Kino

Von Lesben, Kannibalen und noch mehr In neun fantastischen Tagen um die Welt

Urlaub in der Bettenburg - mit Animation, Vollpension und reservierter Poolliege? Auf keinen Fall. Stattdessen geht es auf eine Neun-Tage-Weltreise nach England, in die USA, nach Chile, Neuseeland, Indonesien und in die Weiten Russlands. Religiöse Fanatiker, Mafiosi und leicht bekleidete Party-Girls sind dabei nicht die einzigen "Sehenswürdigkeiten".

Das Fantasy Filmfest läuft in sieben deutschen Städten und umfasst jeweils mehr als 60 Filme.

Das Fantasy Filmfest läuft in sieben deutschen Städten und umfasst jeweils mehr als 60 Filme.

Wenn einer eine Reise macht, dann kann er viel erzählen. Wie wahr. Dabei liegen die Vorzüge des Massentourismus auf der Hand: täglicher Nervenkitzel bei den Schlachten am üppig gefüllten Büfett, Aufregung pur beim Kampf um die als reserviert geglaubte Poolliege und nicht zu vergessen: einer unter vielen Gleichgesinnten zu sein. Aber es geht auch anders, individueller, viel besser. Warum nicht einfach mal eine Weltreise machen? Von Deutschland aus rund um den Globus? Und das Ganze nicht wie einst Phileas Fogg in 80 Tagen, sondern in 9? Beim Fantasy Filmfest 2013 besteht diese Chance noch bis zum 12. September noch in fünf Städten - und man sollte sie ergreifen.

Gestartet wird in Berlin. Einsteigen, anschnallen und Rückenlehnen in die Senkrechte. Los geht's - erster Zwischenhalt: London.

London und irgendwo im Hinterland (England)

"Uwantme2killhim" ist schockierend real.

"Uwantme2killhim" ist schockierend real.

(Foto: Independent Films)

In England wartet die Metropole London mit ihren unzähligen menschlichen Schicksalen. Da ist beispielsweise Mark (Jamie Blackley), der in einem Internet-Chatroom die geheimnisvolle Rachel (Liz White) kennenlernt. Typisch Teenager, verliebt er sich Hals über Kopf in sie. Allerdings steht der jungen Liebe nicht nur Rachels brutaler Freund im Weg, sondern auch die Tatsache, dass dieser in einem Zeugenschutzprogramm steckt. Rachel ist für Mark damit unerreichbar. Ihr Bruder John (Toby Regbo) dagegen nicht, er ist ein Klassenkamerad von Mark und er soll sich um ihn kümmern. Das will Rachel so. Es ist ihr letzter Wunsch, denn kurz darauf ist sie tot. Selbstmord, sagt die Polizei. Blödsinn, denkt Mark. Und recherchiert. Der britische Geheimdienst wird auf ihn aufmerksam und via Chat konktaktiert er Mark. Er verlangt, John zu töten, denn der soll ein Schulmassaker planen.

"Uwantme2killhim?" spielt gekonnt und mit einigen Twists mit der Paranoia und den Ängsten der heutigen Zeit: Amokläufen an Schulen, Terrorismus, grenzenlose Überwachung durch den Staat und die Geheimdienste. Apropos Geheimdienste: Emerson (John Cusack) ist CIA-Agent. Er tötet ohne Reue, aber irgendwann bekommt er Gewissensbisse und wird strafversetzt - irgendwo in die englische Pampa, in einen streng geheimen Bunker. Er soll dort die die Funkerin Katherine (Malin Akerman) beschützen, die auf einem anonymisierten Kanal nicht zurückverfolgbare Codes an Agenten in der ganzen Welt verschickt. Was nach einem ruhigen Job klingt, ändert sich, als der Bunker angegriffen wird und 15 nicht autorisierte Codes versendet werden. Von Terroranschlägen über Exekutionen: Sie können alles beinhalten. Aber wer steckt dahinter?

