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Bewegung zwischen Wut und Wehmut Braucht es ein Klima-Fukushima?

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Unter 30-Jährige machen sich große Sorgen um die Klimakrise. Daran haben auch Ukraine-Krieg und Wirtschaftskrise nichts geändert.

Unter 30-Jährige machen sich große Sorgen um die Klimakrise. Daran haben auch Ukraine-Krieg und Wirtschaftskrise nichts geändert.

(Foto: IMAGO/Olaf Schuelke)

Die deutsche Klimabewegung findet sich 2023 in einer verzwickten Lage wieder: Ihre präsenteste Vertreterin zieht Aufmerksamkeit, aber auch Ablehnung auf sich. Der größte Teil der Szene steht in ihrem Schatten, Ernüchterung macht sich breit. Aber die Situation hat einen Vorteil.

"Mit Russlands Angriff auf die Ukraine hat die Klimakrise politisch an Aufmerksamkeit verloren - aber nicht an Brisanz", sagt Lennart Schürmann. Er forscht am Wissenschaftszentrum Berlin zu politischem Protest und Radikalisierung und beobachtet eine sich im Wandel befindliche Klimabewegung. Die Rolle des medial präsentesten Akteurs sei 2023 endgültig neu besetzt worden, sagt Schürmann im Gespräch mit ntv.de. Das sei "auch eine Reaktion darauf, dass Fridays for Future ihre politischen Ziele nicht voll haben umsetzen können".

Dass der Klimawandel trotz Ukraine-Krieg, Nahostkonflikt und Inflation gerade junge Menschen noch immer schwer belastet, davon kann Inga Feuser ein Lied singen. Sie als Lehrerin sei tagtäglich mit Jugendlichen konfrontiert, die unter zunehmenden psychischen Belastungen leiden, sagt die Vorständin von "Teachers for Future" (TFF) ntv.de. Feuser erzählt von einem Schüler, der lange in der Klimabewegung aktiv gewesen sei. Irgendwann sei er zu ihr gekommen und habe gesagt, er könne nicht mehr. Er überlege, ob es nicht besser sei, sich eine Tüte Popcorn zu kaufen und dem Weltuntergang zuzuschauen.

Neben Kriegen und der Pandemie sei es auch die Aussicht auf eine Klimakatastrophe, die viele Schüler und Schülerinnen massiv belaste, sagt Feuser. Laut der halbjährlichen "Trendstudie - Jugend in Deutschland" bereitet der Klimawandel über die letzten Jahre hinweg mehr als der Hälfte der unter 30-Jährigen große Sorgen. Daran konnten auch die wirtschaftliche Lage und der Ukraine-Krieg nichts ändern. Die Sorgen um Inflation (63 Prozent) und den Krieg in Europa (59 Prozent) betrafen im Sommer dieses Jahres mehr junge Menschen als die Angst vor der Klimakrise (53 Prozent). Die Angst vor Krieg und wirtschaftlichem Abstieg verdrängten die Sorge um das Klima aber nicht, sondern überlagerten sie lediglich. Zudem nimmt diese jüngere Altersgruppe das Klima noch immer wesentlich ernster als etwa die der unter 50-Jährigen: Hier landet der Klimawandel im Sorgen-Ranking nur an siebter Stelle.

"Wachsende Bereitschaft zu zivilem Ungehorsam"

Auch wenn der Druck nach wie vor hoch ist - der Mut aus den Anfangsjahren der Fridays-for-Future-Bewegung sei bei vielen jungen Menschen der Resignation gewichen, sagt Inga Feuser. Dieser Resignation stehe andererseits eine "wachsende Bereitschaft zu zivilem Ungehorsam" gegenüber, so Feuser.
Sie könne verstehen, dass sich junge Menschen in ihren berechtigten Sorgen und Ängsten nicht wahrgenommen fühlten und sich deshalb Gruppen wie Ende Gelände, der Letzten Generation oder Extinction Rebellion anschlössen. Dieses Zusammenspiel beobachtet auch Protestforscher Schürmann. Aktuell sei es utopisch, dass auf politischer Ebene die Anpassungen gemacht würden, die nötig wären, um das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen.

Lina Johnsen, Sprecherin der Letzten Generation argumentierte nach deren Flughafenblockaden im Sommer ähnlich: Die FFF-Proteste hätten nicht ausgereicht, deshalb sei ziviler Widerstand das Mittel der Wahl. Weil sie sich nicht weiterzuhelfen wisse, stelle die Letzte Generation ihre eigenen Körper in den Weg des fossilen 'Weiter so'. Man versuche, "den Alltag zu stören, der uns am Ende über diese Klippe führt", so Johnsen in den "Tagesthemen".

Können die Fridays vom Flankeneffekt profitieren?

Mit ihrer Strategie, durch extremere Protestformen verstärkte Aufmerksamkeit zu schaffen, sei die Letzte Generation sehr erfolgreich - "wenn man der Logik folgt, dass Protest Aufmerksamkeit für bestimmte Themen generieren will", sagt Protestforscher Schürmann.

Genau hier sieht Pit Terjung das Problem. Der Sprecher von Fridays for Future sagt im Gespräch mit ntv.de, die Aufmerksamkeit für die Klimadebatte sei längst da: "Was wir jetzt brauchen, ist ein Kampf dafür, Gräben in der Gesellschaft zu überwinden und politische Mehrheiten zu erreichen."

