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Ein Pflasterstein als Verlobungsring "Paris-Roubaix: Die Hölle des Nordens"

Johan van Summeren: Erst den Pflasterstein geküsst, dann damit der Freundin einen Heiratsantrag gemacht.

Johan van Summeren: Erst den Pflasterstein geküsst, dann damit der Freundin einen Heiratsantrag gemacht.

(Foto: picture alliance / dpa)

"Du musst Paris-Roubaix im Kopf haben, leben, atmen und träumen", sagt ein zweifacher Gewinner der "Königin der Radsportklassiker". Allerdings macht sie es den Fahrern nicht leicht: Staub, Sturm, Sonne, Regen, Schnee und Reifenpannen treiben das Peloton zur Verzweiflung - und natürlich das wichtigste Kulturgut des französischen Nordens, der Pflasterstein.

"Paris-Roubaix, dich liebte ich über alles. Zwar habe ich auch Mailand-San Remo wie verrückt geliebt und hunderte Male besessen; ich liebte Lüttich, ich liebte die Flandern-Rundfahrt mit ihren verführerischen Kurven; ich liebte die unendlich langen Fahrten von Bordeaux nach Paris, von Paris nach Brest - und sogar wieder zurück! Vom ersten Tag an liebte ich das Auf und Ab der Tour de France. Aber dich, Paris-Roubaix, dich liebte ich mehr als jede andere." Der Verfasser dieses Gedichts ist unbekannt, aber er war Radsportler, so viel ist sicher - und er spricht damit hunderten aus der Seele. So auch dem doppelten Paris-Roubaix-Triumphator Marc Madiot: "Du musst Paris-Roubaix im Kopf haben, leben, atmen und träumen. Das Rennen muss zur Obsession werden."

Paris-Roubaix ist ein Spektakel für die Zuschauer, die hautnah dran sind am Renngeschehen.

Paris-Roubaix ist ein Spektakel für die Zuschauer, die hautnah dran sind am Renngeschehen.

(Foto: Delius Klasing Verlag)

Paris-Roubaix, allein der Klang dieser beiden Worte sorgt bei den Radprofis für Gänsehaut und Angstschweißausbrüche, bei den Radsportfans dagegen für Gänsehaut und ein wohlig-warmes Gefühl in der Magengegend gepaart mit einer fast kindlichen Vorfreude, die sonst nur ein Bergzeitfahren nach Alpe d’Huez hervorruft. Paris-Roubaix, das ist nicht einfach nur ein klassisches Eintagesrennen, ein simpler Frühjahrsklassiker; Paris-Roubaix ist die Königin der Klassiker, das Monument des Radsports. Entweder man liebt es - oder man lernt es zu lieben. Selbst die Wut so manchen Radsportlers, die auf der Strecke durch den Norden Frankreichs auch schnell in Hass und pure Verzweiflung umschlagen kann, ist spätestens im Ziel, dem Velodrome vor tausenden jubelnden Zuschauern auf den Tribünen vergessen. Aber bis zum Ziel sind es knapp 260 Kilometer, viel Zeit, sich die Frage nach dem Warum zu stellen.

Aus Liebe muss Obsession werden

Das Wetter verlangt den Fahrern - wie die Strecke selbst - alles ab.

Das Wetter verlangt den Fahrern - wie die Strecke selbst - alles ab.

(Foto: picture alliance / dpa)

Die Frage ist allerdings schnell und einfach zu beantworten: sportliche Unsterblichkeit. Wer einmal Paris-Roubaix gewinnt, dessen Namen bleibt unvergessen - so wie Joseph Fischer, der Sieger der ersten Austragung 1896. Ein deutscher Held, denn im Gegensatz zu heutigen Annehmlichkeiten wie Spezialrahmen, Federungen oder Gangschaltungen, hieß es für ihn nur rauf aufs Rad, hoffen, dass alles ganz bleibt und mal schauen, ob sich dazu noch das nötige Quäntchen Glück gesellt. Letzteres braucht der Fahrer bis heute, wenn er gewinnen will. Gabel- und Rahmenbrüche sind zwar seltener geworden, Reifenpannen gehören aber weiter zu Paris-Roubaix wie die signifikanten Pflastersteinabschnitte, Pavé genannt.

Die Pavé sind das Markenzeichen von Paris-Roubaix.

Die Pavé sind das Markenzeichen von Paris-Roubaix.