Malin Ackerman und John Cusack sind die Herren der Codes.

Malin Ackerman und John Cusack sind die Herren der Codes.

(Foto: Wild Bunch)

"The Numbers Station" des Dänen Kasper Barfoed wartet mit einem herrlich abgehalfterten Hauptdarsteller auf, der vom eiskalten Killer zum fast schon gefühlsduseligen Sympath mutiert. Und umgekehrt entwickelt sich die unscheinbare Funkerin Katherine zur Heldin der Geschichte. Hollywood-Agentenkino mal anders.

Hollywood, Los Angeles (USA) 

Um Hollywood mit all seinen Facetten dreht sich auch das neue Meisterwerk von Ari Folman ("Waltz With Bashir"). "The Congress" basiert auf Stanislaw Lems Roman "Der futurologische Kongress" und entwirft eine Zukunftsvision, die durchaus Realität werden könnte: Das Hollywood mit seinen realen Schauspielern und Stars existiert nicht mehr. Wer die Möglichkeit bekommen hat, sein "Ich" zu digitalisieren, nutzt diese.

Robin Wright: Oscar-verdächtig in "The Congress"

Robin Wright: Oscar-verdächtig in "The Congress"

(Foto: Pandora Film)

Auch Robin Wright ("California Clan", "Forrest Gump") muss diese - ihre letzte - Chance ergreifen. Einmal digitalisiert, darf sie nie wieder real als Schauspielerin auftreten, nicht einmal auf einer Schultheatervorführung ihrer Kinder. Der Vertrag gilt für 20 Jahre. Als diese vorbei sind, muss sie - mittlerweile die größte Action-Heldin der Welt - ihn verlängern lassen und begibt sich zum futurologischen Kongress in eine vollkommen animierte Stadt irgendwo in der Wüste.

Zugegeben, "The Congress"ist keine leichte Unterhaltungskost. Der Zuschauer kann durchaus zwischendurch den Faden verlieren. Den Rat Folmans, bei dem Film "seinen Gedanken völlig freien Lauf zu lassen", sollte man beherzigen. Dann weiß der Film zu gefallen. Noch besser: Er reißt mit. Halb Realfilm, halb animiert, ist "The Congress" eine knallharte Abrechnung mit der "(Alb-)Traumfabrik" Hollywood und eine, bei der am Ende Fragen offen bleiben. Es sollte nicht verwundern, wenn der Film mit zahlreichen Oscar-Nominierungen bedacht wird, die Leistungen der Hauptdarsteller Robin Wright und Harvey Keitel (der im Film ihren Agenten spielt) sind absolut fantastisch.

Valparaiso, (Chile)

Erst ein Erdbeben, dann marodierende Banden und am Ende noch ein Tsunami: In "Aftershock" kommt es knüppeldick.

Erst ein Erdbeben, dann marodierende Banden und am Ende noch ein Tsunami: In "Aftershock" kommt es knüppeldick.

(Foto: Capelight)

Fantastisch sind auch die Bilder, in die Nicolas Lopez die Handlung seines Films "Aftershock" bettet. Die chilenische Hafenstadt Valparaiso liefert sie frei Haus. Tourismuswerbung par excellence. Doch dann scheucht den party-geilen Touri-Trupp um Hauptdarsteller und Mitproduzent Eli Roth ("Hostel") in einer Hipster-Disco in der Innenstadt ein Erdbeben auf. Von da an sind Wackelkamera und Geschrei angesagt. Und für noch mehr Spannung im Überlebenskampf Mensch gegen Naturgewalt sorgen die Insassen eines zerstörten Gefängnisses - Mörder, Vergewaltiger, der Abschaum der Gesellschaft -, die nun frei und auf der Jagd sind.

