Anoushka Shankar und Norah Jones Tribut an den vermissten Vater
05.10.2013, 12:21 Uhr
Auf Spurensuche begibt sich Anoushka Shankar mit ihrem neuen Album: "Traces Of You" ist die erste Zusammenarbeit mit ihrer Schwester Norah Jones. Sie wandeln ein wenig auf den Pfaden des Vaters, Ravi Shankar, aber mit ganz viel Eigensinn. Das passt gut!
Zwei Schwestern, eine schöne als die andere, eine musikalischer als die andere. Und dann noch ein Vater, der von vielen zu Lebzeiten bereits als Gott verehrt wurde. Die Rede ist von Anoushka Shankar, ihrer berühmten Schwester Norah Jones und dem Sitar-Meister Ravi Shankar, der schon Musiker-Legenden wie George Harrison das traditionelle indische Instrument nahe gebracht hat. "George war ein guter Freund der Familie, ich bin mit ihm aufgewachsen", erzählt die 32-jährige Shankar in Berlin und kuschelt sich auf dem Sofa im Grand Hyatt noch ein bisschen mehr in die Ecke. Sehr zart ist sie, die Sitar, das Instrument, das sie bei ihrem Vater gelernt hat, scheint fast ein bisschen zu riesig zu sein für sie. Dann wiederum spricht sie manchmal so energisch und kichert an anderer Stelle, dass es doch leicht fällt, sich vorzustellen, wie sie alles im Griff hat.
Auf ihrem neuen Album "Traces of You" berichtet sie von den Dingen des Lebens: während der Aufnahmen im Dezember 2012 starb ihr Vater, und dieser tiefe Einschnitt im Leben der jungen Künstlerin, Mutter und Ehefrau (ihr Mann ist Joe Wright, Regisseur des Kino-Meisterwerks "Anna Karenina") hat die Arbeit an ihrem Album entscheidend beinflusst. Sie sagt das sehr poetisch: "Dinge enden und Dinge beginnen, und unser Ende ist nicht das Ende, denn das Leben geht nach uns weiter, und wir existieren nach diesem Leben weiter. Viele der schmerzlichsten Dinge in meinem Leben haben zu einigen der schönsten Dinge geführt, die ich je erlebte. Diese Art der Verwandlung war mir sehr bewusst, als ich das Album machte", so Anoushka Shankar.
So kann es nicht weitergehen!
Ganz besonders beeindruckend ist eine solche Aussage vor dem Hintergrund, dass sie erst vor kurzem über eine sehr schmerzliche Phase in ihrem Leben Auskunft gegeben hatte: Shankar ist als Kind von einem Freund der Familie misshandelt worden. "Als Kind durchlitt ich jahrelang sexuellen und emotionalen Missbrauch durch einen Mann, dem meine Eltern bedingungslos vertrauten", sagte Anoushka Shankar in einem Video für die Kampagne "One Billion Rising" (Eine Milliarde erhebt sich), die Gewalt gegen Frauen beenden will. Als sie in Indien aufwuchs, sei sie wie die meisten Frauen in ihrer Umgebung "begrapscht, berührt und beleidigt" worden. Jetzt will gegen diese Missstände ankämpfen: "So kann es nicht weitergehen." Auch das zeigt sie ganz deutlich auf ihrem neuen Album: Der Song "Jyoti's Name" handelt von sexueller Gewalt. "Sexuelle Gewalt ist etwas, das mich immer sehr traurig und wütend macht. Dieser Song ist Ausdruck meiner Trauer und Wut und der Solidarität mit Menschen, die Gewalt und das Trauma, das mit ihr einhergeht, erlebt haben." Auch in dem Stück "Lasya" geht es um das Gleichgewicht männlicher und weiblicher Kräfte.
