Musik

Muss man gehört haben Die Frauenstimmen des Sommers

Dieses Gefühl von Freiheit - und ein Plattenvertrag, bitte!

Dieses Gefühl von Freiheit - und ein Plattenvertrag, bitte!

Einige sind in Deutschland in ihrer Indie-Ecke etabliert wie die glorreiche Sharon Van Etten, andere sind Stars in ihrem Land wie die schwedischen Schwestern Söderberg von First Aid Kit oder die Wortakrobatin Kate Tempest in Großbritannien, andere wiederum müssen noch einen Plattenvertrag in Deutschland finden wie Courtney Barnett und Sabina.

First Aid Kit - Soundtrack für den Sommer

Den Anfang machen die glockenklaren Stimmen von Johanna (23) und Klara (21) Söderberg, die als "First Aid Kit" am 6. Juni ihr neues Album "Stay Gold" herausbringen und alle Zeichen stehen auf Soundtrack für den Sommer 2014. Der wunderschöne Harmonie-Gesang des Folk-Duos wirkt wie erfrischendes Brunnenwasser in träger Sommerhitze. Die beiden Schwedinnen sorgten schon 2012 für Aufsehen mit ihrem verheißungsvollen Album "Lion's Roar", auf dem sich der großartige Countrysong "Emmylou" findet, der in ihrer schwedischen Heimat auch von Kronprinzessin Victoria mitgeträllert wird. "First Aid Kit" genießen in ihrer skandinavischen Heimat Adele-Status, aber auch international machten sie sich einen Namen. Um Coolness-Punkte zu sammeln, verkündete der britische Premierminister David Cameron unlängst, dass er sich samt Gattin in das Konzert der talentierten Schwedinnen geschmuggelt habe. Patti Smith brachten sie sogar zum Weinen, als sie deren "Dancing Barefoot" darboten, Paul Simon dazu, die schwedische Hofetikette zu ignorieren, denn er war so begeistert, dass er vor dem verdutzten schwedischen König Carl Gustaf aufstand, um den beiden Beifall zu klatschen.

Die Söderberg-Schwestern fingen schon früh mit dem Komponieren an und ließen mit dem wachsenden Erfolg ihre schulische Ausbildung sausen. Das verstanden ihre Eltern - Papa Söderberg war selbst mal Popstar und begleitete seinen Nachwuchs bei deren Konzerten um die Welt. Die schönen Arrangements haben die Skandinavierinnen zum Teil ihrem Produzenten Mike Mogis zu verdanken. Für "Stay Gold" holte er sich die Hilfe des Omaha Symphonie-Orchesters und so gibt es auf dem neuen Album einen epischeren Sound - sattes Cello, sphärische Flötentöne und auch die eine oder andere Klarinette taucht auf. Der Walzer "Cedar Line" lädt vordergründig zum Schunkeln ein, würde man nicht auf den Text achten. Die Schwestern waren die vergangenen Jahre ständig auf Achse und das merkt man den Texten an. Sie sind trauriger - bei "Master Pretender" trauern sie ihren Lieben hinterher, die in der schwedischen Heimat bleiben mussten. Und sie werden weiter auf Johanna und Klara warten müssen, denn beide werden nun auf ausgiebige Tour gehen und erst im Herbst auch nach Deutschland kommen.

Sharon Van Etten: Herzschmerz-Königin

Sharon Van Etten kann zwar keine Kronprinzessin zu ihren Fans zählen, aber das wird die 33-Jährige verschmerzen können, denn ihr viertes Album "Are We There" wird weltweit von der Kritik abgefeiert. Der Sound hat sich auch ein wenig verändert, sie lässt sogar ein bisschen Soul und Jazz zu. Das epische "Your Love Is Killing Me" bildet den Mittelpunkt des neuen Werks und Sharon Van Etten lässt hier ihr Herz bluten. Auch auf früheren Werken ließ sie ihrem Kummer freien Lauf und verarbeitete eine schlimme Beziehung, denn ihr Ex-Freund schien eher ein Fürst der Finsternis zu sein, der seine Freundin jahrelang manipulierte und so unterdrückte, dass sie überhaupt nicht den Mut fand, selbst Musik zu machen und auch jeglichen Kontakt zu ihren Eltern abbrach. Aber dieser Schreckenskerl ist zum Glück Geschichte und dient nur noch als Inspiration für tieftraurige Lieder.

Und es ist auch nicht alles tiefschwarz, was aus der Feder von Sharon Van Etten fließt - in dem von Country angehauchten "Every Time The Sun Comes Up" heißt es doch optimistisch: "People say I'm a one hit wonder, what happens when there are two". Ach, man braucht sich wohl keine Sorgen um Van Etten zu machen, die gerne mit P.J. Harvey und Cat Power verglichen wird. Mit den eingängigeren Melodien von "Are We There" sollte sie über den Status als Kritiker-Liebling hinausgelangen und ein größeres Publikum finden - die Welt braucht Lieder für den Liebeskummer und die Amerikanerin ist dafür die beste Adresse.

