Kino

Das Märchen vom Rock'n'Roll Glasvegas im Wunderland

Herzschmerz voller Euphorie: Glasvegas.

Herzschmerz voller Euphorie: Glasvegas.

Eine Band mit einem ehemaligen Profi-Fußballer als Sänger, die Kritiker über den grünen Klee loben, die sich "Best New Rock'n'Roll Band In The World" schimpfen kann und die laut Bono von U2 einen der größten Songs aller Zeiten gemacht hat - das gibt es nicht, meinen Sie? Gibt es doch: Glasvegas. Mit "Euphoric /// Heartbreak \\\" legen die Schotten ihr zweites Album vor.

Es gibt Bands, die können sich vor (Vorschuss-)Lorbeeren kaum retten. Glasvegas ist so eine. Noch bevor am 8. September 2008 ihr selbstbetiteltes Debütalbum erschien, kürte sie der "New Musical Express" bereits zur "Best New Rock'n'Roll Band In The World". Das Album schoss in den britischen Charts auf Platz zwei. Und nicht nur die Musikjournalisten gerieten ins Schwärmen: U2-Sänger Bono ließ sich gar dazu hinreißen, das Lied "It's My Own Cheating Heart That Makes Me Cry" der Schotten als einen der besten Songs, den er je gehört habe, zu preisen.

Beinahe scheint es so, als ob sich von da an die etablierten Rockgrößen darum rissen, die Gruppe aus Glasgow als Vorband zu verpflichten: Kings of Leon, Oasis, Muse und eben U2, für die Glasvegas 2009 unter anderem vor mehr als 80.000 Zuschauern im Londoner Wembley-Stadion die Einheizer geben durften.

Doch fragt man Frontmann James Allan, wie groß denn angesichts dieses Hypes der Druck bei den Aufnahmen zum zweiten Album "Euphoric /// Heartbreak \\\" war, gibt er sich gelassen: "Druck? Nein, das alles macht mich dankbar. Was mit der Band passiert, ist wie ein Märchen, einfach nur magisch. Weißt Du, als ich aufgewachsen bin, Fußball auf der Straße gespielt habe und die Autos mit offenen Fenstern an mir vorbei fuhren, habe ich die Musik gehört, die die Leute darin hörten." Und heute dürfte so manch einer zu seiner Musik durch die Stadt cruisen.

Working-Class-Attitüde

Zwei Dinge ziehen sich wie ein roter Faden durch das Gespräch mit Allan. Auf sie kommt er immer wieder zurück: Seine Kindheit in der wenig ansehnlichen Industriestadt Glasgow und das "fantastische Rock'n'Roll-Märchen", das er und seine Mitstreiter nun erleben würden. Keine Frage, der Sänger weiß den Erfolg und die Annehmlichkeiten, die dieser mit sich bringt, zu schätzen. Trotzdem haben die aus dem Arbeitermilieu stammenden Mitglieder der Gruppe noch ihre Working-Class-Attitüde. Da passt es nur zu gut, dass Bassist Paul Donoghue, als er uns lächelnd die Hand schüttelt, eine breite Zahnlücke offenbart, obwohl er sich eine Zahn-Zusatzversicherung inzwischen sicher leisten könnte. Und natürlich macht James Allan, als er mit uns spricht, keine Anstalten, sein bestes Hoch-Englisch hervor zu kramen. Er redet im breitesten Schottisch drauf los.

Man trägt wieder Skibrille.

Man trägt wieder Skibrille.

"Solche Sofas wie hier gibt es bei uns nicht", scherzt der Sänger, der uns im schicken neuen "nhow"-Hotel in Berlin gegenübersitzt. Er trägt ganz Rockstar-mäßig eine Sonnenbrille, wirkt sympathisch verpeilt und plaudert lang und viel, auch wenn er das eigentlich komisch findet: "In Interviews redet man die ganze Zeit über sich selbst", sinniert er. "Da musst du aufpassen, dass du das nicht weiter machst, wenn du zu deiner Familie zurückkehrst. Das kommt nicht so gut." Ich erkläre ihm, dass ich deswegen Journalist geworden bin, weil ich lieber Anderen Fragen stelle, als andauernd über mich selbst zu quatschen. Da lacht er, das versteht er: "Wahrscheinlich ist es bei Dir so, dass Du Deiner Familie die ganze Zeit Fragen stellst." Kein Zweifel: Als Interviewpartner ist James Allan lustig. Ob man mit ihm eine WG gründen wollte, steht auf einem anderen Blatt.