(Foto: picture alliance / dpa)

Waren Pflastersteine in den Anfängen von Paris-Roubaix nicht die Ausnahme sondern die Regel, drehte sich das Blatt zusehends, bis in den 1960er Jahren, der Pflasterstein immer mehr dem glatten, aber seelenlosen Asphalt weichen mussten. Gerade einmal rund 25 Kilometer Pflasterstrecke umfasste das Rennen noch. Die Durchschnittsgeschwindigkeit erreichte 45 Kilometer je Stunde. Aberwitzig für ein Rennen, das durch seinen ländlichen Charme bezirzen sollte. Die Ausrichter merkten das und auch die Einwohner des französischen Nordens dachten um. Statt Fortschritt und Asphaltierung wurden einzelne Pflastersteinabschnitte wieder von der Teerdecke befreit. Pavé wurden wie die berühmte Nadel im Heuhaufen gesucht und wo immer es ging in den Streckenverlauf integriert. Heute sind wieder je nach Streckenführung  fast 60 Kilometer Pavé zu überfahren: Alle drei Kilometer ein Kilometer Kopfsteinpflasterabschnitt lautet der Kommentar der Rennleitung dazu.

Die Pflastersteine schimmern grau oder blau, je nachdem, ob sie aus den Steinbrüchen der Bretagne, des Hainaut oder der Artois stammen. Die 20 Zentimeter hohen Quader mit 14 Zentimetern Kantenlänge sind längst zum wichtigen Repräsentanten und Kulturgut des französischen Nordens geworden - ähnlich wie der Kultfilm "Willkommen bei den Sch‘tis".

Die Hölle ist mit Pflastersteinen …

Mehr als 50 Kilometer Pflastersteinstrecke hat das Peloton in den Knochen.

Mehr als 50 Kilometer Pflastersteinstrecke hat das Peloton in den Knochen.

(Foto: picture alliance / dpa)

Mons-en-Pévèle, Carrefour de l’Arbre und vor allem der Wallers-Arenberg: Die Hölle des Nordens hat viele Namen und Gesichter. Aber der Wald von Arenberg mitten in einem ehemaligen Bergbaugebiet, durchquert auf einer Straße, wo einst täglich Tausende Bergarbeiter unter Tage gingen, ist das Herzstück des heutigen Paris-Roubaix, das Wahrzeichen. Erstmals 1968 Bestandteil des Rennens wirkt er ewig dunkel und beängstigend - und schmal ist die 2400 Meter lange Schneise durch ihn hindurch. Schmal und glatt.

"Paris-Roubaix: Die Hölle des Nordens" ist im Delius Klasing Verlag erschienen.

"Paris-Roubaix: Die Hölle des Nordens" ist im Delius Klasing Verlag erschienen.

(Foto: Delius Klasing Verlag)

Weltmeister und Vuelta-Gewinner Jean Stablinski beschreibt sein Gefühl im Wald von Arenberg so: "Wenn du mit dem Aufzug 500 Meter tief unter die Erde fährst, weißt du nicht, ob du jemals wieder nach oben kommst. In Arenberg ist es ähnlich. Aber du darfst darüber nicht nachdenken, denn sonst fährst du nicht weiter." Stablinski muss es wissen. Er war vor seiner Radsportkarriere Bergarbeiter. "Gewinnen kannst du in Arenberg nicht. Verlieren schon", sagt Tour-de-France- und Paris-Roubaix-Sieger Eddy Merckx im Delius Klasing Verlag erschienenen umfangreichen Bildband "Paris-Roubaix: Die Hölle des Nordens" dazu.

Das Rennen ist der Star

Bei Paris-Roubaix liefern nicht die Fahrer den Glanz wie bei großen Rundfahrten, deren Stellenwert an den klangvollen Namen der Teilnehmer gemessen wird. Bei Paris-Roubaix ist das Rennen der Star. Große Namen sind der "Königin" egal. Ihre Strahlkraft allein ist es, die Medien, Fans und Sportler anlockt. Ihre Gunst muss sich jeder hart erarbeiten: Staub fressen gehört ebenso dazu wie Regen, Sturm und manchmal sogar Schnee zu trotzen. Oder der brennenden Sonne.

Die Gesichter der Sportler zeigen es erst im Ziel, ob die "Königin" gnädig gewesen ist. Sie ist es selten. 2011 war sie es: Der Belgier Johan van Summeren gewinnt die 109. Auflage von Paris-Roubaix. Er huldigt nach dem Triumph der "Königin der Klassiker" auf ganz besondere Art: Er macht seiner Freundin einen Heiratsantrag - mit der Pflasterstein-Trophäe des siegreichen Fahrers als Verlobungsring. So etwas nennt man wohl Obsession.

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Quelle: ntv.de

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