness. Schwarze Brille auf, Mütze auf den Kopf und ordentlich Second Hand am Körper und schon kann man in Berlin hip sein. Reicht das aber? Womit wir wieder beim schönen Schein wären. Überall gibt’s Alkohol, da kann man sich den einen oder anderen Umstand schon mal schöntrinken. Muss ja jeder selbst entscheiden, sind ja alle – fast alle – erwachsen. An den Gläsern klebt dann übrigens oft der zu orange Lippenstift, den viele Frauen aufgetragen habe, weil in der letzten Vogue stand, dass der in sei. Sie haben nur nicht den Text dazu gelesen, der da sagt, die Farbe sei was für’s Frühjahr! Hallo? Spiegel zu Hause? Winterblass und oranger Lippenstift = absolutes No Go! Wie immer muss man sagen, dass 16-jährige Models mit perfektem Pfirsichteint den zu jeder Jahres- oder Tages- und Nachtzeit tragen können – aber irgendwann eben nicht mehr. Haben all diese Frauen denn nie die gute, alte "Brigitte"-Rubrik "Vorher – Nachher" gelesen? Da gibt es lebensnahe Tipps, und das ist es, was die Frau von heute braucht.
Wohin?
Jetzt mal ehrlich, so wie in Mailand oder Paris oder New York wird Berlin nie sein, und das ist doch auch okay. Deswegen wäre es auch schön, andere Schwerpunkte zu setzen. Was teilweise ja auch schon passiert, denn in Berlin geht es auch um Öko-Mode, Nachhaltigkeit und Streetwear.
Aus der modischen Tristesse – denn wie sollte man die Uniform "Jeanshose + Jeanshemd" außerhalb von Texas oder einer Tabledance-Bar nennen – kann man(n) ausbrechen: Bei einer Schau war das ein halbnackter, gut gebauter Mann (die Damen im Publikum juchzten verzückt auf), endlich floss wieder Blut in den Adern, und zwar schneller, oder man stürzt sich gleich in die Nacht. Viele Bars bieten sich da an – und wenn man nun zum Beispiel im tatsächlich unvermeidbaren Grill Royal oder Borchardt war oder bei "Tom’s Fritten" in der Auguststraße, und noch Lust auf authentisches Nachtleben hat, dann könnte man in der erst vor Kurzem eröffneten "Bravo-Bar" in der Tor-/Ecke Friedrichstraße gepflegt abstürzen. Die Eisbar auf dem Dach des Hotel de Rome ist zwar schick, aber nur bis 20 Uhr geöffnet.
Wer da dann los muss, kann ja einen Abstecher in einen Sex-Shop machen und sich "Sera el Comienzo", was so viel bedeutet wie: "Das Ende ist mein Anfang" von den Machern des Modeblogs DandyDiary besorgen. Apropos besorgen: Während die ansehnlichen Hauptdarsteller "in action" sind, werden die Marken so einiger Gegenstände eingeblendet. Das ist mal Product-Placement!
Bis zum Wochenende gibt's noch viel zu tun, bei Premium, Bread & Butter, Seek, The Gallery oder im Green Showroom gibt es Inspiration ohne Ende.
Quelle: ntv.de