"Ja, ich bin glücklich!" Annie Lennox zieht zum 60. Bilanz
29.10.2014, 08:43 Uhr
Rundum zufrieden und glücklich: Annie Lennox kurz vor ihrem 60. Geburtstag.
Annie Lennox ist immer noch gertenschlank, und ihr Haar trägt die schottische Sängerin, Aktivistin und Philanthropin noch so kurz wie in den Achtzigern, als sie zusammen mit Dave Stewart als Popduo Eurythmics die internationalen Charts eroberte. Vier Grammys, ein Oscar, ein Golden Globe und acht Brit Awards zeugen zudem von der beachtlichen Solokarriere der heute 59-Jährigen. Gerade hat sie ihr neues Album "Nostalgia" veröffentlicht, auf dem sie Songs von Billie Holiday, George Gershwin, Screamin' Jay Hawkins und Duke Ellington eindrucksvoll interpretiert. Zum Interview empfängt sie n-tv.de in einem kleinen Londoner Boutique-Hotel in Notting Hill. Im Gespräch gibt sich Lennox engagiert, leidenschaftlich und kompromisslos.
n-tv.de: Ms. Lennox, da haben Sie aber ein sehr englisches Plätzchen für unser Treffen ausgesucht!
Annie Lennox: Es ist hübsch hier, oder? Das typisch Englische mögen die Menschen. Leute aus aller Welt bekommen hier eine sehr idyllische Version des Londoner Lebens präsentiert. Speziell an Sonnabenden hört man draußen auf den Straßen von Portobello jede erdenkliche Sprache. Es ist ein tolles Viertel, sehr kosmopolitisch und gemischt. Es leben die reichsten Leute neben den ärmsten.
Sie wohnen hier um die Ecke, oder?
Ja, aber ich bin ja ständig auf Reisen, ich bin nie lange an einem Platz und immer in Bewegung. Meine Kinder sind der wahre Grund, warum ich mich hier Mitte der Neunziger niedergelassen habe. Meine Töchter mussten ja irgendwo groß werden - und warum dann nicht in London? Aber wenn ich nicht in Notting Hill leben würde, dann wohl im Norden von London. Denn dieser Stadtteil wird immer mehr zu einer Herausforderung: Was mal bunt war, nämlich der Portobello Market, stirbt. Investoren kaufen hier nach und nach alle Häuser auf.
Das ist ja in den meisten Großstädten so.
Ja, das nennt man dann Veränderung und Fortschritt, wir leben nun mal in einer Welt, in der Geld regiert. Aber es macht mich trotzdem immer wieder traurig, denn ich persönlich mag die kleinen Geschäfte und ihre Ladenbesitzer. Ich gehe gerne bei ihnen einkaufen, aber die werden hier alle rausgezwungen.
Trifft man Sie auch mal privat zur Tea Time hier?
Nein, ich gehe nicht in Hotels. Aber ich mag hübsche alte Teekannen. Manchmal poste ich Bilder davon auf meiner Facebook-Seite. (lacht)
Ist Tee das passende Getränk, um "Nostalgia" zu lauschen?
Da bin ich mir nicht so sicher. Für mich sind die Lieder der neuen Platte wie eine emotionale Reise. Ich habe diese bekannten Stücke mit einem Arrangeur und einem ganzen Orchester neu aufgenommen. Ich habe versucht, ihnen tiefste Emotionen einzuhauchen. Diese Songs sagen so viel aus auf so vielen Ebenen! Wenn man ein Stück wie Billie Holidays "Strange Fruit" von 1939 singt, das als Symbol für Lynchmorde in den Südstaaten der USA zu Zeiten der Bürgerrechtsbewegung gilt, dann hat das heute noch Gültigkeit. Denn aktuell geht es nicht weniger barbarisch in der Welt zu als im Mittelalter!
Also ist dieses Album auch als eine Art Aufruf einer Aktivistin und Feministin zu verstehen?
Sehr sogar. Denn seit ich mich als Aktivistin für HIV- und Aids-Erkrankte engagiere, habe ich vieles gesehen, was ich nicht abschütteln kann. Ich bin an Orte in der Welt gereist wie Malawi, Uganda oder Südafrika, wo Frauen und Kinder überhaupt keinen Zugang zu Verhütungsmitteln haben. Wenn sie 20 sind, müssen sie sich schon um fünf Kinder kümmern, und oftmals sterben sie während der Geburt und die Kinder enden als Waisen. Ich sehe also all diese Dinge, die in unserer westlichen Welt überhaupt keine Rolle spielen. Das muss sich ändern. Die Rechte dieser Menschen müssen sich ändern. Das schoss mir gerade bei einem Song wie "Strange Fruit" durch den Kopf. Ich sehe das Lied als ein Statement über Bigotterie und die schrecklichen Dinge, die Menschen einander antun.
Vor zwei Jahren haben Sie zum dritten Mal geheiratet: einen Gynäkologen aus Südafrika. Privat sind Sie also glücklich ...
