"So ein böser Onkel wie ich!" Marilyn Manson entdeckt den Blues
16.01.2015, 08:32 Uhr
So blass, so verschwommen - der Mann muss mehr auf sich achtgeben ...
Marilyn Manson mag es kühl und dunkel. Das Enfant terrible der US-Rockszene sitzt um 11 Uhr morgens in der schummrigen Keller-Bar des Berliner Soho House und spricht mit unverwechselbar tiefer Stimme. Seine schweren Silberringe klimpern, das schwarze Leder knirscht, sein rubinroter Lippenstift glänzt. Trotz seiner kunstvollen Erscheinung wirkt der 46-Jährige sehr menschlich: Er lacht oft, was den Blick freigibt auf seine metallenen Zahnkronen. Als er vom Tod seiner Mutter erzählt, möchte man ihn gar trösten!
Das war nicht immer so: Früher trat der Schockrocker am liebsten mit Prothesen auf oder im alienmäßigen Ganzkörperkostüm. Streng gläubige US-Amerikaner demonstrierten gegen seine Konzerte, nicht wenige machten ihn auch indirekt für den Amoklauf an der Columbine High School im Jahr 1999 verantwortlich. Mit Burlesque-Tänzerin Dita von Teese war er kurzzeitig aber auch mit einer der tollsten Frauen verheiratet. Die Anerkennung, die Manson jüngst als Serienschauspieler in "Sons Of Anarchy" erhielt, bewahrte ihn vor dem Karrieretief und sein neuntes Werk "The Pale Emperor" ist sein bestes Album seit den Neunzigern – da sind sich Kritiker einig.
n-tv.de: Mr. Manson, wie geht’s Ihnen an diesem Morgen?
Marilyn Manson: Ich habe einen leichten Wodka-Hangover. Ich habe gestern Billy Corgan von den Smashing Pumpkins hier im Hotel getroffen, den hatte ich bestimmt zehn Jahre nicht mehr gesehen!
Sie beide gehören zu den wenigen Überbleibenden der Neunziger-Rock-Helden!
Mag sein. Lustigerweise war es Billy, der mir meine erste Gitarre gegeben hat – von der ich allerdings nicht mal mehr wusste, wie man sie spielt. Sie war rot, eine Vintage-Gitarre. Ich habe sie irgendwann auf der Bühne zerlegt und dann wieder repariert. (lacht)
Auf Ihrem neuen Album "The Pale Emperor" gibt es zwar auch heftige Gitarren, aber die Platte steht in erster Linie für die Verknüpfung von Musik und Film.
Das hoffe ich! Ich habe immer versucht, Platten zu machen, die wie Filme klingen und irgendwie hat das Schicksal wohl mit reingespielt, dass Filmkomponist Tylor Bates meinen Weg kreuzte. Man kennt ihn durch seine Arbeiten für "Halloween", "Watchmen" und "Guardians Of The Galaxy". Ich habe ihn das erste Mal getroffen, während ich in der US-Serie "Californication" mich selbst gespielt habe. Damals haben wir zwei noch nicht viel Musikalisches zustande gebracht. Aber als ich gerade mit dieser Platte anfangen wollte, rief er mich an. Wir haben viele der Songs gemeinsam im Studio geschrieben, das habe ich zuvor noch nie mit jemandem gemacht. Ich will künftig öfter mit anderen Leuten zusammenarbeiten.
Sie haben gesagt, auf der Platte würde erstmals Ihre Bauern-Stimme durchkommen. Das klingt amüsant!
