Ein Müllmann und sein Teppichmesser "Spademan": New York nach der Bombe
29.06.2014, 13:58 Uhr
Mit Pauken und Trompeten geht die Welt den Bach runter. (Cover DVD: "The Divide")
(Foto: Universum Film)
Eine Terrorwelle verwüstet New York. Die Reichen machen es sich in ihren Penthäusern gemütlich, denn sie können sich die Flucht aus der Realität in die virtuelle Limnosphäre leisten. Dort ist dann alles möglich: Pädophilie, Sex, Gewalt, Mord. Aber zum Glück gibt es Spademan.
"Ich töte Männer - und ich töte Frauen, denn ich will nicht diskriminierend sein. Aber ich töte keine Kinder, denn dazu muss man ein echter Psychopath sein. Ich töte für Geld, manchmal auch für andere Arten der Bezahlung. Aber immer aus demselben Grund: Weil mich jemand beauftragt hat. So einfach ist das", sagt Spademan. Er war früher Müllmann in New York, jetzt ist er ein gefühlloser Auftragskiller in dem dreckigen Rest, der von New York noch übrig geblieben ist.
Den pulsierenden Big Apple, der die Touristen aus aller Welt anzog wie das Licht die Motten, gibt es nicht mehr. Zuerst gab es eine Explosion in der U-Bahn. Als die Rettungskräfte damit begannen, die wenigen Überlebenden zu bergen, explodierte eine schmutzige Bombe. Seitdem ist aus der Millionenmetropole eine Kleinstadt geworden, streng geteilt in Arm und Reich. Die einen hausen in einer Art Zeltstadt in dem, was früher der Central Park, die grüne Lunge der Stadt gewesen ist. Die anderen haben sich in ihren privaten Elfenbeintürmen verbarrikadiert und sind an ihre Betten gefesselt, im übertragenen Sinn gesprochen.
Während die Armen ums nackte Überleben kämpfen, stöpseln sich die Reichen, in teuren aufgemotzten Krankenhausbetten liegend, in die Limnosphäre ein. Virtual Reality, superschnelles Internet gepaart mit der Möglichkeit, der tristen und gewalttätigen Realität zu entfliehen. Nicht, dass die Limnosphäre gewaltfrei wäre. Weit gefehlt. Aber es macht doch schon einen Unterschied, ob mein Auto von einer Granate in die Luft gesprengt wird oder ob ich meinen Gewalt- und Sex-Fantasien freien Lauf lassen kann.
Welche Welt kaputter ist, darüber kann Spademan nur philosophieren. Aber er selbst lässt die Finger von den Krankenhausbetten und Nährlösungsbeuteln. Er für seinen Teil versucht im Hier und Jetzt, also in der kruden Realität, zurechtzukommen. Sein Job hilft ihm dabei. Früher war Spademan Müllmann, hatte eine Frau, nun ist er dank der Anschläge zwar ohne Frau, aber irgendwie immer noch Müllmann. Und das kann er sehr gut - mit seinem Teppichmesser und dem Zugang zu einer Verbrennungsanlage entsorgt er nun den menschlichen Müll einer dem Tod geweihten Stadt - kühl und distanziert: ein Telefonat. Ein Name. Geld im Voraus. Kein weiterer Kontakt. Ende der Geschichte.
Das Paradies sieht anders aus

Adam Sternbergh
(Foto: Random House Audio )
Doch als er den Auftrag bekommt,"Persephone" umzubringen, gerät seine Welt ins Wanken. Sie ist 18, also kein Kind mehr. Kein Problem, ihr mit dem Teppichmesser auf die Pelle zu rücken. Aber sie ist auch schwanger - und das ändert für Spademan alles.