Die Aktivitäten der Letzten Generation könnten Fridays for Future diesen Kampf sogar erleichtern, meint Protestforscher Schürmann. Sicherlich aber schadeten sie nicht: In seinen Studien zeige sich deutlich, dass die Ablehnung der Letzten Generation nicht in Ablehnung der Klimaziele umschlage, sagt Schürmann. Vielmehr könnten die Fridays vom sogenannten Flankeneffekt profitieren. Diese Theorie besagt: Neben dem als radikaler wahrgenommenen Flügel gewinnt der vermeintlich moderatere Flügel in der Gesellschaft an Glaubwürdigkeit.

"Unsere Welt wird mit jeder Tonne CO2 fragiler"

Auf die deutsche Klimabewegung trifft das laut Schürmann insofern zu, als mittlerweile viele Menschen sagten: "Die guten Fridays, die haben noch richtig protestiert und nicht alles blockiert." Das Framing habe sich hier klar geändert. Zu Beginn sei auch den Protesten von Fridays for Future starke Ablehnung entgegengeschlagen, die Schule schwänzenden Jugendlichen seien damals als radikal wahrgenommen worden. Inzwischen, im Vergleich zur Letzten Generation, gelten deren Aktionen fast schon als brav, sagt Schürmann.

Belastet wird das Image von Fridays for Future derzeit von den propalästinensischen Äußerungen Greta Thunbergs. Die Ikone der Bewegung musste scharfe Kritik einstecken - vor allem aus Deutschland. Manche prophezeiten, Thunberg habe mit ihrem Völkermord-Vorwurf ihr eigenes Vermächtnis beerdigt. Die deutsche FFF-Sektion distanzierte sich deutlich, hält dem Abgesang auf die Bewegung aber entgegen, Thunberg sei immer auch eine mediale Figur gewesen. Es entspreche offensichtlich nicht der Realität, dass eine Person eine ganze Bewegung stemme, sagt FFF-Sprecher Pit Terjung: "Im Gegenteil, das sind ganz, ganz, ganz viele Hände, die da zusammenarbeiten."

Die Klimaaktivistin und Lehrerin Inga Feuser pflichtet dem bei. Sie sagt, Thunberg habe viel erreicht, aber wenig Einfluss auf die deutsche FFF-Sektion. Die Diskussion um ihre Person sei wichtig und richtig. Nun aber müsse man zusehen, dass Klimaschutz gemacht werde, sonst werde es noch viel mehr Kriege geben in den nächsten Jahren. "Unsere Welt ist so fragil und mit jeder Tonne CO2 wird sie fragiler", sagt Feuser.

Fridays for Future versuchen immer öfter, Stärke aus der Zusammenarbeit mit anderen Bewegungen zu ziehen. Sie setzten nicht mehr nur auf die Freitagsproteste, sondern vermehrt auf die Verknüpfung mit anderen Bewegungen, Gewerkschaften und Verbänden, beobachtet Schürmann. Die Letzte Generation habe durch ihre neuen, provokativeren Protestformen so auch dafür gesorgt, dass die Szene insgesamt auf vielfältigere Weise auftrete. Das Protestrepertoire sei erweitert worden, stellt Schürmann fest.

Braucht es ein Klima-Fukushima?

Fridays for Future ging 2023 beispielsweise mehrmals gemeinsam mit ÖPNV-Beschäftigten auf die Straße. "Die Leute, die die Busse fahren, haben teilweise Wendezeiten von zehn Minuten. Die können nichts essen, nicht aufs Klo gehen", begründet FFF-Sprecher Terjung diese Zusammenarbeit. "Das sind wirklich prekäre Arbeitsbedingungen in einem Job, der für uns immer wichtiger wird in Zukunft." Man wolle die Verkehrswende, aber man wolle sie sozial und ökologisch.

Auch Inga Feuser von den Teachers for Future glaubt, dass der Druck, den die Klimabewegung ausübt, noch nicht ausreicht. "Wir müssen uns für 2024 wirklich gut überlegen, wie wir strategisch weitermachen." Sie sei der Überzeugung, dass eine große Bandbreite an Aktionsformen nötig sei: von niederschwelligen, die für alle offen seien, bis hin zu solchen, die den Druck erhöhten.

Es gebe in gesellschaftlichen Prozessen nicht nur den einen Weg, sagt Protestforscher Schürmann: "Ich glaube, dass es auch den 'Marsch durch die Institutionen' braucht." Dass das Fridays-for-Future-Netzwerk im Gegensatz zur Letzten Generation als vernünftig wahrgenommen werde, könnte es ihm zudem erleichtern, ausreichend Druck aufzubauen. Gemeinsam mit verbündeten Bewegungen oder Gewerkschaften erscheine es dann möglich, zentrale politische Weichenstellungen zu erreichen.

Schürmann bringt einen weiteren Veränderungsfaktor ins Spiel - eine Parallele zur Anti-AKW-Bewegung: Um tatsächliche Entscheidungen und politisches Handeln auszulösen, brauche auch die Klimabewegung womöglich einen externen Schock. Am Ende sei Deutschland erst nach der Atomkatastrophe von Fukushima endgültig aus der Atomkraft ausgestiegen. Die Klimabewegung genieße allgemein große Unterstützung, auch die Langzeiteffekte der Fridays-for-Future-Proteste würden unterschätzt. Aber der tatsächliche Handlungsbedarf, die realen Gefahren des Klimawandels würden möglicherweise erst durch sich häufende Extremwetterereignisse deutlich.

Quelle: ntv.de

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