Als ich das erste Mal nach Europa kam, haben mir tatsächlich alle gesagt, ich hätte diese Südstaaten-Sprechweise. Dabei bin ich aus Ohio! Ich habe zwar einen kleinen Dialekt, aber der ist wohl vergleichbar mit dem eines Deutschen, der aus Düsseldorf oder Berlin kommt. Ich habe allerdings mal eine Zeit lang in New Orleans gelebt, darauf nehme ich mit dieser Platte Bezug: Der Blues kam über mich! Die neuen Songs haben sehr viel Bluesiges in dem Sinne, dass ich sehr wenige Worte singe und die Musik die Räume dazwischen auffüllt. Ich nehme mich also zurück. Das habe ich beim Schauspielern gelernt, da muss man auch versuchen, etwas allein mit dem Gesicht zu sagen.
In der TV-Serie "Sons Of Anarchy" machen Sie als Ron Tully viele schlimme Dinge im Gefängnis! Wie war es, einen Mithäftling zu vergewaltigen?
Vergewaltigung ist etwas, worüber ich im Zuge meiner Kunst oftmals humorvolle Bemerkungen gemacht habe. Seit der Serie ist das anders. Ich würde einen Vergewaltiger vermutlich umbringen, wenn er so etwas einer nahestehenden Person antun würde. Andererseits gelten im Gefängnis andere Gesetze. Dort nennen sie so was einen "struggle snuggle" - eine erkämpfte Kuschelei. Und jeder weiß darüber Bescheid. Ich bin froh, dass ich niemals im Gefängnis gelandet bin, denn ich wäre dort ein steiler Zahn und hätte viel aushalten müssen - dessen bin ich mir sicher. Ich wäre definitiv am empfangenden Ende der Kette gelandet! (lacht)
Wo wir gerade über das Thema sprechen: Da gab es dieses zusammengeflickte Video, das im Internet kursierte und Ihnen zugeschrieben wurde. Darin zu sehen war eine inszenierte Vergewaltigungsszene Ihrer Kollegin Lana Del Ray. Haben Sie mittlerweile mit ihr darüber gesprochen?
Das habe ich! Aber wie gesagt, Manson hatte nichts damit zu tun – und das ist die Wahrheit. Lana Del Ray und ich sind sogar befreundet!
Sie sollen sogar etwas miteinander gehabt haben.
So weit würde ich jetzt nicht gehen.
Sie haben aber einen ziemlich guten Frauengeschmack. Da muss man nur an Dita von Teese denken.
Ich hatte Glück und Unglück, wenn es um Frauen ging. Ich habe Tendenzen, schwierige Lebenssituationen heraufzubeschwören, ob das nun in Sachen Romanzen, musikalischer oder politischer Natur oder im Bezug auf die Polizei ist. Ich bin ein Magnet für Ärger. Aber so bin ich nun mal, und ich schäme mich nicht dafür.
Jüngst haben sowohl Sie als auch Ihre Ex-Frau im Video "Ugly Boy" der südafrikanischen Band Die Antwoord mitgespielt.
Man hatte mir vorher nicht mal gesagt, dass Dita auch mitspielt!
Sonst hätten Sie nein gesagt?
Nein, ich hätte nicht nein gesagt. Sie war am Tag vor mir beim Dreh. Die Antwoord haben sich als Fans von mir geoutet. Ihr Rapper, der gleichzeitig Regie für das Video führte, ist großartig. Er legte seine Hand auf meine Schulter und sagte mir: "Du bist wunderschön, bleib einfach so stehen!" Ich habe mich noch nie so wohl gefühlt bei einem Videodreh!
Können Sie es eigentlich gut ertragen, sich im Fernsehen zu sehen? Ich meine, ohne Ihre kunstvolle Maske?
Ich hab' das jüngst mal ausprobiert. Ich musste auf Distanz gehen. Ich bin ja selbst ein riesiger Fan der Sendung. Das geht so weit, dass ich nicht mal mehr das Drehbuch lesen mag, weil ich noch gar nicht wissen will, was als Nächstes passiert. Ich bin auch so selbstkritisch, was das Zuschauen nicht einfacher macht. Vielleicht sollte ich es künftig so halten wie mein Kumpel Johnny Depp, der sich nie seine eigenen Filme anschaut.