Von der Statur her ist der Glasvegas-Frontmann zierlicher, als man es von einem ehemaligen Profi-Fußballer erwarten würde. Denn tatsächlich: Einst kickte er für einen Drittligisten in der Schottischen Fußball-Liga - bis er von seinem Club gefeuert wurde. Allan räumte später einmal ein, dass er sich auf dem Platz hier und da dabei ertappte, wie er über Velvet Underground nachdachte, anstatt sich auf das Spiel zu konzentrieren. Auch wenn er uns das so nicht erzählt, können wir es uns bei ihm doch lebhaft vorstellen. "Schottischer Fußball ist echt hart. Ich mochte das nicht wirklich und fand, dass ich da nicht richtig reinpasse", sagt Allan. "Und ich musste mich entscheiden: Rock'n'Roll oder Fußball. Man kann nicht beides gleichzeitig machen." Er traf zweifellos die richtige Entscheidung - und hängte die Stollenschuhe an den Nagel.

Celtic oder Rangers?

Trotzdem müssen wir von ihm als Glasgower natürlich wissen: Celtic oder Rangers? "Schau mich an: Ich sehe gut aus!", erklärt der Sänger mit gespielter Verwunderung über die Frage. "Deswegen bin ich natürlich Celtic-Fan. Hast Du unseren Bassisten und Gitarristen gesehen? Sie sind Rangers-Fans."

Gitarrist Rab Allan ist sein Cousin. Und auch sonst ist Glasvegas ein bisschen so etwas wie eine Familienangelegenheit. Zur Musik kam James Allan vor allem durch seine ältere Schwester, die ihm Platten vorspielte und heute die Band mit managt - und deren Exfreund ihm seinerzeit eine Gitarre schenkte.

O.k., ein bisschen kautzig ist James Allan (vorn) schon.

O.k., ein bisschen kautzig ist James Allan (vorn) schon.

So verwoben die Dinge im Kleinen sind, so sind sie es auch ein wenig im Großen. Jedenfalls wenn man Glasgow mit seinen knapp 600.000 Einwohnern so nennen will. Einige international äußerst erfolgreiche Popacts kommen von hier oder aus dem näheren Umkreis: Travis, Franz Ferdinand und Amy Macdonald, um nur einige zu nennen. Und natürlich kennt und trifft man sich in einer Stadt mit solch überschaubarer Dimension. Ja, den Jungs von Franz Ferdinand laufe er schon regelmäßig über den Weg, sagt Allan. Und Amy Macdonald war sogar schon bei ihm zu Hause. "Sie war bezaubernd. Sie ist ein wirklich nettes Mädchen."

Dabei haben es ihm eigentlich Schwedinnen angetan, seit er einmal für einige Tage einen Ausflug in deren Heimat unternahm. "Als wir da waren, dachten wir uns nur: Meine Güte, die Girls sind ja der Wahnsinn hier. Total der Hammer. Jippie!" So kam er - als seine lange Mitstreiterin, Schlagzeugerin Caroline McKay, während der Aufnahmen zu "Euphoric /// Heartbreak \\\" in aller Freundschaft die Band verließ, weil sie dem "Rock'n'Roll-Märchen" offensichtlich nicht so viel abgewinnen konnte wie die anderen Band-Mitglieder - auf die fixe Idee , unbedingt eine Schwedin als Drummerin zu verpflichten. Und siehe da: Auf einmal stand auf Vermittlung der Plattenfirma Jonna Löfgren vor ihm - eine Schwedin, wenn auch nicht blond. Seither ist die Band wieder komplett.

Klotzen statt Kleckern

Doch nicht nur zu Schweden, sondern auch zu den USA haben die Schotten eine besondere Verbindung. Schon ihr erstes Album hatten sie in New York aufgenommen. "Damals bin ich einfach zur Plattenfirma gegangen und habe ihr gesagt, dass es für unsere Inspiration gut wäre, wenn wir nach New York gehen würden. Sie haben mir geglaubt. Aber eigentlich wollte ich nur da hin, weil ich es in so vielen Filmen gesehen habe", sagt Allan in seiner typischen Art eines aus ärmlichen Verhältnissen stammenden Lausebengels, der sich spitzbübisch darüber freut, welche Möglichkeiten ihm auf einmal offen stehen.

Es geht aber auch anders.

Es geht aber auch anders.

