Gladiator, Berserker oder Amazone Gewalt ist eine schlechte Lösung
17.10.2010, 09:24 UhrSchon früher gab es die legendären Tanzboden- oder Wirtshausschlägereien, die männliche Dorfjugend von Dorf A gegen die männliche Dorfjugend von Dorf B, Hundefresser gegen Hosenscheißer – fein war der Ton nicht, die Verletzungen unter Umständen erheblich.
Dennoch ist das Phänomen extremer Jugendgewalt scheinbar eines unserer Tage. Es ist wahrscheinlich nicht vermessen zu behaupten, viel von dieser Einschätzung verdanken wir der medialen Auseinandersetzung mit Fällen von jugendlicher Gewalt gegen Einzelne. Doch über die gerechtfertigte moralische Empörung hinaus hilft der Aufschrei nicht wirklich weiter, die Opfer werden allzu schnell vergessen, die Täter werden weggeschlossen, ihre Motivation bleibt unaufgeräumt – bis zur nächsten Tat.
Frank J. Robertz und Ruben Wickenhäuser haben gemeinsam das Institut für Gewaltprävention und angewandte Kriminologie gegründet, um Möglichkeiten zu finden, Gewaltausbrüchen vorzubeugen. Aus ihrer praktischen Erfahrung haben sie das Buch „Kriegerträume – Warum unsere Kinder zu Gewalttätern werden“ geschrieben. Die Autoren hinterfragen zuallererst unsere Wahrnehmung, was die Häufigkeit von Gewalttaten angeht, aber auch unsere gern gepflegten pädagogischen Ansätze. Dem oberlehrerhaften „Gewalt ist doch keine Lösung“ halten sie entgegen „Gewalt ist eine Lösung“, keine akzeptierte, keine gute, aber im Weltbild bestimmter junger Leute eine durchaus verankerte Lösung.
Mit Schlägen oder Tritten versuchen sie, ihre Ehre wiederherzustellen, oder sie verschaffen sich Achtung innerhalb ihrer Clique, sie verteidigen damit ihre Freundin, die Mutter oder ihr Kind gegen empfundene Missachtung. Was auch immer sie leitet, indem sie Gewalt gegen andere ausüben, können sie die eigene Frustration lösen und dafür ein Gefühl von Stärke eintauschen. Es gibt auch nicht nur den einen Schlägertyp, machen Robertz/Wickenhäuser deutlich. Es gibt den, der sich für seine Gewalt den Fußballplatz und die gegnerischen Fans aussucht, es gibt denjenigen, der sich rechts-oder linksradikaler oder religiöser Ideologien bedient, es gibt gewaltbereite Mädchen, es gibt Täter, die vom Jubel des Publikums leben, doch sie alle begreifen Gewalt als eine Lösung für ihre mannigfaltigen Probleme.
Die Autoren machen deutlich, wie umfassend die Gesellschaft zur Mitwirkung aufgefordert ist, um dafür zu sorgen, dass Gewalt keine akzeptierte Lösung mehr ist. Das beginnt mit der Schulung von Empathie durch empathische Eltern und endet mit der Akzeptanz, dass junge Menschen Abenteuer als Initiationsriten brauchen, um ihren Mut und ihre Tapferkeit sichtbar unter Beweis zu stellen. Dabei stellen die Autoren auch durchaus bisherige Überzeugungen in der Gewaltprävention, beispielsweise in der Knastarbeit, in Frage. Wenn nach dem nächsten Amoklauf oder dem nächsten brutalen Angriff auf einen Mitfahrenden in der U-Bahn wieder die Frage nach dem Woher der Gewalt gestellt wird, sollte man hier nachschlagen.
Quelle: ntv.de