Vom groben Hobel zur Feinarbeit In Fritz Kalkbrenners Triumphwagen
15.10.2014, 16:00 Uhr
Später mal ein Bootsverleih? Oder Äpfel verkaufen in der Uckermarck? Warum nicht ...
Fritz Kalkbrenner ist der Intellektuelle der Techno-Szene. Er benutzt Wörter wie kongruieren und postulieren und hätte zu seiner Zeit als Journalist gern den Schriftsteller und Publizisten Hans Magnus Enzensberger interviewt. Der Live Act und Produzent hat ein umfassendes Musikwissen, das er selbst "enzyklopädisch" nennt. Entsprechend akademisch geht er an seine eigenen Tracks ran. Im Interview zu seinem neuen Album "Ways Over Water" spricht Kalkbrenner aber auch über Demut und den ständigen Gedanken des Karriereendes.
n-tv.de: Die Büste von dir auf dem Albumcover sieht sehr erhaben aus …
Fritz Kalkbrenner: Ich glaube, elegisch wäre ein passendes Wort. Es kongruiert sehr gut mit dem Albumtitel, der Metapher und dem, was ich versucht habe, auszudrücken. Das ist jetzt keine Selbstbeweihräucherung, da bin ich weit von entfernt.
Wenn man deine Büste mit dem Titel "Ways Over Water" in Zusammenhang bringt, könnte man aber fast auch "Der Mann, der übers Wasser geht" interpretieren.
Nein, dazu bin ich ein viel zu großer Freund des Atheismus. Was mich umgetrieben hat, ist: Wenn ein Mensch mit wirklich ernsthaften Problemen konfrontiert ist - ein Familienmitglied verstirbt oder er kann die Miete nicht mehr zahlen - und diese unüberwindbar erscheinen, erst dann beginnt die Auseinandersetzung, der Versuch, den Weg übers Wasser gangbar zu machen.
Wie gehst du persönlich mit ernsthaften Problemen um?
Es hat auch schon Sachen gegeben, an denen ich erst mal verzweifelt bin. Und das auch nicht nur für kurze Zeit. Ich bin nicht so ein großer Optimist. Ich hab bis jetzt noch immer alles überwinden können, aber das war auch nicht leicht. Ich bin nicht der, der unbeschwert und ohne Ballast ist.
Die Sachen, an denen du schon mal fast verzweifelt bist …
Da kann man nicht drüber reden.
Dann etwas anderes: Für einen Live Act, der ständig durch die Welt jettet, veröffentlichst du mit einem Zwei-Jahres-Rhythmus in einem sehr straffen Zeitrahmen.
Das ist richtig harte Arbeit. Letzte Woche war ich für zwei Tage in China, dafür war ich noch mal zwei Tage in der Luft. Der Vorteil an der Sache ist, dass es nicht von sieben bis drei nach der Stechuhr geht. Man hat auch mal frei und kann wieder aufladen. Mir erscheint das gar nicht als ein Hexenwerk. Man guckt sich seinen Kalender an und malt große Blöcke rein, in die man vage einträgt, welche Arbeit man macht und wie weit man vorbereitet ist. Unter der Woche wird wie am Fließband gearbeitet und am Wochenende wird dann gespielt. Ich habe auch dieses Jahr schon 80 Shows gespielt, man bekommt das hin.
Auf deinem neuen Album sind überraschenderweise Bläser zu hören. Warum wolltest du die dabei haben?
Ich wollte nicht etwas machen, was sich den Vorwurf gefallen lassen muss, eine Kopie vom letzten Album zu sein. Da war der Gedanke, was kann ich mal versuchen, um einen neuen Einfluss reinzubringen? Ich bin schon immer ein großer Bläserfreund gewesen. Die Unschärfe dieses Instruments, Vibrato-Varianzen, diese unglaubliche Wärme und Textur - das geht jetzt etwas ins Detail. Aber da dachte ich: Das möchte ich einbinden.
Der Unterschied zwischen Album eins und zwei scheint aber größer zu sein als jetzt der zwischen Nummer zwei und drei.
Die Varianz wird wahrscheinlich kleiner. Ich ertappe mich dabei, dass man sich stilistisch ein bisschen statuiert. Man findet irgendwann seinen Platz, und dann versucht man zwar, noch zu variieren, aber man ist grounded, wie man im Englischen sagen würde. Man hat ein Wunschbild, welchen Klang oder Stil man haben will und wenn man dem immer näher kommt, dann verändert man natürlich immer weniger.
Wenn es jetzt mehr um die Feinarbeit ging, was war dir dabei dann besonders wichtig?
Man muss schon zugeben, dass man bei den ersten Sachen noch mit einem sehr groben Hobel gearbeitet hat. Man kommt immer näher daran, dass man Dinge wichtig findet, die man früher überhaupt nicht beachtet hat. Wenn man ein Streicher-Element hat, dass man die auf jeden Fall nach links setzt. Im Orchester sitzen die Streicher vom Zuschauer aus gesehen ja auch links. Früher wäre mir das total egal gewesen.
