Musik

Die menschliche Barockorgel Bobby McFerrin ist wieder da

Licht, Mikro, Stimme: Mehr braucht man nicht, wenn man Bobby McFerrin heißt.

Licht, Mikro, Stimme: Mehr braucht man nicht, wenn man Bobby McFerrin heißt.

(Foto: REUTERS)

Erfolg ist wie eine goldene Schallplatte mit einer strahlenden Oberfläche und einer eiskalten Schattenseite. Endlich gibt's das neue Album: Ein Ausnahmetalent ist wieder da.

Wer kennt das unselige "Don't worry, be happy" nicht, den Welt-Radioschlager des Jahres 1988? Es ist ein kleines, nahezu perfektes Stück, eigentlich ein Juwel für sich, das nur durch skrupellose Dauerwiederholung zur Dudelnudel abgestiegen ist.

Wer sich an diesem Lied einmal überhört hat, dem ist kaum zu helfen. Ihm droht ein Schicksal nahe der ewigen Verzweiflung. Er läuft Gefahr, niemals Zugang zu einer einzigartigen Welt zu erhalten, einer Welt, in der ein meisterhafter Virtuose seine musikalischen Kreise um eines der ältesten Instrumente dieses Planeten zieht: die menschliche Stimme.

Vater McFerrin - Daddys Voice.

Vater McFerrin - Daddys Voice.

(Foto: ASSOCIATED PRESS)

Bobby McFerrin, geboren 1950 als Kind zweier klassisch ausgebildeter Stimmen, verbringt der Legende nach große Teile seiner Kindheit unter dem Klavier seines Vaters, wo er den Gesangsproben des ersten afroamerikanischen Bariton-Tenöre in der Geschichte der New Yorker Metropolitan Opera lauscht. Früh beginnt er mit der Klarinette. Erst als ihm eine Zahnspange sein Lieblingsinstrument verleidet, wechselt er an den Flügel. In seiner Jugend, so heißt es zumindest in der offiziellen Biografie, fühlt er sich zum Priesteramt berufen. Die Musik ist stärker.

Als Pianist spielt er in Clubs und Bars. Mit den "Ice Follies" - einer Art Erfolgsmusical auf Kufen und Vorläufer von "Holiday on Ice" - tourt er versteckt in der Orchesterbegleitung durchs Land. Erst die kühn ins Freie improvisierten Live-Konzerte von Jazzlegende Keith Jarrett stoßen ihn auf das, was längst in ihm verborgen liegt: 1979 beginnt er seine Solo-Karriere als Jazz-Vokalist.

Wenn dem Logopäden schwindelt

McFerrin vertraut ganz auf seine Stimme. Über vier Oktaven spielt er seinen Kehlkopf bis in jene Bereiche aus, in denen Logopäden und Sprachtherapeuten schwindlig wird. Seine als halsbrecherisch gerühmten Wechsel zwischen Bauch- und Kopfstimme locken Enthusiasten an, seine Brückenschläge zwischen Jazz, Folk-Elementen und Klassik füllen die Säle.

Sein Ruf als Ausnahmekünstler wächst von Konzert zu Konzert: McFerrin greift auf eine reich gefüllte Kiste virtuoser Gesangstechniken zurück. Seine Stimme gleicht in Ausdruckskraft und Komplexität einer menschlichen Barockorgel - und wer ein Konzert mit ihm erlebt hat, weiß, dass McFerrin alle Register zieht. Und das nur aus purer Freude an Harmonien, Klang und Ideen.

Um zu begeistern, braucht er eigentlich nicht mehr als einen windstillen Augenblick. Barfuss im halbdunkel der Bühne stehend vollbringt Bobby McFerrin erstaunliche Dinge; er singt zum Beispiel den Trompetenpart in Miles Davids Jazzstandard "Round Midnight". In vielen Rhythmus-Stücken begleitet er sich selbst. Als unsterblicher Augenblick gilt in manchen Kreisen vor allem aber jenes Konzert, in der "Stimmwunder" McFerrin zum ersten Mal zu Johann Sebastian Bachs Präludium Nr. 1 in C-Dur anhob - ein Stück, das geschrieben fürs Klavier und unter dem Titel "Ave Maria" bekannt selbst hartgesottenste Zuhörer ohne weiteres zu Tränen rühren kann.

Keine "Performance", keine Show, kein Schnickschnack: "The Voice" füllt die Bühne mit Talent und Persönlichkeit.

Keine "Performance", keine Show, kein Schnickschnack: "The Voice" füllt die Bühne mit Talent und Persönlichkeit.

