Ruhrpott, Freundschaft, große Liebe Frank Goosen lädt zum "Sommerfest"
24.08.2014, 14:22 Uhr
Musik, Bier und gute Freunde: Das ist eine Party oder ein "Sommerfest" im Ruhrpott.
(Foto: picture alliance / dpa)
Stefan muss in die Heimat, um das Haus seiner Eltern zu verkaufen. Zwei Tage gibt er sich Zeit dafür. Aber zurück im Pott läuft er auch seiner großen Liebe Charlie wieder über den Weg. Sie ist der Grund, warum er vor Jahren aus seiner Heimat nach München geflohen ist.
"Der Lederbecher knallt auf den Tresen. Diggo hebt ihn leicht an, ohne dass die anderen druntergucken können. Was er sieht, gefällt ihm nicht. Er zieht den Becher über die Kante des Tresens und kippt ihn gleichzeitig, sodass die Würfel nicht herausfallen, schüttelt ihn kurz und hämmert ihn erneut auf den Tresen. Wieder guckt er drunter, nimmt eine Eins heraus und wiederholt das ganze Manöver mit den verbleibenden zwei Würfeln. Ein letzter Blick, und er ruft 'Bock!'. Alle heben die Becher, Toto hat Kontra gesprochen mit einem Schock Zwo, Stefan hatte Re erhöht mit Schock Vier, aber Diggo hat mit Schule Jule alles getoppt. Achtundzwanzig der neunundzwanzig Deckel wandern zu Toto. Im nächsten Wurf verliert Toto mit einer Vierundvierzigdrei, während Diggo und Stefan eine Fünfundsechzigzwei beziehungsweise eine Fünfundsechzigvier vorzuweisen haben. Beide Hälften sind im Rekordtempo an Toto gegangen. … Stefan trinkt sein Bier aus, … Alles ist irgendwie ganz klar und auch ganz einfach. Ein Abend mit alten Kumpels, Schocken mit Reizen, paar Bierchen, das Salz der Erde, was auch immer."
Willkommen im Ruhrpott, willkommen in Bochum, willkommen bei Frank Goosens "Sommerfest", das eigentlich das von Stefan ist, der jetzt sein Leben in München hat und nur auf Besuch wieder zu Hause ist, auf ein Heimatwochenende. Zwei Tage hat er sich gegeben, um nach dem Tod seines Onkels endlich das Haus seiner Eltern, seiner Kindheit zu verkaufen. So ist zumindest der Plan.
Heimatgeschichten
Aber so einfach, wie Stefan sich das Ganze vorgestellt hat, ist es dann doch nicht. Der Plan hat Tücken: Zu viele schöne Erinnerungen warten an nahezu jeder Ecke. Da sind Tante Anne und Omma Luise, oder Toto Starek, der alte Versager, der immer eine Story zu erzählen hat, und dessen Boss Diggo, dem man früher besser aus dem Weg gegangen ist, und das sollte man immer noch tun.
Stefan taucht wieder ein in seine Kindheit mitten im Pott, zwischen Seltersbuden, Eckkneipen und Schrebergärten. Er erinnert sich an seinen ersten Kuss - mit Charlie, und an die Angst, sie wiederzusehen. Egal, wen er auch trifft, alle fragen ihn danach, ob er Charlie schon angerufen habe. Dabei will Stefan keine schlafenden Hunde wecken. Er will nur Omma Luise besuchen, einen Makler wegen des Hauses treffen und wieder zurück nach München. Dort ist sein Leben, dort hat er am Montag ein Vorsprechen für eine Fernsehserie, Stefan ist Schauspieler.

Das Hörbuch zu "Sommerfest" ist bei Roof Music erschienen, das Taschenbuch bei Kiepenheuer&Witsch.
(Foto: Roof Music)
Aber er trifft den Makler nicht, dafür läuft ihm Charlie über den Weg - und alles fühlt sich so gut an, so richtig. Er kehrt heim, es ist, als wäre er nie weggewesen. "Woanders weiß er selber, wer er ist, hier wissen es die anderen. Das ist Heimat." Stefans Heimat, aber dank Goosen teilt er diese mit dem Leser. Und auch der fühlt sich sofort zu Hause, geborgen. Er will Toto kennenlernen, einen Kaffee mit Omma Luise trinken und eine "Currywurst mit Pommes Matsch" in der Bude von Murats Vater essen.
Und dabei einfach den liebenswerten Geschichten aus dem Herzen des Potts lauschen. Wie der über Murat, den Toto beim Fußball früher - nach dessen Aussage zumindest - noch nass gemacht hat: Murat kriegt einen Profivertrrag beim VfL, auch wenn der derzeit nur zweitklassig spielt. Murat hat es geschafft, aber angefangen hat er bei der Spielvereinigung, da wo einst auch Stefan spielte – und einen entscheidenden Elfmeter im Pokal verschoss.
Heimatliebe
Der Leser will selbst Diggo begegnen oder den halbstarken Jugendlichen, denen Stefan verbal Paroli bietet. Und er will Charlie sehen, die Frau mit den Schwimmerinnenschultern und dem Lederbändchen am Arm, das sie einst von Stefan bekommen hat. Eigentlich waren sich alle sicher, dass Charlie und Stefan füreinander bestimmt sind. Aber das Leben hatte einen anderen Plan - wie Stefan nun bei seiner Rückkehr auch. Aber Pläne ändern sich, was bleibt, ist die Liebe - zu Charlie, zu seiner Omma Luise, ja selbst zu all den kleinkriminellen Versagern, Berufsjugendlichen und Provinzsirenen, zur Heimat.
Frank Goosens "Sommerfest" ist voller Heimatliebe. Das erkennt der Leser bereits auf den ersten Seiten des bei Kiepenheuer&Witsch erschienenen Buches. Das hört er auch in den ersten Minuten des von Goosen selbst gelesenen Hörbuches.
Man taucht sofort ein, ist gefangen von der so einfach erscheinenden Ruhrpott-Welt. Hört den Protagonisten und ihrem Sprech gern zu, driftet Richtung A40 und Jahrhunderthalle ab. Und am Ende bleibt ein 220-seitiger Ausflug, tief in den Westen, wo die Sonne verstaubt. Wo alles besser, ist, viel besser als man glaubt. "Sommerfest" sind Ruhrpott-Heimatgeschichten pur! "'Storys, ehrlich, wo du hinguckst!“, meint Toto. "Ich sag immer: Die liegen praktisch auf der Straße, die musst du nur aufheben!'"
Quelle: ntv.de