Panorama

Aus der Schmoll-Ecke 1,5 Minuten Bundestag für noch mehr Politikverdrossenheit

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Nicht jede Rede im Bundestag ist ein Beitrag für mehr Freude an Demokratie.

Nicht jede Rede im Bundestag ist ein Beitrag für mehr Freude an Demokratie.

(Foto: picture alliance/dpa)

Unser Kolumnist dachte sich: Man darf nicht dem Überdruss nachgeben, also schaltete er sich in den Livestream zur Taurus-Debatte im Bundestag ein - und machte ganz schnell wieder aus, als ein Herr im dunklen Anzug unverständliches Zeug von sich gab, wie man es von "Altparteien" gewohnt ist.

Freundinnen und Freunde des abnehmenden Menschenverstandes, ich heiße Sie willkommen zu meinem samstäglichen Bericht aus dem Zentrum des Irrsinns, offiziell Bundesrepublik Deutschland genannt. Neulich unternahm ich einen Versuch, etwas gegen meine Politikverdrossenheit zu tun. Spoiler: Nach eineinhalb Minuten scheiterte ich kläglich, das Gegenteil ward erreicht. Wie es dazu kam, will ich Ihnen gerne erläutern. Ich schwöre, es hat sich genau so zugetragen, wie es hier zu lesen sein wird. Wobei ich gestehe, dass ich Schwierigkeiten hatte, das Gesagte, um das es gehen soll, in richtiger Interpunktion wiederzugeben.

Verrückterweise - ja, auch bin irre - dachte ich: In die Bundestagsdebatte zum Taurus muss ich mal reinhören, denn ein Sehr-Gutmensch wie ich darf dem Politiküberdruss nicht nachgeben, ich gehe ja auch wählen. Gesagt, getan. Via Internet habe ich mich in den Livestream geklickt. Der Zeitpunkt war absoluter Zufall. Just in der ersten Sekunde sagte ein mir unbekannter Herr in einem dunklen Anzug zu einem anderen mir nur vom Namen her bekannten Herrn in einem dunklen Anzug, der gerade am Rednerpult stand: "Danke. Danke, Herr Kollege Kiesewetter, dass Sie die Zwischenfrage zugelassen haben." Und dann: "Herr Kiesewetter, ich weiß nicht, ob sie sich noch erinnern: Ich beobachte Sie seit 2006."

Oha, dachte ich, das klingt nach einer Obsession, auch ein bisschen spooky, wenn ein Herr in einem dunklen Anzug einen anderen Herrn in einem dunklen Anzug so lange beobachtet. Einigen Zuhörern vor Ort - darunter sehr viele Herren in dunklen Anzügen - ging es offenkundig ebenso, was sie geräuschvoll kundtaten, weshalb der mir unbekannte Herr im dunklen Anzug das Motiv seiner Beobachtung verriet: "Ein bisschen Aufmerksamkeit für die Mitmenschen." Er begann seine Zwischenfrage, auf die ich gespannt war(tete), mit einer Erzählung über eine gemeinsame Begebenheit zwischen ihm, dem Zwischenfragesteller, und dem anderen Herrn im dunklen Anzug, der die Antwort geben sollte, auf die ich ebenfalls gespannt war(tete).

Abdriften nach Loccum

Getroffen hatten sich, so erfuhr das Volk von dem Zwischenfragesteller im dunklen Anzug, demnach beide Berufspolitiker "bei der akademischen Akademie in Loccum: Und da wurde vorgestellt das Weißbuch, nach langer Pause das Weißbuch der Bundeswehr von Flottillenadmiral Kähler damals". Ich gestehe, auch Herr Flottenadmiral Kähler ist mir unbekannt, ich habe noch nie von ihm gehört, was er mir verzeihen möge, falls er noch lebt. Wie auch immer: Ich hatte nach wie vor absolut keine Ahnung, wovon der Zwischenfragesteller sprach, worum es (ihm) ging, wohin er wollte. Ich wartete weiter auf die Zwischenfrage.

Doch zuerst setzte der mir unbekannte Mann im dunklen Anzug seine Erzählung fort, von der ich annahm, dass sie zur Zwischenfrage gehörte, auf die ich gespannt war(tete): "War eine sehr launige Veranstaltung und es wurde da hochgejubelt, dass da immerhin im Vorwort nach knapp halben Seiten oder Drittelseite eine Kanzlerin Merkel da mal das Wort von deutschen Interessen untergebracht hat, erstmals in einem Weißbuch der Bundeswehr, was danach auch runtergemacht wurde wegen irgendwelchen Geschichten in Afghanistan, anderes Thema."