Hat Depp Ihnen Tipps gegeben?
Nein, ich habe ihn zu der Zeit wenig gesehen, aber ich hätte Tipps gut gebrauchen können. Dass es ihn immer wieder zur Musik zieht und mich zum Schauspiel, ist aber schon witzig. Ich weiß noch, als wir uns das erste Mal über den Weg liefen: Ich war Statist in der Serie "21 Jump Street", bevor ich überhaupt eine Band hatte. Depp hatte damals schon eine Band namens The Kids. Es hat sich daraus eine Freundschaft entwickelt, die schon über 20 Jahre besteht. Es ist gut, jemanden an der Seite zu haben, auf den du dich verlassen kannst und der dir buchstäblich den Rücken freihält.
Was verbindet Sie?
Wir sind wie Brüder. Wir haben uns beide ein identisches Tattoo über den ganzen Rücken stechen lassen. Es ist eine Zeichnung von Charles Baudelaire von einem Baum mit einem Skelett. Ich sag' ja, wir halten uns den Rücken frei! (lacht)
Ich habe gelesen, Sie wollten auch Ihren Vater mit der Rolle in "Sons Of Anarchy" stolz machen.
Das stimmt. Wir haben die Serie früher oft zusammen geguckt. Mein Vater ist stolz auf mich. Er hat es mir gesagt.
War er das vorher nicht? Als Musiker haben Sie ja auch einiges erreicht.
Egal, wie hart der Wind mir entgegenblies, er war immer stolz auf mich! Auch er ist ein Riesenfan der Serie, deshalb wollte ich ihn mit der Nachricht aufmuntern. Meine Mutter starb im letzten Jahr, ausgerechnet am Muttertag. Ich saß mit meinem Vater also in Ohio, vor uns stand die Urne mit meiner Mutter. Und ich verkündete ihm die News, dass ich einen Job in seiner Lieblingsserie habe. So konnte ich ihn auch dazu überreden, mit mir zu den Dreharbeiten nach Los Angeles zu kommen und diesen depressiven Platz in Ohio zu verlassen. Mir war wichtig, dass es ihm gut geht.
Hat der Tod Ihrer Mutter auch Ihr neues Album beeinflusst?
Schon, aber anfangs war mir das gar nicht bewusst. Als mein Vater schließlich von Ohio nach Kalifornien fuhr, was mit dem Auto vier Tage dauert, fragte ich ihn: "Warum nimmst du nicht einfach das Flugzeug, Dad?" Er wollte die Asche meiner Mutter auf der Route 66 verstreuen. Es war der Lieblingsplatz meiner Mutter. Ich hatte das nicht gewusst. Es brachte mich zum Weinen. Ich sah plötzlich eine Verbindung zu der Platte, die wie ein Roadmovie ist.
Wie schockierend kann Marilyn Manson im Jahr 2015 überhaupt noch sein, wenn er in TV-Serien mitspielt?
Ich kann definitiv nicht schockierender sein als der Charakter, den ich in "Sons Of Anarchy" spiele. Wenn das mein Ziel wäre, dann müsste ich passen.
Finden Sie eigentlich Miley Cyrus in der Popwelt schockierend?
Nicht wirklich. Ich war allerdings kürzlich bei ihrem Vater Billy Ray Cyrus, auch ein Musiker, in seinem Haus zu Gast. Dass ich in die Höhle des Löwen gegangen bin und mit ihm Tee getrunken habe, das fand ich schockierend! Dass seine Tochter sich nackig macht, finde ich nicht wirklich schockierend. Es ist ein Zeichen der Zeit, aber es ist eigentlich nichts Neues. Aber mal so als Warnung und Tipp an alle Eltern: "Wenn ihr eure Kinder nicht richtig erzieht, dann übernimmt so ein böser Onkel wie ich den Job!" (lacht)
Mit Marilyn Manson sprach Katja Schwemmers
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Quelle: ntv.de