Panorama

"Es ist die Hölle" Ex-Gefangene enthüllen brutale Realität saudischer "Frauenheime"

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Die Insassinnen der Heime versuchen regelmäßig zu fliehen. Eines der wenigen existierenden Fotos zeigt einen Fluchtversuch aus dem Jahr 2013 in Tabouk.

Die Insassinnen der Heime versuchen regelmäßig zu fliehen. Eines der wenigen existierenden Fotos zeigt einen Fluchtversuch aus dem Jahr 2013 in Tabouk.

(Foto: Ursprung unbekannt)

Schläge, psychischer Druck, brutale Kontrolle. Ehemalige Insassinnen sogenannter Dar al-Reaya-Einrichtungen in Saudi-Arabien berichten über die Zustände dieser geheim gehaltenen Einrichtungen. Frauen werden dort für "Ungehorsam" bestraft. Darunter fällt alles, was den Machthabern missfällt.

Aussagen von ehemaligen Insassinnen enthüllen die brutalen Zustände der sogenannten Dar al-Reaya-Einrichtungen in Saudi-Arabien. Der britische "Guardian" veröffentlichte jetzt in den vergangenen sechs Monaten gesammelte Berichte von Frauen, die in diesen staatlichen "Pflegeheimen für Frauen" festgehalten wurden. Diese Einrichtungen dienen offiziell der "Rehabilitation" von Frauen, die wegen Ungehorsam, außerehelicher Beziehungen oder Abwesenheit von zu Hause von ihren Familien verstoßen wurden.

Die seit den 1960er Jahren bestehenden Dar al-Reaya-Heime funktionieren demnach wie Gefängnisse für Frauen unter 30 Jahren, die dort von männlichen Vormündern oder Familienmitgliedern eingewiesen werden können. Die Betroffenen können nur mit Zustimmung ihres männlichen Vormunds entlassen werden. Ohne deren Zustimmung können sie jahrelang oder sogar lebenslang eingesperrt bleiben.

"Jedes Mädchen, das in Saudi-Arabien aufwächst, weiß von Dar al-Reaya und wie schrecklich es ist. Es ist die Hölle. Ich wollte mir das Leben nehmen, als ich erfuhr, dass ich in ein solches Gefängnis gebracht werden sollte", berichtet eine junge saudische Frau, der die Flucht ins Exil gelang.

Einziger Ausweg: ein männlicher Vormund

"Es ist ein Gefängnis, kein Pflegeheim, wie sie es gerne nennen", fasst Sarah Al-Yahia, saudische Frauenrechtsaktivistin und Gründerin der "Saudi Feminist White-Ribbon Movement", die Situation der Heime zusammen. "Sie rufen die Frauen mit Nummern, 'Nummer 35, komm her'. Als eines der Mädchen seinen Familiennamen nannte, bekam es Peitschenhiebe." Wer nicht betet, bekommt Peitschenhiebe. Und wer allein mit einer anderen Frau angetroffen wird, bekommt ebenfalls Peitschenhiebe und wird beschuldigt, lesbisch zu sein.

Eine weitere anonyme Betroffene, der "Guardian" nennt sie Layla, die nach einer Beschwerde bei der Polizei über Misshandlungen durch Vater und Brüder eingewiesen wurde, schildert: "Diese Frauen haben niemanden. Sie können jahrelang im Stich gelassen werden, auch ohne ein Verbrechen begangen zu haben. Der einzige Ausweg ist ein männlicher Vormund, eine Heirat oder ein Sprung vom Gebäude."

Das Sprechen über diese Einrichtungen ist extrem riskant. "Niemand wagt es, über diese Orte zu twittern oder zu sprechen. Niemand wird nach dir fragen, wenn du dort bist", erklärt Aktivistin Fawzia al-Otaibi, die 2022 aus Saudi-Arabien geflohen ist. Stimmen zu Frauenrechten würden weitgehend zum Schweigen gebracht, weshalb öffentliche Äußerungen oder Filmmaterial über die Heime praktisch unmöglich geworden seien.

Genaue Zahlen über die Anzahl von Insassinnen existieren nicht

Die Menschenrechtsgruppe ALQST bezeichnet die Dar al-Reaya-Einrichtungen als "staatliche Instrumente zur Durchsetzung von Geschlechternormen", die "in krassem Gegensatz zum Narrativ der saudischen Behörden von der Ermächtigung der Frauen" stehen. Kampagnenbeauftragte Nadyeen Abdulaziz fordert: "Wenn sie es mit der Förderung der Frauenrechte ernst meinen, müssen sie diese diskriminierenden Praktiken abschaffen und die Einrichtung echter Zufluchtsorte zulassen, die diejenigen, die Missbrauch erfahren haben, schützen, anstatt sie zu bestrafen."

Human Rights Watch dokumentiert die schlimmen Bedingungen in den Einrichtungen schon seit langem. Die Nahost-Expertin Rothna Begum erzählte 2020 dem "Business Insider": "Die Wärter führen ein Notizbuch, in dem sie festhalten, ob die Insassinnen ihre Periode haben, weil sie dann nicht lesen oder beten dürfen. Das wird kontrolliert."

Genaue Angaben zur Anzahl der inhaftierten Frauen oder der Gesamtzahl der Insassinnen existieren nicht. Die saudische Regierung weist alle Vorwürfe zurück und behauptet, Frauen könnten die Einrichtungen "jederzeit verlassen" und benötigten "keine Zustimmung eines Vormunds" - eine Darstellung, die den Aussagen der Betroffenen fundamental widerspricht.

Quelle: ntv.de, ija

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