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Interview mit Eshkol Nevo "Sie sind alle meine Söhne"

Der israelische Autor Eshkol Nevo wollte seit Jahren über das Thema Freundschaft schreiben. In "Wir haben noch das ganze Leben", hat er es nun getan. Im Gespräch mit n-tv.de verrät er, welcher Romanfigur er sich besonders nahe fühlt und warum Besuche in Deutschland immer noch etwas besonders für ihn sind.

n-tv.de: "Wir haben noch das ganze Leben" ist ein Roman über Freundschaft. Als Leser kann man sich und seine Freunde darin leicht wiederfinden. Wie viele Ihrer Freunde finden sich in den Hauptfiguren wieder?

Seit Jahren wollte ich über das Thema Freundschaft schreiben. Aber ich hatte die Befürchtung, dass ich am Ende über meine realen Freunde schreiben würde. Was weder ethisch, noch wirklich interessant ist. Am Ende habe ich fünf Charaktere geschaffen, die eine komplette Mischung - in Israel würden wir sagen: ein Salat - sind, aus Menschen, die ich kenne, mir selbst und dem, der ich sein möchte.

Wie in jeder guten Clique sind die vier Freunde in Ihrem Roman vom Charakter her sehr unterschiedlich. Welcher der Figuren fühlen Sie sich persönlich am nächsten? Wer wäre Ihr bester Freund geworden?

Sie sind alle meine "Söhne". Und wenn ich einen auswählen würde, wären die anderen brüskiert. Aber ich denke, ich musste während des Schreibens besonders Juval nahe kommen, weil er der Erzähler ist. Ich weiß aber nicht, ob er meine erste Wahl als Freund wäre. Er ist für meinen Geschmack etwas zu literarisch.

Ihr letzter Roman "Vier Häuser und eine Sehnsucht" spielt zur Zeit des Rabin-Attentates und Israel und der Nahost-Konflikt beeinflussen das Leben der Protagonisten sehr stark. Die Geschichte von "Wir haben noch das ganze Leben" könnte dagegen überall stattfinden. Im Roman erwähnen Sie sogar den Kampf, die Umgebung aus der Geschichte herauszuhalten. Wie konnte sie dennoch hinein schlüpfen?

Ich habe das Gefühl, dass die israelische Realität definitiv präsent ist in diesem Buch – wenn auch auf eine eher subtile Art. Es herrscht die ganze Zeit ein Unterton von Brutalität, der an einem Punkt ausbrechen musste. Und natürlich stellt sich die Frage: Kann man private Wünsche haben und in einem Land erfüllen, das so vielen dramatischen öffentlichen Ereignissen ausgesetzt ist?

Kann ein israelischen Autor überhaupt sein Land aus seinen Geschichten heraus halten oder erwarten die Leser - in Israel oder im Ausland – eine Referenz?

Ich kümmere mich wirklich nicht darum, was die Leser erwarten. Ich bin zu allererst meinen Charakteren verpflichtet. Sie bestimmen die Geschichten. Danach können die Leser die Bücher aufnehmen, wie sie möchten. Ich bin zwar sehr neugierig, wie die Reaktionen auf das Buch in Europa ausfallen werden. Aber ich schreibe auf keinen Fall, um irgendwelchen Erwartungen zu genügen.

Wie wichtig ist es für Sie, ein politisches Statement in Ihren Büchern zu machen?

Ich mache keine politischen Statements in meinen Büchern, dafür schreibe ich Zeitungsartikel. In einer Roman will ich die ewig neugierige menschliche Natur erforschen: Liebe, Neid, Erotik, Anziehung, Freundschaft, der mysteriöse Gang, den Wünsche nehmen können. Nicht die aktuelle politische Situation.

Als Sie den Roman "Vier Häuser und eine Sehnsucht" dem Berliner Publikum vorgestellt haben, haben Sie zugegeben, dass es hart für Sie ist, Ihre Texte auf Deutsch zu hören. Deutsch sei eine schwierige Sprache für jüdische Ohren. Nach zwei Jahren und vielleicht einigen weiteren Besuchen in Deutschland - hat sich daran etwas geändert?

Wir werden sehen. In jedem Fall sorgt diese Hürde dafür, dass meine Besuche in Deutschland geradezu geladen, faszinierend und voller Subtext sind – und wir Schriftsteller lieben den Subtext! Zudem muss ich sagen, dass die deutschen Leser mein erstes Buch unglaublich gut angenommen haben – möglicherweise war das das beste Feedback, das ich außerhalb von Israel bekommen habe. Das wärmt mein Herz und sorgt dafür, dass ich immer und immer wiederkommen möchte, auch damit ich für mich selbst diese spezielle Neugier erleben kann, die es zwischen diesen beiden Nationen gibt.

Das Ende Ihres Buches "Vier Häuser und eine Sehnsucht" könnte man als den Anfang von "Wir haben noch das ganze Leben" sehen – es endet und beginnt mit unterschiedlichen Wünschen. Werden Sie den Faden in Ihrem neuen Buch wieder aufnehmen?

Hmm, ich weiß noch nicht. Ich schreibe gerade an einem sehr anderen, um nicht zu sagen, bizarren Roman. Es wird sich noch zeigen, ob das Buch die Fäden wieder aufnehmen wird. In der Regel erkennen die Leser die verborgenen Verbindungen zwischen meinen Geschichten besser als ich. Ich schreibe sie nur.

Die Fußball-Weltmeisterschaft steht erneut vor der Tür. Werden Sie sie verfolgen? Und vielleicht Ihre eigenen WM-Wünsche aufschreiben?

Natürlich werde ich mir die WM anschauen! Mit meinen Freunden. Und vielleicht werden wir dieses Mal mutig genug sein, die originalen Wunschzettel aufzumachen, die wir vor 12 Jahren geschrieben haben und die die Inspiration für diese Roman waren.

Mit Eshkol Nevo sprach Samira Lazarovic

Eshkol Nevo: „Wir haben noch das ganze Leben“, dtv Premium, 15,40 Euro. Buchpräsentation am 31. Mai 2010 im Jüdischen Museum Berlin mit dem Autor und dem Schauspieler André Kaminski

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Quelle: ntv.de

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