Oha, dachte ich nach den Ausführungen des Herrn im dunklen Anzug über das "knapp halben Seiten oder Drittelseite" lange Vorwort, das "eine Kanzlerin Merkel" beigesteuert hatte, das muss ein traumatisches Erlebnis für ihn und vielleicht auch andere Teilnehmer des Treffens in der "akademischen Akademie" gewesen sein, dass er knapp zwei Jahrzehnte später in einer Bundestagsdebatte, in der es darum ging, ob die Ukraine den Taurus erhält, damit seine Zwischenfrage einleitete, auf die ich … na, Sie wissen schon. Ich vertrieb mir das Warten mit Überlegungen, was der Herr im dunklen Anzug eigentlich mitzuteilen versucht, worauf er hinaus will und was er dem Volk, aus dem heraus er ins Parlament gewählt wurde, sagen möchte.

Gewisse Orientierungslosigkeit

"Wir waren danach in der Pause auf dem Weg gewesen zurück, und sowohl die Marine als auch die Luftwaffe hatte gewisse Schwierigkeiten, den Weg zum Tagungsort zurückzufinden, also eine gewisse Orientierungslosigkeit, die sich leider auch im politischen Geschehen niederschlägt, äh, die Forderung nach dem Taurus ist ja ein Running Gag der CDU-Fraktion, CDU/CSU-Fraktion insbesondere", fuhr er auf dem langen Weg zu seiner Zwischenfrage fort, um dann zur Pointe zu gelangen. "Ich erwarte eigentlich, dass mindestens mal einer von Ihnen oder dann doch Sie als Oberst der Luftwaffe sich Doktor-seltsam-mäßig auf nen Taurus setzen und damit nach Moskau reitet. Und wenn der Taurus nicht ausreißt (sic!), nehmen wir noch nen Ochsus dazu. Der Kern meiner Frage, Herr Kiesewetter … "

An dem Punkt, nach einer Minute und fünfunddreißig Sekunden, habe ich den Livestream ausgemacht. Das eitle, nichtssagende Geschwätz hätte ich ausgehalten, das kenne ich aus dem Bundestag, das dümmliche Witzchen war mir indes zu viel der Eiseskälte. Ich wusste wirklich nicht, wer der Herr im dunklen Anzug war, dachte nur: Entweder einer von der Alternative für Durchgeknallte, die Deutschland normalisieren will, oder ein Mann, der S. Zarenknecht folgt, jedenfalls ein Putin-Liebhaber. Da hinter dem Herrn im dunklen Anzug lauter Herren im dunklen Anzug saßen, die auf mich verdrossen und verbissen wirkten, schaute ich zuerst auf der Webseite der Partei nach, die im Parlament rechts sitzt - und wurde fündig. Ich entdeckte ein Foto des Herrn im dunklen Anzug und las in einer Meldung der dpa, dass er es sich zur Aufgabe gemacht habe, "den jungen Menschen durch das Aufzeigen von alternativen Sichtweisen zum selbstständigen Denken zu erziehen".

Ob ihm das mit den Ausführungen über das "Weißbuch der Bundeswehr von Flottillenadmiral Kähler" von 2006 und dem "Ochsus" gelingt - da bin ich nicht sicher. "Ochsus" steht im sprachlich geglätteten Protokoll der Bundestagsdebatte, die ich übrigens gewohnheitsmäßig mitgeschnitten hatte, in Anführungsstrichen. Ich, der keinerlei Ahnung von Militärtechnik hat, konnte nicht herausfinden, was ein "Ochsus" sein soll, habe mit "Ochsus", "Oxus", "Ocksus" und "Oksus" jeweils auch mit "Marschflugkörper" und "Rakete" gesucht. Überall Fehlanzeige.

Nun bin ich nicht mehr jung, aber das selbstständige Denken einschließlich des Entwickelns alternativer Sichtweisen beherrsche ich wie übrigens jeder Mensch, der nicht völlig plemplem ist. Am Ende meines Berichts kommt meine Zwischenfrage: Leute, die reden, ohne dass man sie versteht, sind die Alternative für Durchgeknallte? Für mich klingt das zu sehr nach "Altpartei": Sie machen politikverdrossen.

Quelle: ntv.de

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