Angekommen im Olymp Coldplay lebt auf
02.07.2008, 15:08 UhrUm ehrlich zu sein: Der Autor dieser Zeilen hat den Hype um die Band aus London nie ganz verstanden. Da gab’s und gibt es andere, die ebenso gut waren und sind wie Travis, Radiohead, Starsailor, Verve oder Embrace. Aber Publikumsgeschmack und Kritikergusto gehen manchmal recht verschiedene Wege. Nun haben sich die Wege vereint.
Chris Martin, Jonny Buckland, Will Champion und Guy Berryman legen mit "Viva La Vida or Death And All His Friends", so der vollständige Titel, ein Meisterwerk vor. Das Album markiert den Übergang in eine neue Sphäre, der sich durchaus mit dem der Beatles von den frühen Platten zu "Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band" vergleichen lässt. Hier werden keine Songs mehr aneinandergereiht. Die Scheibe ist stringent von der ersten bis zur letzten Sekunde. Das ist nicht zuletzt Wunderproduzent Brian Eno zu verdanken, der die Gruppe wohl auch vor einem Bruch bewahrt hat, weil ihr nichts Neues mehr einfiel.
Inspiriert oder abgeschrieben
Sicher, mit dem Neuen ist das so eine Sache im Rock and Roll. Bei Lichte besehen haben sich alle – auch alle großen Formationen – von Vorbildern inspirieren lassen, manchmal sogar ungeniert abgeschrieben. Die blutrünstige Textzeile "I’d rather see you dead little girl than to be with another man" aus der Lennon/McCartney-Komposition "Run For Your Live" beispielsweise stammt aus dem von Elvis Presley 1955 im legendären Sun Records Studio zu Memphis/Tennessee aufgenommenen Song "Baby, Let’s Play House".
So klingt denn das Stück "Yes" stellenweise auch wie der Beatles-Klassiker "I’m The Walrus". An anderen Stellen scheint ein George Harrison augenzwinkernd zu sagen: "Na, siehste?" Die Nähe zu den vier berühmtesten Liverpudlians wird auch in der Wahl des Songnamens "Violet Hill" deutlich, der in Britanniens Kapitale unweit der Abbey Road mit dem EMI-Aufnahmestudio liegt und einem der anspruchvollsten Alben der Beatles den Namen gab. Und "Strawberry Swing" erheischt förmlich eine Anerkennung wie bei der von "Strawberry Fields Forever". Der Song "Viva la vida" könnte unbesehen als Radiohead-Nummer durchgehen.
Zu Streichmusik aufgestiegen
Streicher werden so selbstverständlich eingesetzt, als wären Coldplay das Chicago Symphony Orchestra. Was für ein Sprung. Ein Genie wie Buddy Holly war Ende der 50er mit seinen Violinen in Rocksongs wie "Raining In My Heart" bei den Produzenten noch auf erbitterten Widerstand gestoßen. Auch Sänger Chris Martin und seine Mannen haben den Sprung geschafft. In den Olymp der Populärmusik. Nun müssen sich die Götter da oben einrichten und weiter Gutes tun. Was nicht immer einfach ist, wie wir von Zeus und seinem Gefolge wissen. Das Zeug dazu aber haben Coldplay.
Quelle: ntv.de