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"Nie ohne Stoff!" Joyce Carol Oates wird 70

Joyce Carol Oates gehen die Geschichten nicht aus. "Ich werde nie im Leben ohne Stoff sein", versichert die Amerikanerin, die am 16. Juni ihren 70. Geburtstag feiert. Oates gilt als überragende literarische Figur und Gesellschaftskritikerin. Ihr erster Roman entstand, als sie gerade 14 war. Heute umfasst das Werk der Literaturprofessorin aus Princeton (New Jersey) etwa 50 Romane, mehr als 300 Kurzgeschichten, unzählige Gedichte, Essays und Drehbücher.

Das Kritische Lexikon zur fremdsprachigen Gegenwartsliteratur (2002) rühmt ihren Ehrgeiz, "in der Fiktion ein eigenes Universum aufzubauen, um die amerikanische Wirklichkeit in ihrer gegenwärtigen und historischen Vielfalt wiedererstehen zu lassen". Oates ist seit Jahren für den Literaturnobelpreis im Gespräch.

Der amerikanische Traum?

Oates entmythisiert, was andere den "amerikanischen Traum" nennen. In fast allen ihren Werken deckt sie die Kehrseite der Vision vom Streben nach Glück und Erfolg auf, zeigt, wie Gewalt den Menschen korrumpieren. Oates hat sich den Ruf als die oder eine der einflussreichsten und produktivsten Autorinnen des amerikanischen Romans seit William Faulkner verdient. Ihr Blick für gesellschaftliche Details erinnert an den Franzosen Honor de Balzac, ihre Freude am Fabulieren an D.H. Lawrence.

Unvergleichbar ist, wie schnell sie in verschiedene Welten eintaucht, sie minutiös beschreibt und analysiert. Schon als Studentin veröffentlichte die kleine, zarte Frau mit den gewaltigen Brillengläsern ein Buch pro Semester. In "Zombie" ist zu lesen, was sie ganz offensichtlich selbst antreibt: "Ein stiller, blubbernder Schreibrausch". In bunter Reihenfolge folgten Romanzen und Krimis, Familienepen und Satiren. Manche Kollegen halten Oates vor, mit der vielen Gewalt und dem hohen Sexanteil in ihren Büchern ihr Genie zu vermarkten.

Dem entgegnet sie, "wir sind von jeher eine Nation, die zu Gewalt neigt. Es wäre Augenwischerei, diese Tatsache zu verleugnen. Was mich fasziniert, ist unsere Reaktion auf Gewalt. Ihre Auswirkung auf das Leben speziell von Frauen und Kindern". Oates schreibt immer aus der Sicht der Opfer.

Schreiben für den Playboy

Hauptberuflich ist sie Professorin an der Elite-Universität Princeton. Dort lehrt sie "kreatives Schreiben". Mit ihrem Mann, dem Literaturhistoriker Prof. Raymond Joseph Smith, veröffentlicht sie eine der angesehensten Literaturzeitschriften der USA, "Ontario Review of Books". Sie schreibt Theaterstücke, die auch auf Bühnen in Europa zu sehen sind, und scheut sich nicht, den "Playboy" mit Beiträgen zu beliefern. In den USA erschien das "Journal of Joyce Carol Oates", eine Kurzfassung ihres gut 4000 Seiten langen Tagebuchs für die Jahre 1973 bis 1982.

Die gefeierte Autorin führt nach eigener Auskunft ein ganz konventionelles, bescheidenes Leben. "Ich bin mir nicht bewusst, besonders hart zu arbeiten", sagt sie, "oder überhaupt zu arbeiten". In der Kleinstadt Millersport im US-Bundesstaat New York als Tochter eines Fabrikarbeiters geboren, wuchs sie einfach, aber mit rastlos lesenden Eltern auf. "Ich stamme von Leuten, die nie aufs College gingen, die nicht einmal einen Schulabschluss haben", bekannte sie einmal. Oates frühe Werke lassen noch autobiografische Züge erkennen. Ein Dutzend erschienen unter Pseudonymen.

In dem Roman "Jene" (1970) führt sie in das gesellschaftliche Panorama des Vorstadt- und Großstadt-Amerikas ein - und verdiente sich den Nationalen Buchpreis. Die politischen Machtstrukturen der USA analysiert sie in "The Assassins" (1975). Ihre Geschichte "Schwarzes Wasser" (1992) zieht Parallelen zu dem Autounfall von US-Senator Edward Kennedy bei Chappaquiddick 1969.

Von "Blonde" bis "Zombie"

1997 legte sie mit "Man Crazy" ("Zombie") das Psychogramm eines Serienkillers vor. Viele neue Facetten des schillernden Sexsymbols Marilyn Monroe enthüllte ihr Bestseller "Blonde" (Blond). "Wir waren die Mulvaneys" (2003), die Geschichte vom Untergang einer Familie, nennt Oates ihr persönlichstes Buch. Bisher verging kein Jahr ohne neue Werke der Vielschreiberin. Allein seit Beginn 2008 erschienen auf Deutsch "Nach dem Unglück schwang ich mich auf, breitete meine Flügel aus und flog davon" sowie "Du fehlst".

Von Gisela Ostwald, dpa

Quelle: ntv.de

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