MH370 zehn Jahre verschwunden "Der Wrackfund ist der einzig sinnvolle nächste Schritt"
08.03.2024, 11:07 Uhr Artikel anhören
Andreas Spaeth erwartet bald eine neue Suche.
(Foto: privat)
Am 8. März 2014 verschwindet MH370 mit 239 Menschen auf dem Flug von Kuala Lumpur nach Peking. Der vermutete Absturz bleibt rätselhaft. Andreas Spaeth, der den Fall seitdem als Luftfahrtjournalist verfolgt, schließt dennoch nicht aus, dass es bei der Lösung des derzeit größten Rätsels der Luftfahrtgeschichte bald Fortschritte gibt.
ntv.de: Die Firma Ocean Infinity hat gerade angekündigt, dass sie noch einmal nach MH370 suchen würde. Gibt es denn neue Ansatzpunkte, die eine erneute Suche sinnvoll machen?
Andreas Spaeth: Blaine Gibson, der bisher die meisten Wrackteile gefunden hat, und viele andere Leute sagen, es gibt neue Möglichkeiten, die noch nicht überprüft wurden. Der spannendste Ansatz kommt vom britischen Luft- und Raumfahrtingenieur Richard Godfrey. Der entdeckte, dass Flugzeuge Signale der Amateurfunktechnologie Weak Signal Propagation Reporter (WSPR) stören. Dieses Signal und die daraus resultierenden Störungen werden seit 2009 in einer globalen Datenbank gespeichert. Die vor zehn Jahren von Flug MH370 aufgezeichneten Störungen hat Godfrey am Computer aufwendig analysiert. Daraus ergab sich ein ziemlich genau eingegrenztes Absturzgebiet, das etwas nördlich des bisher abgesuchten Gebiets liegt. Gemessen an dem, was bereits abgesucht wurde, also etwa 120.000 Quadratkilometer, ist es eine vergleichsweise kleine Fläche. Gibson, aber auch Godfrey und auch Professoren von diversen Universitäten, also quasi die gesamte Expertengruppe sagt, das ist jetzt wirklich eine neue Qualität von Analyse aufgrund bisher nicht ausgewerteter Daten. Und das ist ein Grund, dass man da suchen sollte.
Warum ist das bisher nicht geschehen?
Ocean Infinity hat das schon lange angeboten und ist bisher, sehr zum Leidwesen der Angehörigen, auf taube Ohren gestoßen. Das Motto heißt in diesem Fall "no find, no fee". Sie suchen auf eigene Faust und nur wenn sie etwas finden, bekommen sie Geld. Malaysia hat 70 Millionen US-Dollar ausgelobt, wenn sie das Flugzeug finden. Sonst machen sie es quasi umsonst, weil keiner die Kosten erstattet. Das Angebot gibt es schon einige Zeit, wurde aber von Malaysia nicht angenommen, weil es keine neuen Erkenntnisse gäbe. Rein rechtlich muss Malaysia den Auftrag erteilen, das hat das Kabinett bisher verweigert. Beim Treffen der Angehörigenfamilien zum zehnten Jahrestag am vergangenen Wochenende in Kuala Lumpur hat der Transportminister des malaysischen Kabinetts aber angekündigt, dass er eine neue Suche durchsetzen will. Und plötzlich argumentierte auch Anwar Ibrahim, der Regierungschef und Präsident von Malaysia, ebenfalls in diese Richtung.
Wonach würde denn jetzt genau gesucht? Eher nach weiteren kleineren Teilen oder nach dem Flugzeugrumpf?