Du gehst angeblich gern ein Risiko ein. Was war das große Risiko dieser Platte?
Es gibt ein paar Nummern auf dem Album, mit denen man unter Umständen den einen oder anderen vor den Kopf stößt. "Front of the World" ist schon fast eine Afrobeat-Nummer. Da muss ich saure Gesichter riskieren. Es ist aber besser, es so zu machen, als willfährig einer Erwartungshaltung hinterherzuhecheln. Zu sagen: Ich gebe dem Affen genau den Zucker, den er haben möchte. Man hat eine Fan-Basis, und die soll man auch nicht mit Füßen treten, aber ich glaube, die Beziehung ist nicht so symbiotisch, wie manche postulieren.
Du singst auch, allerdings treten Lyrics in der elektronischen Musik doch stark in den Hintergrund. Würdest du dir wünschen, textlich mehr Gehör zu finden?
In der Szene werden die Vocals, der Inhalt oft noch recht stiefmütterlich behandelt. Ich selber möchte nicht die Deutungshoheit haben und eingrenzen, was Leute denken, freue mich aber sehr, wenn derjenige von allein drauf kommt. Die neuen Zeiten haben die Musik ein bisschen zum Beiwerk degradiert. Sie wird weniger zelebriert als früher, was schade ist. Ich hoffe natürlich inständig, dass es den einen oder anderen gibt, der sich damit als Zuhörer genauso sehr auseinandersetzt, wie ich das gemacht habe.
Als du 2012 das Album "Sick Travellin'" veröffentlicht hast, hast du gesagt, der Titel sei auch als Warnung gemeint, weil es im Techno einen schmalen Grat zwischen Exzess und Vernunft gebe. Hast du selbst diese Warnung beherzigt?
Ja, auch ich werde ja älter. Die Balance wurde gefunden, die unausgeglichenen Zeiten gehören der Vergangenheit an. Da bin ich ganz froh drüber. Kann aber auch sein, dass die wiederkommen. Männer ereilt ja öfters mal ein zweiter Frühling.
Wie lange kann man so ein Leben als DJ in der Regel führen?
Es gibt ein paar Granden, die schon um die 50 und in Ehren ergraut, aber auf bizarre Art und Weise jung geblieben sind. Die machen immer noch die Kalender voll. Man gewöhnt sich dann gewisse Tricks und Kniffe an. Auf Tour schläft man, wo man kann. Machen die in der Politik ja auch nicht anders. Außenminister Frank-Walter Steinmeier nickt wahrscheinlich im Flugzeug sofort ein. Oder Bundeskanzlerin Angela Merkel, die hat ja auch immer eine kurze Nacht.
Du hast auch schon laut darüber nachgedacht, dass du nach der Musikkarriere in der Uckermark Äpfel verkaufen könntest.
Ja, das ist so eine in Worte gekleidete Fantasievorstellung. Ein Bootsverleih im Havelland ist auch nicht unromantischer. Das ist der stetig mit mir gehende Gedanke des Abschiedes aus diesem Rummel. Ich finde es ganz gut, dass der mich dauerhaft begleitet. Es kann ja sein, dass alles in zwei Jahren vorbei ist, dann kräht kein Hahn mehr nach mir. Das ist ein bisschen so wie bei den Römern, wo im Triumphwagen immer der Sklave dabei war, der dem Triumphator die ganze Zeit ins Ohr flüsterte: "Auch du stirbst."
"Demut ist wichtig", hast du 2010 in einem Interview gesagt. Musst du dich vier Jahre und viele Erfolge später manchmal an diesen Satz erinnern, damit du das nicht vergisst?
Den muss man sich vergegenwärtigen und da muss man auch ein bisschen kräftiger dran festhalten. Jetzt bin ich da wieder eher angekommen. Zwischenzeitlich hat man ja mal einen kleinen Höhenflug gehabt (lächelt). Aber das sollte weiter die Maxime sein.
Du warst auch mal Journalist. Wen hättest du damals noch gern interviewt?
Hans Magnus Enzensberger. In der Zeit, in der er keine Interviews gegeben hat. Das wäre ein Traum gewesen. Ich weiß gar nicht, welchen Artikel ich dann hätte schreiben sollen. Einfach nur so zum eigenen Erkenntnisgewinn.
Auch deine Eltern sollen zu den Shows von dir und deinem Bruder Paul gehen.
Bei dem Konzert Ende Januar in Berlin wird aller Wahrscheinlichkeit nach die ganze Familie, die ganze Rasselbande aufschlagen. Das ist recht einvernehmlich. Es gibt ja Leute, die nicht nachvollziehen können, was ihre Kinder da so treiben und die sagen: die mit ihrem Radau. Das ist bei uns glücklicherweise nicht so. Erfolg gibt ja auch manchmal recht.
Mit Fritz Kalkbrenner sprach Nadine Emmerich
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Quelle: ntv.de