Ein Okapi im Westerwald "Was man von hier aus sehen kann"
17.09.2017, 15:55 Uhr
Okapis wurden erst Anfang des 20. Jahrhunderts entdeckt.
(Foto: imago/imagebroker)
Es ist ein kleines Dorf im Westerwald, in dem Luise aufwächst. Jeder kennt jeden. Und so weiß auch jeder: Wenn Luises Oma Selma von einem Okapi träumt, muss jemand sterben. Aus diesem kleinen Anfang macht Mariana Leky einen zauberhaften Roman.
"Das Okapi ist ein abwegiges Tier, viel abwegiger als der Tod, und es sieht vollkommen zusammenhanglos aus mit seinen Zebraunterschenkeln, seinen Tapirhüften, seinem giraffenhaft geformten rostroten Leib, seinen Rehaugen und Mausohren". Damit hat ein Okapi offenbar genau das richtige Maß an Unglaubwürdigkeit, um in einem kleinen Dorf im Westerwald der alten Selma als Todesomen im Traum zu erscheinen.
Immer wenn Selma im Nachthemd am Uhlheck auf das vollkommen abwegige Tier trifft, wird in den kommenden 24 Stunden jemand im Dorf sterben. Das weiß nicht nur ihre Enkelin Luise, das weiß jeder. Der Optiker, der Selma seit Jahren liebt, sich aber nicht traut, das auszusprechen. Luises Schulfreund Martin, der auf dem Schulweg mit geschlossenen Augen sagen kann, wo sich der Regionalzug gerade befindet. Und Selmas Schwägerin Elsbeth, deren Aberglaube sowieso noch etwas größer ist als der aller anderen Dorfbewohner.
"Atmen, Luise"
Luise ist die Ich-Erzählerin in Mariana Lekys Roman "Was man von hier aus sehen kann". Ein Mädchen, später eine junge Frau, die sich ein wenig vor dem Leben fürchtet und dennoch in die Welt hinaus muss. Und das ist nicht so einfach, wenn sich schon der Vater auf Weltreise begeben hat, um der Ehe mit der Mutter zu entfliehen.
Leky entwirft eine skurrile Dorfgemeinschaft, deren Verbindungen ebenso seltsam wie zwangsläufig sind. Man mag das nicht auf den ersten Blick sehen, so wie die Dorfbewohner erst nach einer Weile erkennen, dass Selma wie Rudi Carell aussieht. Oder wie Luise erst merkt, dass ihr an dem buddhistischen Mönch, der ihr einst im Wald begegnet ist und der nun wieder in Japan ist, doch sehr viel liegt.
Aber wenn die Zusammenhänge erst einmal offenbar geworden sind, dann kann man sie auch nie wieder nicht sehen. So wie man angesichts des Todes nicht umhinkommt, sich zu fragen, wie das mit dem Leben gehen soll. Das ist so, als es nach einem Okapi-Traum nicht Bauer Häubel trifft, obwohl der es sich regelrecht gewünscht hat. Und das ist umso mehr so, als schließlich auch Selma die Augen schließt.
Die 44-jährige Autorin hat in ihrer Geschichte über die Menschen aus dem kleinen Westerwälder Dorf die ganz großen Fragen untergebracht, die nach Freundschaft und Liebe, Verzeihen und Weiterleben, nach Träumen und Trauern, Verstocktheit und Innigkeit. Ihre schrulligen Figuren wachsen einem ans Herz. Das liegt auch daran, dass Leky einfach wirklich gut schreibt.
"Hier war ich, obwohl ich fast überhaupt nichts sehen konnte, mitten im Hier und Jetzt statt wie sonst im Wenn und Aber, und ich nahm Frederiks Hand, und dann krachte es sehr laut, und ich war sicher, dass das ein Band war, ein Band, das von meinem Herzen sprang, aber es war der Hubkolben."
Quelle: ntv.de