Es sind bisher etwa 20 Teile gefunden worden, wobei nicht alle zweifelsfrei als Teile dieses Flugzeugs identifiziert werden konnten. Trotzdem sind es erwiesenermaßen Flugzeugteile dieses Boeing-Typs und es gibt keine anderen im Indischen Ozean abgestürzten Boeing 777. Von daher ist es schon sehr evident. In sechs oder sieben Fällen hat man die Stücke über eingestanzte Part Numbers, also über Teilenummern, identifiziert. Es gibt also zweifelsfrei identifizierte Teile von diesem einen Flugzeug mit dem Kennzeichen 9M-MRO. Weitere kleine Teile zu finden, macht zur weiteren Aufklärung keinen Sinn. Dass die Maschine nicht irgendwo in Sibirien steht, sondern im Ozean abgestürzt ist, ist durch diese Teile bereits zweifelsfrei bewiesen. Jetzt hilft nur noch das Wrack zu finden und natürlich auch die Aufklärungsgeräte wie den Flugdatenschreiber. Wobei die große Frage ist, ob nach zehn Jahren in mehreren Tausend Metern Tiefe da noch irgendwas Verwertbares auszulesen ist. Aber der Wrackfund ist der einzig sinnvolle nächste Schritt in der Aufklärung dieses größten Mysteriums der Luftfahrtgeschichte.
Um das Schicksal des Fluges ranken sich immer noch die absurdesten Verschwörungsmythen. Ist man denn einer wahrscheinlichen Absturztheorie in diesen Jahren irgendwie nähergekommen?
Nein, aber es gibt auch überhaupt keine Beweise für irgendetwas. Das ist ein Nährboden für jeden und alle, die absurdesten Geschichten zu fabulieren und die auch im Grunde unwidersprochen erzählen zu können, weil es keine Beweise für das Gegenteil gibt. Jeder hat eine irgendeine absurde Theorie, die er mit sektenartiger Überzeugung vertritt und alle anderen sind böse Feinde. Die verklagen sich teilweise gegenseitig vor Gericht. Es gibt mehr als 120 Bücher über diesen Fall, die meisten sind grottenschlecht. Und in einer Netflixserie wurden ebenfalls drei Theorien präsentiert, zumindest zwei davon waren vollkommen absurd. Die Theorien lassen sich weder beweisen noch widerlegen und das ist ein Riesenproblem. Deswegen brauchen wir dringend das Wrack. Ich habe ein Bauchgefühl und Blaine Gibson hat es auch, dass zu unseren Lebzeiten das Wrack gefunden und der Fall sich zumindest annähernd aufklären wird. Die bestätigten gefundenen Wrackteile widerlegen auch einige der absurdesten Theorien. Das Flugzeug ist im Indischen Ozean abgestürzt. Aufgrund der gefundenen Teile kann man erkennen, dass es ein Aufprall mit hoher Geschwindigkeit war. Also war es keine versuchte Notlandung zum Beispiel. Der nach außen ja leicht besessen wirkende Blaine Gibson hat trotzdem selbst keine Theorie. Aber er sagt, und das sehe ich genauso, am wahrscheinlichsten ist ein Selbstmord des Piloten, weil es das Einzige ist, was halbwegs Sinn macht. Wir wissen über den Flugverlauf, dass hier menschliche Eingriffe stattgefunden haben. Es gab aktive Richtungsänderungen, die keinen Sinn für den geplanten Flug machten. Da hat jemand aktiv eingegriffen und aufgrund der Biografie des Piloten hat man auf jeden Fall jede Menge Wahrscheinlichkeiten ermittelt, die das auch relativ plausibel machen. Aber einen Beweis haben wir nicht.
Das Verschwinden von MH370 gilt als das größte Rätsel der Luftfahrtgeschichte. Aber es sind auch schon vorher Flugzeuge verschwunden.
Es ist tatsächlich gar nicht mal so selten in der Geschichte, dass Flugzeuge verschwinden. Aber es gibt quasi keine Fälle von Verkehrsflugzeugen und schon gar nicht auf Linienflügen, die auf lange Zeit verschwunden geblieben sind. Es gibt eigentlich nur einen einzigen Fall von 1962 - ein Propellerflugzeug vom Typ Lockheed L-1049 Super Constellation mit 107 Menschen an Bord. Das war ein ziviles Flugzeug, das die US-Armee gechartert hatte. Beim Flug von Kalifornien nach Südvietnam waren Truppen an Bord, aber die Gesellschaft Flying Tiger Line war eine zivile amerikanische Airline. Und das Flugzeug ist im Pazifik nach einer Zwischenlandung in Guam mitten im Pazifik verschwunden und bis heute nie wieder aufgetaucht. Es wird vermutet, dass das Flugzeug über dem Marianengraben abgestürzt und dort versunken ist, also dem tiefsten Ozeantal der Welt mit bis zu 11.000 Meter Tiefe. Die Amerikaner haben damals eine der größten Suchaktionen der Welt gestartet. Kein einziges Wrackteil wurde je gefunden. Ein anderes Beispiel ist Amelia Earhart, die 1937 bei einem Flug um die Welt spurlos verschwand. Ein Suchteam will ihr Flugzeug jetzt im Pazifik gefunden haben - in 5000 Metern Tiefe wurde ein Radar-Echo entdeckt. Der Fall ist bald 100 Jahre alt, es gibt Filme und Bücher, jetzt hat diese Privatexpedition zum ersten Mal anscheinend neue Anhaltspunkte gefunden. Diese Fälle beschäftigen die Menschheit.