Dieses Weltuntergangsszenario trägt die Handschrift Roths. Gerade wenn man es sich als Zuschauer im Kinosessel bequem gemacht hat und sich an der donnernden Party-Mucke und den Bildern erfreut (es gibt einen Cameo-Auftritt von Selena Gomez), dreht die Handlung und der Film wird böse. Richtig böse. Und blutig. Aber dafür ganz ohne hollywood-typisches Happy End.

Irgendeine Vorortsiedlung (Neuseeland)

Was könnte das auf dem Teller wohl sein?

Was könnte das auf dem Teller wohl sein?

(Foto: Capelight)

Happy End? Das wunderschönes Neuseeland ist der Traum vieler Auswanderwilligen. Aber der Kenner weiß: It’s always the quiet place, where the mad shit happens. Und so könnte der Satz "We’re so fucking fucked!" eines Kleinkriminellen die Situation im Film "Fresh Meat" nicht besser beschreiben, in der er und seine Gang auf einer Flucht vor dem Gesetz geraten. Sie finden sich in einem Vororthaus wieder, mit einer vierköpfigen Familie: Der Vater, ein Maori, entpuppt sich als religiöser Fanatiker und Kannibale vor dem Herrn. Was ja auch passend ist, wenn seine Frau eine berühmte Fernsehköchin gibt. Während der Sohn bereits in die Fußstapfen des Vaters tritt, weiß die Tochter Rina (Hanna Tevita) von alldem noch nichts. Dafür hat sie in der Dusche nach dem Sportunterricht ihre erste sexuelle Erfahrung mit einem anderen Mädchen gemacht. Und prompt verliebt sie sich auch in die Gangsterbraut Gigi (Kate Elliott), die mit ihren Kumpanen nun in das familiäre Heim einfällt. Allerdings haben die keine Ahnung, wo sie da hineingeraten sind. Ja, Neuseeland ist so schön. Und brüllend komisch. Und so schön. Mahlzeit!

Jakarta (Indonesien)

"The Philosophers": Aus 21 mach 10 ...

"The Philosophers": Aus 21 mach 10 ...

(Foto: Ascot Elite)

Schön ist bekanntlich aber relativ, und das wiederum philosophisch. Brotlos trifft es vielleicht auch, was kann man als Philosoph schon groß werden? Filmstar in "The Philosophers": Auf einer internationalen Schule in Jakarta ist der Philosophie-Kurs von Mr. Zimit (James D'Arcy) äußerst beliebt - bis er seine Klasse zu einem Gedankenexperiment verführt: Die Apokalypse ist da. Die Welt, wie wir sie kennen, geht unter. Allerdings gibt es einen Atombunker mit zehn freien Plätzen. Das Problem: 21 Menschen wollen hinein. Nun wird ausdiskutiert, wer überleben darf und wer sterben muss. Es werden Karten mit Berufen gezogen. Vom Gärtner über Richter bis hin zum Hausmann oder zur Harfenspielerin ist alles vertreten. Das Experiment rund um den hypothetischen Bunker wird mehrmals durchgespielt, die Variablen ändern sich dabei, zu den Berufen kommt jeweils noch eine Eigenschaft dazu: unfruchtbar beispielsweise oder auch schwul. Wer ist also am besten geeignet, das Überleben der Menschheit zu sichern? Und was steckt eigentlich wirklich hinter Mr. Zimits Gedankenexperiment?

Ausgezeichnete Jungdarsteller, viel Humor, wunderschöne und gleichzeitig erschreckende Bilder sowie ein Plot, der zum Nachdenken anregt. So muss fantastisches Kino sein! Also: Was wäre wenn …

Sibirien (Russland)

Brillant: John Malkovich als Mafia-Opa

Brillant: John Malkovich als Mafia-Opa

(Foto: Ascot Elite)