(Foto: REUTERS)

Zuerst singt McFerrin selbst, und wer die Augen schließt hat Mühe daran zu glauben, dass er tatsächlich nur einer einzigen menschliche Stimme lauscht. Dann beginnt er das Publikum zu dirigieren. Unter glänzenden Augen öffnen sich im Dunkeln tausende Münder und auf der Bühne steht plötzlich ein Mann, der nicht etwa einen sentimentalen Laienchor leitet, sondern ein Publikum spielt als wäre es ein mächtiges, tausendköpfiges Instrument.

Verhexte, willenlose Radiotypen

1988 schließlich kam der Hit, der mit der bescheidenen Zeile "Here's a little song I wrote" beginnt und dank der Einfallslosigkeit der deutschen Radiolandschaft so oft gespielt wurde, dass er mittlerweile allergische Reaktionen auslöst. In fast jedem Land dieser Erde, in dem so etwas ähnliches wie Single-Charts veröffentlicht werden, stand "Don't worry, be happy", eine Auskopplung aus dem Album "Simple Pleasures", auf Platz 1. Das Lied soll in einer Aufnahmepause im Studio entstanden sein, nebenbei.

Unter dem Eindruck der plötzlichen Popularität, dem "Geschmack des Pop-Superstartums" wie es in seiner Biografie zu diesem Wendepunkt in seinem Leben heißt, reagiert Bobby McFerrin mit dem einzigen Schritt, der ihm nun sinnvoll erscheint: Er zieht sich zurück. Nimmt ein Sabbatical. Eine Auszeit von seiner bisherigen Karriere als Jazz-Sänger.

Mehrsprachig, vielstimmig, durchkomponiert: Mehr als 50 Gesangstalente tragen Organ, Erfahrung und Hingabe zum Vocabularies-Erlebnis bei.

Mehrsprachig, vielstimmig, durchkomponiert: Mehr als 50 Gesangstalente tragen Organ, Erfahrung und Hingabe zum Vocabularies-Erlebnis bei.

Während Grammys, goldene Schallplatten und der ganze Trubel auf seinen Namen einprasseln, klopft er bei Leonard Bernstein an und beginnt eine Ausbildung als Dirigent.

1990, zwei Jahre später, leitet er das San Francisco Symphony Orchestra durch ein viel beachtetes Konzert. Es ist sein 40. Geburtstag. Daneben spielt er mit Jazz-Legenden wie Chick Corea oder Herbie Hancock. Mit seinem Freund Yo-Yo Ma nimmt er eine Platte auf, die unter ihren Händen umstandslos Goldstatus erreicht und mehr als zwei Jahre nicht aus den US-Klassikcharts weichen mag.

Der Klassik-Botschafter

Seitdem tourt er durch die Welt - als Klassik-Botschafter für Kinder, als gefeierter Jazz-Vokalist oder als Dirigent mit Klangkörpern wie den Symphonikern aus Chicago, den New York Philharmonic, dem Leipziger Gewandhausorchester oder den Wienern Philharmonikern. Aus den Radios ist er längst verschwunden.

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(Foto: ASSOCIATED PRESS)

Für 2010 nun gibt es ein neues Album: "VOCAbuLarieS" erscheint am 2. April und vereint vieles von dem, was das Denken und das Empfinden dieses Mannes ausmacht. Sieben Jahre hat er zusammen mit dem Komponisten Roger Treece daran gearbeitet. Entstanden ist "seine persönliche Klangwelt für das 21. Jahrhundert", gesungen in 15 bis 16 Sprachen (je nach Zählung), solo, im Chor und miteinander.

"Musik ist heute so allgegenwärtig und verfügbar, dass wir sie gar nicht mehr wahrnehmen", meint Bobby McFerrin. "Es hilft, wenn wir wieder lernen, die Augen zu schließen, ruhig zu werden und uns bewusst zu sein, dass uns das, was wir gerade hören, so noch nie begegnet ist."

Vergessen Sie also die Radio-Sache. Vergessen Sie den Zuckerguss, den Ruhm, den Pop, den ganzen Kram. Schieben Sie das einfach alles beiseite. Um Himmels willen, vergessen Sie "Don't worry"! Besorgen Sie sich stattdessen diese Platte, tragen Sie sie nach Hause, schalten Sie das Telefon ab und drehen Sie Ihre Anlage schön weit auf. Hören Sie einfach tief hinein. Sie werden es nicht bereuen.

Quelle: ntv.de

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