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Terror ist, was du daraus machst Osama bin Laden - eine Heldengeschichte

Nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 feierten viele Palästinenser Osama bin Laden.

Nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 feierten viele Palästinenser Osama bin Laden.

In einer Welt, in der Terrorismus nur in der Fantasie existiert, ist die Taschenbuch-Reihe "Osama bin Laden: Vergelter" ein Renner. Die realitätsfernen Geschichten um blutige Selbstmordanschläge faszinieren Millionen Leser. Der Privatdetektiv Joe gehört nicht dazu. Das ändert sich, als er den Autoren finden soll und in ein Wespennest aus Intrigen, Gewalt und Drogen sticht.

Was wäre, wenn auf der Kairo-Konferenz 1921 die Briten den Nahen Osten aufgeteilt hätten? Was wäre, wenn dabei für den Irak ein Haschemitenkönig als Herrscher ausgesucht worden wäre? Was, wenn der französische Krieg in Indochina zu einem Engagement der USA in Vietnam geführt hätte? Was wäre, wenn die Briten nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs an ihren Kolonien in Afrika festgehalten hätten? Dann sähe die Welt heute aus, wie sie ist, würden böse Zungen sagen: Terroranschläge von Al-Kaida, Bespitzelung von allen Seiten, rechtsfreie Räume unter dem Duktus des allgegenwärtigen Kampfes gegen Terror und für Freiheit und Demokratie. Aber diese Welt ist nicht die, in der Joe lebt.

In Joes Welt gibt es keinen Terror, keine Selbstmordattentate, kein Al-Kaida-Netzwerk. Halt, doch. In Buchform: Die "Osama bin Laden: Vergelter"-Serie ist voll mit diesen Dingen. Aber sie sind nicht real. Bis zur Unkenntlichkeit zerfetzte Körperteile als übrig gebliebene Reste von etwas, was vor der Explosion einmal ein Mensch, ein Kind gewesen ist: Das gibt es nur auf den Seiten der Taschenbuchserie, erschienen bei Medusa Press, einem Verlag, der auch pornografische Themen in Billigoptik vertreibt.

Die "Vergelter"-Serie ist fantasievoll und wirklichkeitsfern. Geschrieben von Mike Longshott, dessen Credo heißt: "Fang immer mit einer großen Explosion an." Billige Thriller in knalliger Cover-Optik, von denen immer ein charismatischer Mann mit langem Bart und klaren, durchdringenden Augen den Leser direkt anblickt. Vier Bände gibt es, ein fünfter soll in Arbeit sein.

Wer und wo ist Longshott?

Da taucht bei Joe eine junge Frau auf. Sie bittet den kernigen Privatdetektiv - einer, wie er sprichwörtlich im Buche steht: rauchend, Whisky trinkend, wortkarg -, Longshott für sie zu finden. Eine schwarze Kreditkarte ohne Namen ist alles, was sie dem Schnüffler hinterlässt, ehe sie verschwindet und sich wie es scheint in Luft auflöst.

Nun ist Joe am Zug. Er recherchiert. Er fliegt nach Paris. Danach nach London. Dann nach New York. Und am Ende nach Kabul. Er trifft schräge Typen, hübsche Frauen, Männer in schwarzen Anzügen. Er wird verprügelt. Auf ihn wird geschossen. Er wird beschimpft und zu Drinks eingeladen. Er besucht die Osama-Convention, lernt die Fans der Buchserie kennen. Er findet den Verleger der "Vergelter"-Reihe. Aber von Longshott selbst gibt es keine Spur - zunächst.

Eine Suche nach sich selbst

Aber immer wieder auf seiner Suche tauchen Warnungen auf. Indirekt geäußerte und direkte mit der nackten Faust "eingehämmerte". Joe soll seine Suche beenden. Er soll aufhören, seine Nase in fremde Angelegenheiten zu stecken, in Angelegenheiten, die ihn verdammt noch mal nicht das Geringste angehen. Am eindrucksvollsten gehen dabei die Männer in den schwarzen Anzügen vor: warnen, zusammenschlagen, warnen, kidnappen, foltern.

Doch Joe kann nicht einfach aufhören. Er steckt mittlerweile zu tief drin. Sein Hirn spielt ihm bereits Streiche. Sein Körper auch. Je mehr Joe nachforscht, desto tiefer gerät er in eine Sache hinein, die er nicht versteht. "Irrwirre" tauchen auf und verschwinden, als ob sie wie Flüchtlinge nie existiert hätten. Sie geben ihm Hinweise, versteckt, und machen ihn gleichzeitig verrückt. Verschwörungen, Geheimbünde, Opium, Parallelwelten. Wer ist Joe wirklich? Die Antwort darauf, weiß nur die gespenstische Frau, seine Auftraggeberin, denn sie kennt Joe besser als er sich selbst.

Wahnsinn auf knapp 300 Seiten

Und nun geht es los mit der großen Lobhudelei auf Lavie Tidhar, den Autoren des bei Rogner & Bernhard erschienenen Buches "Osama". Er ist der Schöpfer dieses Werkes, das es wohl nur alle paar Jahre mit viel Glück in die Buchläden schafft. Aber wenn das gelingt, ist der Erfolg programmiert: Die erste Auflage ist bereits nahezu ausverkauft, die zweite Auflage bereits in Planung.

Aber nicht nur die Verkaufszahlen sprechen Bände, auch die Kritiker sind voll des Lobes. "Osama" ist etwa der Gewinner des World Fantasy Awards 2012. In Ungarn gibt es bereits eine Verfilmung des Stoffs, der so unkonventionell daherkommt wie der Autor selbst.

Lavie Tidhar wuchs in einem israelischen Kibbuz auf und lebte in mehreren Ländern, darunter Südafrika, Vanuatu und Laos. Er reist viel und war dabei dem realen Terror oft näher, als ihm lieb war: So war er zur Zeit des Bombenattentats auf die US-amerikanische Botschaft 1998 in Daressalam und wohnte in Nairobi im selben Hotel wie einige Al-Kaida-Mitglieder. Seitdem entkam er mit seiner Frau nur knapp den Anschlägen 2004 auf dem Sinai und 2005 am Bahnhof King's Cross in London.

Schräg, unkonventionell, brillant

So etwas prägt. "Osama" ist deshalb auch so etwas wie Vergangenheitsbewältigung mit autobiografischen Zügen. Es hebt sich komplett ab von ähnlichen Werken zu diesem Thema wie etwa den "72 Jungfrauen" von Boris Johnson. Eher vergleichbar ist es mit "Der Talisman" von Stephen King und Peter Straub oder auch dem Kingschen Zyklus vom "Dunklen Turm". Große Namen, zugegeben, aber auch Lavie Tidhar ist auf dem besten Weg dahin.

"Osama" ist Krimi, Thriller, Fantasy, Essay-Sammlung und Selbsthilfe in einem. Oder anders: Es ist wie Dennis Lehanes "Shutter Island" - ohne Auflösung am Schluss.

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Quelle: ntv.de

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