Ich fühle mich gesegnet, den besten Ehemann auf dem Planeten abbekommen zu haben! Er ist einfach nur fantastisch, und unsere Beziehung gibt mir so viel, dass ich es jetzt einfach mal zugeben kann: Ja, ich bin glücklich, und er hat viel damit zu tun! Ich fühle mich wohler in meiner eigenen Haut als jemals zuvor. Vielleicht ist das ein Altersding oder die Tatsache, dass ich Mutter bin, oder einfach nur eine Sache der Lebenserfahrung. Es geht nur um diese Phase in meinem Leben und die immense Dankbarkeit, die ich darüber fühle. Deshalb lebe ich aber nicht in einem Kokon oder auf rosa Wolken.
Sie waren Mitte der Achtziger mal für kurze Zeit mit einem Deutschen verheiratet!
Ja, aber das ist völlig belanglos. Das zu tun war eine törichte Sache von mir, einfach Unsinn.
Haben Sie einen Bezug zu Deutschland?
Wenn ich an Deutschland denke, fällt mir sofort Conny Plank und sein Studio bei Köln ein, mit dieser besonderen Atmosphäre. Dort nahmen die Eurythmics Alben auf und verbrachten viele Jahre. Ich kann zwar kein Deutsch, aber der Klang der Sprache ist mir aus dieser Zeit unheimlich vertraut. Leider leben weder Conny noch sein Frau Christa noch, und ich vermisse sie und ihre Gesellschaft unglaublich.
Sie haben zwei Töchter. Werden die in Ihre Fußstapfen treten?
Vielleicht! Die eine ist Malerin und überaus talentiert. Die andere schreibt Songs und singt. Aber das spielt ja gar keine Rolle, denn ich will einfach nur, dass sie glücklich sind und ihre Leben leben -unabhängig von ihrer berühmten Mutter. Bisher schlagen sie sich gut. Aber natürlich hat man als Eltern immer Sorge, dass sie vom Weg abkommen.
Manche Promi-Kinder leiden unter Ihren Eltern.
Manche Kinder müssen mit der Armut ihrer Familie klar kommen - das sind dann die echten Herausforderungen des Lebens. Das andere Ende der Fahnenstange ist dann Geld, Ruhm und Macht - das ist eine andere Art von Herausforderung. So was kann ein Kind vergiften. Und wenn man sich dann in dieser übersexualisierten Welt umguckt …
Macht Ihnen das Sorge?
Absolut. Wie freizügig sich diese jungen Sängerinnen von heute auf der Bühne geben, ich meine, wie weit soll das gehen? Der nächste logische Schritt wäre dann, Live-Sex auf der Bühne zu haben! Wenn sie so was vor Erwachsenen machen, wäre mir das egal. Aber wenn ein Publikum aus Achtjährigen besteht, ist das völlig unangemessen. Diese jungen Künstlerinnen verkaufen ihre Platten über ihre Sexualität, aber das hat nichts mit Befreiung oder Feminismus zu tun! Wenn eines meiner Kinder mir im Alter von acht Jahren gesagt hätte, dass sie die Künstlerin mag, die Teile ihres Genitalbereichs in die Kamera hält und beinahe Geschlechtsverkehr auf der Bühne hat, hätte ich mich sehr unwohl damit gefühlt. Ich frage mich, wie sich die Eltern dieser Künstlerinnen fühlen. Aber es sind nicht nur sie, unsere ganze Kultur tickt mittlerweile so.
Gibt es etwas, das Sie sich zu Ihrem 60. Geburtstag im Dezember wünschen?
Gesundheit! Das war’s.
Planen Sie eine große Party?
Mein Geburtstag ist am 1. Weihnachtsfeiertag, da wird schon der Geburtstag von Jesus gefeiert, mehr geht nicht! (lacht)
Und auf der Bühne wollen Sie Ihr Jubiläum auch nicht feiern?
Nein, ich befürchte, ich plane gar nichts. Ich werde keine Konzerte spielen wie Kate Bush. Auch wenn Kates jüngste Auftritte in London großartig und außergewöhnlich waren, und ich sie zum Fressen gern habe! Aber da kann ich nicht mithalten.
Und eine Eurythmics-Reunion schließen Sie auch aus?
Dave und ich hatten uns Anfang des Jahres für ein TV-Special über die Beatles wieder kurzzeitig zusammengetan. Für Ringo Starr und Paul McCartney zu performen, war wundervoll, aber dabei wird es wohl auch bleiben. Die Leute fragen mich oft, ob es denn jetzt offiziell vorbei ist mit den Eurythmics oder nicht. Die Antwort ist: Ich weiß es selbst nicht genau. Wenn doch noch etwas passiert, schön. Wenn nicht, ist es auch kein Problem. Mir gefällt meine Selbstständigkeit.
Eurythmics sind für Sie also Vergangenheit?
Schon. Wir hatten unseren Moment, wir haben ein außergewöhnliches Gesamtwerk vorzuweisen, aber wir sind aus gutem Grund getrennte Wege gegangen. Ich liebe Dave, er ist die Macht! Alles ist gut. Aber es fühlt sich für mich an, als wäre das damals ein anderes Leben gewesen.
Mit Annie Lennox sprach Katja Schwemmers
Das Album "Nostalgia" ist am 24. Oktober erschienen bei Amazon bestellen
Quelle: ntv.de