Persephone heißt eigentlich Grace. Sie ist die Tochter von T.K. Harrow, einem Fernsehprediger, unchristlich reich, mit Verbindungen in die hohe Politik - man munkelt, der letzte US-Präsident sei nur durch ihn in Amt und Würden gekommen. Die Schwangerschaft, sagt Grace zu Spademan, habe sie übrigens ihrem Vater zu verdanken. Deshalb sei sie auch zu Hause ausgebüxt.
Nun hat Spademan ein Problem, naja, eigentlich eine ganze Menge. Er kann Grace nicht töten. Aber das hindert nicht andere, ihr ans Leder zu wollen. Und das wiederum bringt auch Spademan selbst ins Fadenkreuz. Er muss mit T.K. Harrow reden, direkt, von Mann zu Mann. Doch der Prediger will Spademan nur in der Limnosphäre empfangen. Als Spademan dort auftaucht, weiß er auch warum: Harrow macht Spademan ein Angebot, das dieser unmöglich ablehnen kann: Er verspricht ihm den "Himmel auf Erden". Wie entscheidet sich Spademan?
Böse, sarkastisch, himmlisch!

Christoph Maria Herbst: Schauspieler, Autor, Komiker und Synchronsprecher.
(Foto: picture alliance / dpa)
Göttlich, dieser "Spademan" . Ausgedacht hat ihn sich der "New York Time Magazin"-Redakteur Adam Sternbergh. Wer will, kann Anleihen bei Sam Spade von Dashiel Hammett finden. Sternberghs Buch, erschienen bei Heyne, ist aber vielmehr eine gelungene Kreuzung aus einem Hardboiled-Krimi - schnell, schmutzig, direkt - und einer Science-Fiction-Geschichte a la "Otherland" von Tad Williams. Spademan spricht nicht viel, die Sätze sind kurz, seine Aussagen aber hart, präzise und treffsicher - wie Spademans Lieblings-Tötungswerkzeug.
Die Figur ist sofort sympathisch, trotz des zweifelhaften Berufs eines Auftragskillers. Aber wer will es Spademan verdenken, der doch in einer Welt lebt, in der schmutzige Bomben, Überfälle und explodierende Autos zur Normalität gehören; eine Welt, in der das Gassi gehen mit dem Hund für Herrchen und Töle zumeist tödlich endet; eine Welt, in der nur der Stärkere oder der Reichere überlebt. Und Spademan gehört nun einmal nicht zur letzteren Gruppe. Das würde auch nicht zu ihm passen, denn Spademan "arbeitet" für sein Geld.
Ein Herbst in all seinen Facetten
Die Story, die Figur, das Ambiente, die Dia- und Monologe - all das sorgt für Kurzweil und eine spannungsgeladene, düstere, unwirtliche Stimmung, die vor allem männlichen Lesern gefallen dürfte. Diese Stimmung transportiert auch das Audiobook von "Spademan". Gelesen wird es von Christoph Maria Herbst. Das mag anfangs erst einmal komisch klingen, schließlich ist dieser in erster Linie als Komiker hierzulande bekannt. Wenn man seine "Stromberg"- oder auch "Er ist wieder da"-Intonation aber erst einmal verdrängt hat, erkennt man das enorme Potenzial von Herbsts Stimme.
Herbst spricht alle Personen des Audiobooks, vom Auftragskiller Spademan über die 18-jährige Schwangere Grace bis hin zu Barkeepern, Krankenschwestern, Chauffeuren - und auch das Böse in Predigergestalt, T.K. Harrow. Er klingt dabei süffisant, lakonisch, verträumt, aufbrausend, unaufgeregt und hektisch. Herbsts Stimme ist es, die Sternberghs "Spademan" eine ganz besonders intensive Atmosphäre verleiht - und die einen von der ersten bis zur letzten Minute der knapp sechseinhalb Stunden dauernden "Lesung" angenehm begleitet. Langweilig, wen wundert das, wird es dabei nie: "Ich war mal Müllmann. Jetzt töte ich Leute. Ende der Geschichte."
Quelle: ntv.de