Und so lautete bei "Euphoric /// Heartbreak \\\" die Devise erst Recht Klotzen statt Kleckern. Für die komplette Produktion vom Songwriting bis hin zu den Aufnahmen nistete man sich diesmal ganze fünf Monate am anderen Ende der USA, im kalifornischen Santa Monica bei Los Angeles, ein - in einem riesigen, drei Stockwerke hohen und mehrere Millionen Dollar teuren Strandhaus. "Das war total surreal. Ein Strand ist für mich eine wirklich vollkommen ungewohnte Umgebung.  Schau Dir mal meine Haut an", erzählt Allan wieder einmal mit der Faszination eines kleinen Jungen. "Verglichen mit Glasgow-East-End hat das auf mich wie ein anderer Planet gewirkt."

Und verglichen mit der doch eher düster und melancholisch anmutenden Musik von Glasvegas mag die Vorstellung von James Allan und seinen Bandkollegen inmitten lauter braun gebrannter Surfer auch irgendwie so gar nicht passen. "Es ist toll zu sehen, wie eine solche Umgebung die Musik, die man macht, beeinflussen kann. Die erste Platte habe ich ja noch in Glasgow geschrieben. Das war nun wirklich ein extremer Gegensatz dazu", erklärt der Sänger.

"Eine magische Person"

Doch Fans der ersten Stunde brauchen keine Angst zu haben. Wie die Beach Boys klingen Glasvegas auch auf ihrem zweiten Album nicht. Stattdessen untermauern die Schotten ein weiteres Mal, dass sie in einer Liga mit Bands wie Interpol oder den Editors spielen und Vergleiche mit den Indie-Helden The Jesus and Mary Chain mehr als berechtigt sind. Wohl aber ist "Euphoric /// Heartbreak \\\" ein wenig elektronischer als das Debüt geraten. Das könnte daran liegen, dass nach der Rückkehr der Gruppe nach Großbritannien Produzentenlegende Flood - der von U2 über Depeche Mode bis zu den Nine Inch Nails schon unzähligen Bands den entscheidenden Schliff gab - letzte Hand an die Songs anlegte.

Spricht man von Flood, gerät James Allan ein weiteres Mal ins Schwärmen. "Er ist der freundlichste und ehrlichste Kerl, den man überhaupt nur treffen kann. Es gibt Menschen, bei denen man fühlt, dass sie wirklich an dich glauben und dir nicht nur Honig ums Maul schmieren. Man sieht es in ihren Augen", sagt der Sänger geradezu ehrfürchtig und nimmt wie zum Beweis zum ersten und einzigen Mal in dem Gespräch kurz die Sonnenbrille ab. "Er ist eine wirklich magische Person. Und ich glaube, wir sind zu Freunden fürs Leben geworden."

Gar nicht dumm

Weitere neue Freunde dürften sich Glasvegas mit dem neuen Album machen, das vielleicht etwas geglätteter als sein Vorgänger daher kommt, aber nicht zuletzt auf Grund der aufwändigen Produktion in noch mehr Gehörgängen verfangen dürfte. Viele Augen sind unterdessen schon allein wegen des ungewöhnlichen Namens "Euphoric /// Heartbreak \\\" auf das Werk aufmerksam geworden, was bereits zu allerlei Spekulationen über die Bedeutung der Striche in dem Titel geführt hat. "Ich dachte, glaube ich, einfach nur: Euphoric - Aufstieg, Heartbreak - Abstieg", klärt Allan auf. "Aber es ist cool, dass alle Leute darüber stolpern."

Das Album "Euphoric /// Heartbreak \\\" ist ab sofort erhältlich.

Das Album "Euphoric /// Heartbreak \\\" ist ab sofort erhältlich.

Er mache manchmal einfach gerne dumme Sachen, sagt der Sänger. Da ist er wieder, der Lausebengel. Dabei ist der aus den beiden sich widersprechenden Begriffen "Euphoric" und "Heartbreak" bestehende Albumtitel natürlich gar nicht dumm, sondern durchaus hintersinnig. Ebenso wie der Bandname Glasvegas, der eine Zusammensetzung aus Glasgow und dem womöglich größten denkbaren Gegensatz Las Vegas darstellt. Braucht es noch einen Beleg dafür, dass James Allan ein cleveres Bürschchen ist? "Wie ist das eigentlich als Schotte, wenn die englische Fußball-Nationalmannschaft spielt - sagen wir, gegen Deutschland?", wollen wir wissen. "Dann halte ich natürlich zu Deutschland", sagt der Musiker wie selbstverständlich. Na bitte, wenn das mal nicht noch ein Grund ist, Glasvegas einfach zu mögen.

Glasvegas spielen im Mai und Juni wieder in Deutschland: Köln (14.5.), Berlin (15.5.), Hurricane Festival/Scheeßel (17.6.), Southside Festival/Neuhausen ob Eck (18.6.)

Quelle: ntv.de

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