... du irgendwo in der Einöde Sibiriens aufwächst - und dein Opa der Pate der Mafia ist? Ein Pate zudem, der nach einem strengen Verhaltenskodex regiert? Du müsstest dann beispielsweise die Schwachen beschützen. Oder auch die Finger von jedweden Geschäften mit Drogen lassen. Kolyma (Arnas Fedaravicius) ist genau in dieser Lage. Sein Großvater Kusja (John Malkovich) erzieht ihn nach allen Regeln der "Siberian Education" und das hinterlässt Spuren bei dem Jungen. Er beginnt immer mehr, sich die hehren Ziele des Großvaters zu eigen zu machen. Sein bester Freund Gagarin (Vilius Tumalavicius) dagegen gerät auf die schiefe Bahn: Jugendknast, Drogen, Gewalt. Der Weg der beiden ist programmiert, als die wunderschöne, aber geistig zurückgebliebene Xenja (Eleanor Tomlinson) in ihrer beider Leben tritt und eine Spirale der Gewalt losbricht.

Der italienische Regisseur Gabriele Salvatores (Oscar-Gewinner für "Mediterraneo") hat sich die Autobiografie des Sibirers Nicolai Lilin vorgenommen, der in der Urka-Gang in Transnistrien aufwuchs - und diese gekonnt umgesetzt. Das gilt für die Story ebenso wie für die schroffen Bilder und die traumwandlerisch sicher gewählte Musik, die etwa mit David Bowies "Absolute Beginners" aufwartet. Über allem thront aber John Malkovich als in die Jahre gekommener Mafia-Boss mit Ehre, Gewissen und Moral. Grandios!

Frankfurt, Deutschland

Thomas Thieme als skrupelloser Bankboss van Kampen: eine Paraderolle

Thomas Thieme als skrupelloser Bankboss van Kampen: eine Paraderolle

(Foto: Venice Pictures)

Moral? Das ist etwas, was die weltweite Finanzindustrie schon vor langer Zeit verloren hat. Filme darüber gibt es bereits, sei es "Wall Street 2", "Supercapitalist" oder auch "Margin Call". Aber ein deutscher Beitrag fehlte bisher. Das hat sich mit "Robin Hood" von Martin Schreier geändert. Sein Abschlussfilm der Filmakademie Baden-Württemberg, unterstützt von einem großen deutschen Fernsehsender, kann es mit seinen Hollywood-Vorbildern problemlos aufnehmen. Das gilt für die Darsteller-Riege (Ken Duken, Stipe Erceg, Thomas Thieme, Matthias Koeberlin), den Score, das Ambiente, der Action (es wurde mehr und schärfer geschossen als in Til Schweigers ersten "Tatort") und vor allem mit dem Plot: Die Eurozone zerbricht, der Dow liegt bei knapp 6000 Punkten, das Sozialsystem in Deutschland ist kollabiert. Die Banken reagieren mit eiserner Hand und lassen die Wohnungen Tausender zwangsräumen. Auch Alex‘ (Duken) Schwester ergeht es so . Sie bringt sich deshalb um. Alex, Sonderermittler bei der Polizei mit Schwerpunkt Wirtschaftskriminalität, versucht, den Bankchef van Kampen (brillant: Thieme) dingfest zu machen, aber dank dessen Verbindungen bis in die Regierung hinein scheitert Alex‘ Unterfangen.

Alex wechselt daraufhin inoffiziell das Metier und schließt sich einer Gruppe Bankräuber an, um an belastendes Material über van Kampen und dessen Deutsche National Bank zu gelangen. Der Coup gelingt. Aber van Kampen setzt erneut alle Hebel in Bewegung, um seine Macht zu erhalten. Er geht über Leichen - und noch viel weiter.

Das Erschreckende an "Robin Hood": Dieses Szenario könnte in nicht allzu ferner Zukunft bereits eintreten. Aber noch ist es nur eine von mehr als 60 fantastischen Geschichten des Fantasy Filmfests 2013, das in insgesamt 7 Städten an jeweils 9 Tagen Station macht. Die Landung in der Realität verläuft problemlos. Aber was ist schon real?

Zum Fantasy Filmfest-Programm

Quelle: ntv.de

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