Ein schillernder Schmetterling Roxy Music: Mehr als Musik
30.09.2012, 12:33 UhrZum 40-jährigen Jubiläum der Veröffentlichung des Debütalbums von Roxy Music ist jetzt eine 10-CD-Box mit allen Studio-LPs und einem Doppelalbum mit den Singles, ihren B-Seiten, Mix-Versionen und Live-Tracks erschienen. Roxy Music ist mehr als Musik. Roxy Music ist Kult.
Als ich Roxy Music, 1973 glaub' ich war's, zum ersten Mal sah, hatten wir noch keinen Buntfernseher, wie man damals landläufig sagte. Aber auch ein schwarz-weißer Bildschirm ließ erkennen, dass es sich um eine knallbunte Truppe mit Riesenhaartollen und Glitzerkostümen handelte, die damals schon im zweiten Jahr bestand. Zumindest optisch eine maskuline Vorwegnahme von Lady Gaga.
Glamour Rock war damals en vogue. Doch die Band um Sänger Brian Ferry, Gitarrist Phil Manzanera und Synthesizermann Brian Eno glich nur äußerlich Bands wie Sweet, Slade oder Mud. Roxy Music wird im nun wohl schon klassischen "Neuen Rocklexikon" als "schillernder Musik-Schmetterling" beschrieben. Ihre Musik war von Anfang an komplexer, komplizierter und dünnhäutiger als Slade zum Beispiel, die mit betonharten Krachern wie "Cum On Feel The Noize" die Wände wackeln ließen.
Sechsmal auf dem Treppchen
Wie das Leben und der Publikumsgeschmack so spielen: Die Stampftruppe schaffte es sechsmal auf das oberste Treppchen der Singlecharts. Roxy Music nur einmal, im Februar 1981 mit einer Coverversion des John-Lennon-Songs "Jealous Guy" aufgenommen nach der Ermordung des Ex-Beatles im Dezember des Vorjahres. Neben dem Lennon-Cover finden sich auf dem Doppelalbum "Singles, B-Sides and Alternative Mixes" alle 45er Scheiben mit den jeweiligen B-Seiten und zum Teil erstmals publizierte Alternativmixe sowie Livemitschnitte. Man höre und staune: Da gibt es mit dem auf einer Hawaiigitarre gespielten Track "Hula Kula", der Flipside der 73er Single "Street Life" sogar ein Instrumentalstück aus der Feder von Gitarrist Phil Manzanera, das völlig aus der Roxy-Rolle fällt. Leider kommen die Künste des Meisters im Gesamtwerk der Band aus London eher selten voll zur Geltung. Aber sicher meint Brian Ferry in dem Song "Yeah" die Manzaneras Gitarren, wenn er von den "rhyming guitars" singt, die er im Radio hört.
Dafür ist auf dem mit den Gruppennamen getitelten Erstling und dem zweiten Werk "For Your Pleasure" aus 1973 mehr vom Eletronikgefummel des Brian Eno zu hören. Erstaunlich, dass Eddie Jobson, der Eno nach dessen Weggang im selben Jahr ersetzte, es schaffte, dessen Zirpsen, Rauschen, Knirschen, Fiepsen und Brummen kongenial weiter zu praktizieren. Bis zur letzten Langspielplatte bleibt der Synthesizer archetypisch. Das Saxophon von Andrew Mackay, einst Oboist des London Symphony Orchestra, mäandert bohrergleich durch viele Songs und gibt dem Irrsinnssound der Londoner ein unverwechselbares Gepräge.
Sänger Ferry hat die meisten Stücke selbst geschrieben. Ja, und wie soll man seine Stimme beschreiben: Sie klingt so elegant, wie sich er und die anderen fünf Bandmitglieder auf den letzten Alben präsentierten: Auch gern mal mit Smoking und Fliege. Mein Sohn Thomas meint, eigentlich müsse Brian Ferry französisch aussprechen. Das träfe es dann.
Siegeszug mit Avalon
Die nunmehr erstmals vollständig auf CD vorliegende Edition aller acht Studioalben ermöglicht neben den erwähnten Singles und Alternativabmischungen den Einblick in eine der interessanteren Karrieren der Populärmusik. Vom schillernden Up-tempo-Rock and Roll der ersten Alben über das erwähnte, episch daherkommende "Yeah", dessen LP-Fassung sich auf dem 1980 mit einem Studioorchester eingespielten Album "Flesh + Blood" befindet, bis hin zum monumentalen "Avalon" sind Roxy Music stets einen Schritt innovativer, kreativer. Da gibt es kein Zurück zu bereits Aufgenommenem.
Sämtliche Neuauflagen sind im sogenannten Mini-Vinyl-Replica-Format erschienen. Auf den ersten fünf LPs sind Damen in, na ja, sagen wir lasziven Posen zu sehen. Dem geneigten Betrachter erschließt sich beim allerbesten Willen nicht so recht warum. "Manifesto" zeigt dann eine morbide wirkende Faschingsgesellschaft, "Flesh + Blood" drei altolympische Speerwerferinnen. Erst der behelmte Falkner vor einem Wolkenmeer auf dem 1982 veröffentlichten "Avalon" lässt auf den Inhalt schließen. Die Scheibe war zweifellos von der King-Arthur-Fantasybearbeitung der US-Amerikanerin Marion Zimmer Bradley inspiriert, deren erster Band 1982 den Siegeszug um die Welt antreten sollte. Für Roxy Music war "Avalon" im selben Jahr das Ende ihres Siegeszuges.
Nicht nur Musik, sondern Kult
Aber was für ein Ende: Der ausgekoppelte Song "More Than This" war zwar nur in Europa und Australien erfolgreich. Aber er hat Kultstatus erreicht. In Sofia Coppolas Film "Lost in Translation" (2003) singt Bill Murray "More Than This" in einer Tokioter Karaokebar. Fazit: Roxy Music ist "more than music". Kult eben.
Das Ende der Band war nicht gleichbedeutend mit einem Schlussstrich unter die musikalischen Karrieren ihrer wichtigsten Mitglieder: Brian Ferry wandelte weiter in schwindenden Erfolgshöhen, wenn ihm auch solo kein Nummer-1-Hit vergönnt war. Brian Eno machte als Soundtüftler, Produzent und Musiktheoretiker weiter. Phil Manzanera spielt mit David Gilmour von Pink Floyd selig zusammen und produzierte das Erfolgsalbum "Senderos de traición" der früheren spanischen Rockband Héroes del Silencio und mehrere Soloalben ihres einstigen Sängers Enrique Bunburys. Heute sehen zumindest diese drei ganz brav aus. Aber das ist schon wieder eine andere Geschichte.
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Quelle: ntv.de