Kate Tempest - wahrhaftige Sprachkünstlerin

Kate Tempest hat sich in der britischen Szene bereits als Poetin etabliert und auch schon beeindruckende Preise gewonnen, nun überträgt sie die Poesie der Straße auf ihrem Debütalbum "Everyone Down" mit ihrem rotzigen Südlondoner-Akzent in superschnelle Raps - die man als Nicht-Muttersprachler erstmal verstehen muss. Aber es lohnt sich, genau hinzuhören, denn die Sprachkünstlerin erzählt auf diesem Album die Geschichte von Becky, Pete und Harry - Verlierern ohne Perspektive, der eine arbeitslos, die andere hält sich mit zweifelhaften Jobs über Wasser, um ihr Studium zu finanzieren, der andere rutscht in die Kriminalität ab. Tempest versteht es, die Gefühlswelt junger Briten mit klarem Blick zu beschreiben - ein nicht unerheblicher Teil von ihnen bürdet sich enorme Studienschulden auf und kann sich nicht sicher sein, als Belohnung später gut bezahlte Jobs zu ergattern. Andere Jugendliche finden erst gar keine Arbeit, von einer richtigen Ausbildung ganz zu schweigen.

Es ist also keine rosarote Wattewelt, von der Tempest da erzählt. Was den Rap betrifft, merkt man ihr schon an, dass sie aus der Poetry-Slam-Ecke stammt, Inhalt kommt vor Songstruktur, auch ändert sie ihre Stimme, wenn sie die Erzählerperspektive wechselt. Ebenso wechselt der Beat - Produzent Dan Carey, der schon für "Bat for Lashes" gearbeitet, holt den passenden Klangteppich für jeden Ortswechsel in dieser Sozialstudie. Mal ist es wummernder Bass, dann wieder Dance-Pop, der den passenden Hintergrund für diese elf unerbittlichen Geschichten liefert - je weiter die Story voranschreitet, desto schwerer wird auch der Sound. Es ist interessant, dass Tempest dann aber noch einen Song auf das Album gepackt hat, der aus der Erzählstruktur herausbricht - die Single "Beigeness" hat nichts mit Becky, Pete und Harry zu tun und wirkt auch leichter und eingängiger, eben radiokompatibel. Trotzdem sollte man sich den anderen Songs nicht verschließen, denn sie zeugen von großem Sprachgefühl und eindringlichen Beschreibungen.

Zugabe: Zwei, die es zu entdecken gilt

Courtney Barnett - Lieder voller Lakonie

Auch bei den Texten von Courtney Barnett sollte man gut zuhören, denn sie sind mit viel Mutterwitz geschrieben und vorgetragen. Allein für den Song "Avant Gardener" könnte man die 26-Jährige knutschen - hier beschreibt sie voller Lakonie eine Panik-Attacke an einem glühend heißen Sommertag. Ihr Gesangsstil ist eher erzählerisch, was zu den coolen Indie-Gitarren auch wu nderbar passt.

Im angloamerikanischen Raum kennt man die Musikerin bereits und sie kann einiges vorweisen: In den USA trat die Künstlerin in der "Tonight Show" auf und Ende Juni darf sie beim Glastonbury Festival auf der Park Stage spielen - da, wo die Hipster auftreten. Das alles nimmt sie aber in typischer australischer Manier sehr gelassen und will sich auch von dem wachsenden Ruhm nicht aus der Ruhe bringen lassen. Ende des Jahres kommt ihr Debütalbum heraus und man wünscht ihr auch in Deutschland ein Publikum.

Sabina - "Marlene Dietrich unserer Tage"

Man gilt ja immer nix im eigenen Land und so ist es Sabina Sciubba auch nicht vergönnt, einen deutschen Plattenvertrag zu haben. Die 39 Jahre alte Tochter einer Deutschen und eines Italieners wurde in Rom geboren und wuchs in Italien, Deutschland und Frankreich auf.

Später zog es sie für zehn Jahre nach New York, wo sie Mitglied der Indie-Darlings Brazilian Girls wurde, einer Band, die Elektro-Pop mit Chanson, Reggae und Tango vermischte. Mittlerweile wohnt die Mutter zweier Kinder mit ihrem Freund in Paris und hat in diesem Jahr in Großbritannien ihr Debütalbum "Toujours" vorgelegt.

Sabina Sciubba, die nun als Sabina firmiert, hat eine dunkle rauchige Stimme, die ein bisschen an Nico erinnert und die man so schnell nicht aus dem Kopf bekommt, wenn sie gleich in mehreren Sprachen ihre Lieder vorträgt.

Ihr "Sailor's Daughter", auf deutsch und englisch gesungen, hat eine hypnotische Wirkung, der man sich kaum entziehen kann. Der Song wurde auf dem britischen Hipster-Sender BBC Radio 6 Music rauf und runter gespielt. Die "Marlene Dietrich unserer Tage", wie sie euphorisch vom britischen "Uncut"-Magazin bezeichnet wurde, kann man sich wunderbar in den Jazz-Clubs dieser Welt vorstellen - und hoffen wir mal, dass sie es auch nach Deutschland schafft.

Quelle: ntv.de

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