Kino

Es geht um "Sex!!!" Pralles Panoptikum: "360"

Der Schöne und das Biest: Jude Law (r.) und Moritz Bleibtreu in Fernando Meirelles' Film "360".

Der Schöne und das Biest: Jude Law (r.) und Moritz Bleibtreu in Fernando Meirelles' Film "360".

In den 1920er Jahren löste Arthur Schnitzlers Bühnenstück "Der Reigen" Verbote und sogar Saalschlachten aus. Ein Aufführungsverbot wurde erst 1982 aufgehoben. Der Film "360" bezieht sich ausdrücklich auf diese Vorlage. Ein ähnlicher Sex-Skandal wird ihm in der heutigen Zeit wohl erspart bleiben. Sehenswert ist er dennoch.

Eine junge Frau aus der Slowakei startet in Wien, unterstützt von ihrer kleinen Schwester, eine Karriere als Callgirl. Ihr schmieriger Zuhälter vermittelt sie an ihren ersten Freier- allerdings nicht, bevor sie auch zu ihm "ein bisschen nett" gewesen ist. Auch wem die literarische Matritze von "360" nicht bekannt ist, erkennt schnell: Im neuen Werk von Regisseur Fernando Meirelles ("City of God") geht es im Grunde nur um eins. Um Sex. Um Sex und um die verschiedenen Antriebe, Konstellationen, Bedingungen, die ihn ermöglichen, begleiten oder verhindern.

Ein Panoptikum des prallen Lebens: Der einsame Geschäftsreisende verzichtet zwar in letzter Minute auf den Beischlaf mit der Prostituierten, macht sich aber schon durch den Kontakt zu ihr erpressbar. Der Erpresser nutzt nicht nur die Gunst der Stunde, sondern auch die Dienste der Dirne, die später auch einem russischen Ganoven zu Willen sein muss, dessen Bodyguard derweil mit der Schwester zarte Bande knüpft, während seine vernachlässigte Ehefrau zu Hause heftig mit einem liebestrunkenen muslimischen Zahnarzt flirtet. Die Frau des Geschäftsmannes hat eine Affäre mit einem Fotografen, der dafür von seiner Freundin verlassen wird, die auf dem Weg in die brasilianische Heimat im Flugzeug einem Vater begegnet, der seine seit Jahren verschwundene Tochter sucht. Statt mit diesem zu dinieren, versucht die junge Frau, einen eben erst aus jahrelanger Haft entlassenen Sexualstraftäter zu verführen - ohne zu wissen, um wen es sich handelt - letztlich erfolglos.

Das Beste aus allen Welten

Regisseur Fernando Meirelles mit Anthony Hopkins am Set von "360".

Regisseur Fernando Meirelles mit Anthony Hopkins am Set von "360".

(Foto: Prokino)

Das mag nun nach heillosem Durcheinander klingen. Und diese Befürchtung könnte sich noch steigern, wenn man weiß, dass die französisch-britisch-österreichische Koproduktion nicht nur in diesen drei Ländern, sondern auch noch an Drehorten in den USA und in Brasilien entstanden ist. Es kommt dabei aber das Beste aus allen Welten zusammen: gefühlvolle Charakterstudie, Tempo und Witz, ein Schuss schlitzohriger Schmäh, jede Menge Flugzeuge und der berühmteste Strand der Welt (wenn auch nur ganz kurz).

Und die Elemente der Geschichte sind so filigran verwoben, die Schicksale der Figuren so elegant beiläufig miteinander verknüpft, dass man fast von einem Kunstfilm sprechen müsste, käme die Erzählung nicht so ganz und gar unkünstlich und ungekünstelt daher. Das ist besonders den herausragenden Leistungen der amüsant bunt zusammengewürfelten Schauspielerschar zu verdanken: Anthony Hopkins und Jude Law neben Moritz Bleibtreu, Rachel Weisz, Ben Foster und dem französischen Comedy-Star Jamel Debouzze, um nur die Bekanntesten zu nennen.

Und obwohl es doch die ganze Zeit eigentlich um "Sex!!!" geht, ist "360" ein eher leiser Film, dabei intensiv und unterhaltsam; ein Film über Schwärmerei, Hoffung, Begehren, ein Schauspiel um Träume, Untreue und Unterwerfung, Notdurft und Notzucht, ein Reigen aus Einsamkeit und Begegnung, Abscheu und Lust, ein Film, der allzu Menschliches sichtbar macht, ohne "es" allzu explizit zu machen.

Wer derlei liebt, sollte hier ruhig mal wieder ins Kino gehen. Auch wer gerne der Frage nachsinnt, was wohl herauskäme, wenn an irgendeiner Stelle unseres Lebens irgendetwas, irgendeine Kleinigkeit anders verlaufen würde, ist bei "360" richtig. Und wer gerne Jude Law beim schauspielen zusieht, natürlich sowieso.

Quelle: ntv.de

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