Claus-Peter Lumpp Kraftstrotzender Kerl
25.10.2008, 11:00 UhrClaus-Peter Lumpp, Restaurant Bareiss, Baiersbronn
Endlich ein dicker Dreisterne-Koch. Kein Marathonläufer, kein Asket, kein Künstler. Ein Handwerker, der seinen Bauch mit Schwung durchs Restaurant trägt und so aussieht, als hätte er immer Freude am Essen. Und der seinen Gästen so wunderbar wahre Sätze sagt wie: "Der Geschmack steht über allem". Das ist Claus-Peter Lumpp.
Der Abend bei Lumpp am Ende eines wechselhaften Frühlingstages war ein Abend mit Stimmungsschwankungen. Ich kam mit großer Vorfreude und mit großen Erwartungen. Nach einer Stunde war ich zunächst enttäuscht. Ich war schon fast satt! Denn Lumpps Küche ist nicht filigran wie die Wohlfahrts, sondern körperreich und kraftstrotzend wie der Koch selbst. "Fett ist nun mal ein Geschmacksträger". Richtig. Ein bisschen zuviel war es mir doch, wobei ich selbst einen guten Teil Schuld trage. Der Reihe nach.
Gier nach Innereien
Das Fett kam versteckt in kalten Saucen auf Mayonnaise- oder Sahnebasis. Manchmal nur ein Klecks, manchmal mehr. Senfmayonnaise zu einem leckeren Gelee vom Perlhuhn. Aioli zum Kabeljau mit Pulpo auf Perlgraupenrisotto, das nach Ratatouille und Südfrankreich schmeckte. Supersahnigsättigend auch die Kaviarcreme zum Tatar von der Jacobsmuschel. Die insgesamt drei Variationen, alle mit Lauch und Ossietra-Kaviar, blieben übrigens blass, nicht nur farblich. Zu wenig Kontraste zwischen dem Tatar, der roh marinierten Scheibe und der ganzen, pochierten Muschel. All das hätte schon gereicht für einen verfrühten Völlezustand.
Dass ich mich um halb neun fühlte wie der Mann in der alten Gervais-Obstgarten-Werbung lag allerdings auch daran, dass ich in meiner Gier nach Innereien das 6-Gänge-Menü um eine la carte-Vorspeise erweitert hatte. Ich musste das Kalbsbries essen, wusste aber nicht, dass Lumpp jedes der recht teuren Gerichte von der großen Karte in drei Teilen serviert. Und so bekam ich zum bissfesten Bries mit wundervollem, geschmortem Kalbsbäckchen noch eine anständige Portion Kalbstatar, das mit einer salzigen und sehr sämigen Liebstöckelcreme kämpfen musste. Und ein klares Süppchen.
Natürliche Freundlichkeit
An diesem Punkt jedenfalls drohte die Laune zu kippen, von Lust auf mehr zu Duldungsstarre. Zum Glück nur ein Durchhänger. Dass ich mich wieder bekrabbelte, lag an den Kellnern, allen voran den beiden Mädels in den netten Dirndln. Sie strahlten, nachdem die Hektik des früheren Abends vorbei war, eine so überwältigend natürliche Freundlichkeit aus, dass Muffigwerden unmöglich war.
Restaurantchef Thomas Brandt beantwortete jede meiner vielen Fragen. Er erzählte von dem Kulturschock, den er, der Norddeutsche aus der Holsteinischen Schweiz, erlitt, als er bei der Familie seiner Frau aus Stuttgart vor 20 Jahren zum ersten Mal Schweineschwänzle vorgesetzt bekam. Und er freute sich ehrlich darüber, dass am Baiersbronner Gymnasium die Klassen klein sind und es keine Drogenprobleme gibt.
Finale im Nebel der Sinne
Sommelier Jürgen Fendt, ein unauffälliger Mann aus Franken mit schüchternem Lächeln, wuchs über viele seiner Kollegen hinaus. Enormes Wissen und vor allem Engagement und Leidenschaft. Was für überraschende Weine er auftischte, nachdem ich ihn darum gebeten hatte, Gängiges links liegen zu lassen. Den als Ros ausgebauten Pinot Noir aus dem Elsass, den Viognier aus dem Breisgau, den Morillon aus der Steiermark, den mächtigen und jugendlich frischen Passadouro aus Portugal. Bei den Süßweinen einen Riesling Spätlese aus Franken, einen Latinja aus Sardinien und - Finale im Nebel der Sinne - eine Kerner Trockenbeerenauslese. Hut ab! Eines glaube ich Fendt aber nicht. Dass er den 1995er Romane-Conti für 15.000 Euro für jeden Gast aufmachen würde, ohne vorher noch einmal diskret dessen Zahlungsfähigkeit zu überprüfen.
Zurück zum Essen. Da kamen noch ein sehr frischer geschmorter weißer Heilbutt mit Sherry-Schaum, kräftigen Morcheln und einem schön körnigen Kartoffelpüree. Und aus der großen Karte ein Ochsenfilet mit Gewürztomaten und Polenta. Das Filet war zwar nicht wie angekündigt gegrillt, sondern gebraten, aber ein sehr gutes Stück Fleisch, auf dem reichlich Meersalz knirschte.
Eine Sauce für Freaks
Mein Erlebnis des Abends war der Teller daneben! Mürbe Stücke vom Ochsen mit Schalotten und einer kraftstrotzenden Pfeffersauce. Radikalreduktion aus Kalbsglace, tanninarmem Rhne-Wein und Portwein! Eine Sauce für Freaks, so dick, dass sie fast am Teller klebte, Konsistenz von Marmite, dem britischen Hefeaufstrich. Schön scharf durch viele große Stücke frisch geschroteten Pfeffers! Fleischig! Süchtig machend! Die Sauce stahl dem Käse, den sehr guten Desserts und den Friandises mit tollem Edelweingummi die Schau. Ich musste nur noch an sie denken.
Lumpp, der zum Fremdessen am liebsten nach Paris fährt und dort in günstigen Hotels übernachtet, hätte fast das Schicksal Dieter Kaufmanns von der Traube in Grevenbroich erlitten. Zwei Sterne auf Lebenszeit, der dritte so nah und doch unerreichbar. Unmittelbar vor der Veröffentlichung des letzten Guide Michelin hatten er und seine Mannschaft immer noch nichts vom Verlag gehört. Sie dachten schon: Wieder nicht. Schade. Dann, nur Stunden vor der Pressemitteilung, doch ein Anruf.
Nach 15 Jahren des Wartens hat Lumpp es geschafft. Und er freut sich noch heute darüber, dass Kollege Wohlfahrt mit einem Blumenstrauß im Bareiss auftauchte. Den Champagner stellte allerdings Lumpp. "Selbst wenn ich den dritten Stern nicht bekommen hätte, wäre ich nicht verzweifelt", sagt Lumpp und streicht sich über den Bauch. "Schließlich koche ich nicht für Kritiker, sondern für meine Gäste". Ich glaube ihm jedes Wort und freue mich schon jetzt auf den nächsten Abend bei ihm.
Bewertung:
Essen: 90 Punkte
Drumherum: 92 Punkte
Quelle: ntv.de