Was macht MH370 so speziell?
MH370 ist in einer Zeit passiert, wo wir alle über soziale Medien vernetzt sind. Insofern ist einfach die öffentliche Aufmerksamkeit eine andere. Es gibt eine politische Gemengelage dabei. China spielt eine Rolle, weil das Ziel Peking war und viele Chinesen an Bord. In Malaysia gab es auch immer schon politische Ungereimtheiten. Und es war eine sehr stark beleuchtete Bühne, weil sie irgendwo mitten im Pazifik waren, im Blick von vergleichsweise vielen Ländern. Das hat eine ganz andere Aufmerksamkeit generiert und tut es nach wie vor.
Außer der Sensationsgier der Welt gibt es natürlich noch das ganz persönliche Interesse von Menschen, zu wissen, was ist ihren Angehörigen passiert. Was macht den Unterschied, wenn man diese Fragen eventuell noch beantworten könnte?
Das macht einen gigantischen Unterschied. Der Schmerz ist ja permanent da, wenn ein Angehöriger auf diese Weise verschwindet. Man braucht einfach eine Art von Abschluss, um auch damit mental umzugehen und das irgendwie zu verarbeiten. Aber man muss natürlich auch Klarheit haben, wie ist mein geliebter Mensch ums Leben gekommen und warum? Blaine Gibson hat von dem Treffen bestätigt, dass es nach zehn Jahren den meisten Angehörigen gelungen ist, zu akzeptieren, dass ihre Liebsten nicht mehr da sind. Aber natürlich ist trotzdem das Verlangen riesengroß, zu erfahren, was passiert ist. Sie haben eine eigene Organisation und posten unter anderem auf Facebook ihre Forderungen. Der Druck der Angehörigen ist weiterhin sehr groß und ich finde das auch sehr verständlich.
Zur Grundproblematik gehört ja, dass der Pilot diesen Transponder ausschalten konnte. Haben die Fluggesellschaften daraus etwas gelernt?
Das war natürlich ein ganz großes Thema direkt danach. Es war in der Branche durchaus bekannt, dass da Lücken existierten. Aber zumindest für die breite Öffentlichkeit war es ein Schock zu hören, dass man ein solches Riesenflugzeug, wenn man entsprechende böse Absichten hat, sozusagen auf Tarnkappenbomber umstellen kann und es dann plötzlich auf dem Radar nicht mehr zu sehen ist. Das hat man in der Tat geändert. Heutzutage melden sich fast alle Flugzeuge ständig automatisch, und zwar eben noch in einer anderen Weise als damals. Es gibt immer noch Lücken in der Radar- und Satellitenabdeckung, die teilweise mitten auf dem Pazifik und auch manchen anderen Stellen auf dem Atlantik nicht lückenlos funktioniert. Bis heute nicht, obwohl man denkt, Satelliten sind überall und können das entsprechend übertragen. Aber grundsätzlich hat sich die Sichtbarkeit, die Auffindbarkeit von Verkehrsflugzeugen auf ihren Flügen verbessert. Wenn da etwas irregulär passieren sollte, wird automatisch Alarm geschlagen. Es ist heute auf jeden Fall sehr viel unwahrscheinlicher als vor zehn Jahren, dass so etwas noch mal passieren kann.
Mit Andreas Spaeth sprach Solveig Bach
Quelle: ntv.de