Überhaupt spiegelt sich ihr ganzes Leben auf "Traces of You": Sie verliebt sich in ihren Mann - das hören wir in "Indian Summer". So lautete auch der Titel des Films, den Joe Wright drehen wollte, als er sich in Neu Delhi aufhielt. "Der Film wurde nie gedreht, aber wir hatten uns verliebt", erinnert sich Shankar. Während des Gesprächs dreht sie so lange an ihrem Ehering, bis er schließlich vom Finger fällt, wir suchen auf dem Boden und sie lacht sich halbtot. "Es wäre nicht gut, ohne den Ring nach Hause zu kommen," sagt sie, es ist aber zu spüren, dass es letztendlich kein Drama wäre.
Der Ring wird gefunden,sie wird wieder ernster: Das meiste auf dem Album dreht sich um ihren Vater, und natürlich auch um die Tatsache, dass ihre Schwester mit auf dem Album ist. "Wissen Sie, es ist immer schwer, wenn man eine Schwester hat, die auf ihre Art viel berühmter ist. Das bringt Vorteile und Nachteile, aber auf diesem Album haben wir es endlich geschafft, unsere Balance zu finden." Norah Jones ist es, deren Lieder man mitsingen kann und deren Hit "Come Away With Me" 2002 für Furore sorgte. Auch im Kino ist sie ab und zu zu sehen ("My Blueberry Nights", "Ted"), aber es kann keine Rivalität zwischen den beiden Halbschwestern geben, zu unterschiedlich ist ihre Stilrichtung, zu unterschiedlich ist auch die Art, wie sie aufgewachsen sind. "Aber jetzt, durch den Tod meines Vaters, passte plötzlich alles zusammen. Mehrere Wochen nach dem Tod unseres Vaters flog ich nach New York, um Aufnahmen mit Norah zu machen. Sie saß am Klavier und probierte eine neue Melodie aus, und die erinnerte mich an ein musikalisches Thema, das unser Vater vor Jahrzehnten komponiert hatte. Sie sagte, dass sie diese Melodie noch nie gehört habe. Das sind die Momente in denen ich weiß, dass es irgendwie weiter geht."
Hoffnung und Trost
Mit "Traces of You" gibt sie ihrer Schwester auf ihrem Album die Bühne frei: "Das Lied ist voller Hoffnung. Menschen, die fort sind, sind in uns immer noch gegenwärtig. Die Orte, von den wir kamen, tragen wir mit zu neuen Orten. Der schöpferische Funke, der uns alle hervorbrachte, lebt in jeder Geburt, in jedem liebenden Herzen und in jedem neuen Lied." Das ganze Album ist eine Geschichte, eine Geschichte, die man sich hintereinander weg anhören kann. "Ja, das war meine Absicht, ich will Geschichten erzählen und Musik machen, die Hoffnung wecken kann", sagt sie im Interview. "Es ist aber eigentlich kein Album speziell für meinen Vater, denn der hat mich mein ganzes Leben lang schon inspiriert, gelehrt und begeistert", fügt sie nachdenklich hinzu. Und: "Ehrlich gesagt gehöre ich nicht zu den Künstlern, die ihr ganzes Leben und alle Gefühle in ihrer Musik verarbeiten, das mache ich schön zu Hause mit meiner Familie und meinen Freunden aus."
Ist es eigentlich schwer, die Sitar zu lernen? "Oh ja, das ist nicht nur ein großes Instrument, sondern auch technisch sehr anspruchsvoll", lacht sie. Und empfindet sie ihre Arbeit als Arbeit oder ist es etwas, das einfach passiert, "raus muss"? "Naja, als ich noch kein Kind hatte, war alles tatsächlich ein bisschen einfacher, jetzt muss ich vielmehr planen. Aber der kreative Prozess des Schreibens und Komponierens ist mir immer noch das Liebste, doch es gibt auch eine Businessseite, und die empfinde ich dann schon als Arbeit." Während sie das sagt, lacht sie aber ...
"Traces of You" ist ab dem 4.10. im Handel erhältlich
Quelle: ntv.de