Veganer Fuchs und böse Bauern Anke Engelke räumt "Die Häschenschule" auf
23.03.2024, 18:12 Uhr Artikel anhören
Die vierzehn Häschen begrüßen einen Neuling im Klassenzimmer. Ein Hase ist es nicht.
(Foto: Mareike Ammersken, Esslinger Verlag)
2024 feiert "Die Häschenschule" von Albert Sixtus 100. Geburtstag. Anke Engelke hat das Bilderbuch neu interpretiert und den einstigen Untertanengeist aus dem Klassenzimmer verbannt. Damit stößt sie nicht überall auf Beifall - den kleinen Leserinnen und Zuhörern dürfte die Neuauflage trotzdem gefallen.
Seit nunmehr einem Jahrhundert zieht der Hasenlehrer dem unartigen Max am Ohr - der kleine Hasenschüler soll Buße tun, hat er doch in der Pause Stühle und Bänke zertrümmert. Die 1924 erschienene "Häschenschule" des Kinder- und Jugendbuchautors Albert Sixtus zieht auch hundert Jahre später noch Leserinnen und Leser in ihren Bann. Nach rund einer Million verkaufter Exemplare gehen bis heute teils Tausende Exemplare pro Monat über den Ladentisch. Mit seinen altertümlichen Zeichnungen erinnert die Geschichte an vergangene Zeiten - und preußische Tugenden. Denn auch wenn der Rohrstock des Lehrers bereits 1949 vom Buchcover verschwunden ist, herrscht im Klassenzimmer ein strenges Regiment, dem sich vor allem die jungen Hasenmädchen fromm ergeben.
Zum 100. Geburtstag des beliebten Bilderbuchs hat Anke Engelke den Klassiker neu interpretiert. Wer sich nach altmodischer Sittsamkeit sehnt, wird in "Die neue Häschenschule" kaum fündig werden: Körperliche Züchtigung und überkommene Rollenbilder sind einem moderneren Hasenabenteuer gewichen. "Die Überlegung des Verlags war, die Geschichte aufzubrechen, und das hat sie auch ziemlich nötig", sagte Engelke im Gespräch mit dem Börsenblatt des deutschen Buchhandels.
Während Sixtus seine Hasenschülerinnen artig am Schulhofrand stehen lässt, schickt Engelke die Häsin Hoppich auf Abenteuerreise. Auch der einst böse Fuchs wird in der neuen Hasenschule zum veganen Freund der Hasenkinder. Er isst Möhren und überhaupt, "wenn wir allen Chancen geben, können wir viel mehr erleben", heißt es in dem Text. Der Fuchs heißt Brehm - eine Anspielung auf "Brehms Tierleben". "Das stand bei uns zu Hause, gleich neben 'Die Grenzen des Wachstums', dem Bericht des Club of Rome zur Lage der Menschheit", erzählt Engelke weiter.
Böser Fuchs weicht bösem Landwirt
Doch eine gute Geschichte braucht einen Bösewicht. "Damit habe ich sehr gehadert", sagte Engelke der Süddeutschen Zeitung. Der Verlag habe jedoch auf einen Konflikt zwischen Gut und Böse bestanden. Die Entscheidung sei letztlich auf große Mähmaschinen gefallen. Während die Schülerinnen und Schüler in der alten Version vor dem bösen Fuchs reißaus nahmen, fliehen sie nun, noch immer hakenschlagend, vor dem Menschen. Denn dieser rast mit Traktoren und giftigen Pestiziden über die Felder.
Der Sehnsucht nach unberührter Natur, die in der alten Häschenschule in weiten Feldern und tiefgrünen Wäldern ihre Erfüllung findet, wird in Engelkes Version der Spiegel vorgehalten. Längst ist nicht mehr alles so grün, wie es scheint - eine nicht unwichtige Botschaft mit Blick auf den Klimawandel. "Ich möchte den Kindern nicht das Bild nehmen, dass es schön wäre, später Bauer zu werden", sagte Engelke der Süddeutschen Zeitung. Aber den Menschen zum Buhmann zu machen, habe sie für die Geschichte in Kauf nehmen müssen.
Vonseiten der Landwirtschaft erntete sie für diese Entscheidung Kritik. Unter den Bewertungen bei Amazon sammelten sich wütende Kommentare. Das "Bayrische Landwirtschaftliche Wochenblatt" fasste die Botschaft des Bilderbuchs als "Bauern vergiften die Umwelt, Jäger schießen süße Tiere tot und Mähdrescher sind gefährliches Teufelszeug" zusammen.
Bereits vierte Auflage gedruckt
Neuanfänge sind schwer. Die Frage, ob nun früher alles besser war oder die Aussage, man habe Dinge eben schon immer so gemacht hat, als Rechtfertigung genügt, wird ihre finale Antwort sicher nicht in Engelkes Häschenschule finden. Die Überarbeitungen früherer Kindergeschichten sorgen immer wieder für Debatten. Dass neben Neuauflagen von Jim Knopf oder Pippi Langstrumpf auch Engelke mit ihrer Version der Häschenschule auf Widerstand stößt, ist somit kaum verwunderlich. "Ich bin dafür, dass diese Bücher weiterhin da sind, aber ich bin auch für Änderungen einzelner Stellen", erklärt sie der Süddeutschen Zeitung. Ihr gefalle es, Vorhandenes neu anzugucken und aufzufrischen.
Mittlerweile überwiegen bei Amazon die positiven Bewertungen. Das Bilderbuch hat dort 3,7 von fünf Sternen erreicht. Gerade die Zeichnungen von Mareike Ammersken, die weniger naturalistisch, sondern eher comicartig sind, verleihen den Figuren einen niedlichen Touch, der auf Zuspruch stößt. Pünktlich zur Osterzeit schmückt "Die neue Häschenschule" auch bei Dussmann in der Berliner Friedrichstraße sowohl die Fensterauslage als auch den Ostertisch im Eingangsbereich. Da das Buch erst kürzlich erschienen ist, könne man zu den Verkaufszahlen noch keine verlässliche Aussage treffen. "Es wurde aber bereits die vierte Auflage gedruckt. Daher rechnen wir gerade zu Ostern mit guten Verkäufen", so eine Mitarbeiterin gegenüber ntv.de. Die Debatte habe man mitbekommen. "Dies sollte die Begeisterung aber nicht weiter trüben."
Unabhängig von der Diskussion über das Für und Wider überarbeiteter Neuauflagen, dürfte Engelke mit ihrem Werk das Entscheidende gelungen sein: die Freude der kleinen Zuhörerinnen und Zuhörer zu bewahren. Denn ob der Fuchs nun Möhren isst, oder nicht - ein Hase auf Abenteuern ist auch nach 100 Jahren noch aufregend.
Quelle: ntv.de