Sterneküche hinter Gittern Gourmetrestaurant lädt in den Knast


Im Inneren des Restaurants erinnert nichts an die Realität des Gefängnisses.
(Foto: Andrea Guermani)
Das Lokal hat zwar keine Sterne, die Gerichte sind aber trotzdem Haute Cuisine, wie der renommierte Michelin-Führer bestätigt. Das Besondere an diesem Restaurant: Es befindet sich in einem Mailänder Gefängnis und stellt Häftlinge ein.
"Wenn es etwas gibt, das die Menschen zusammenführt, dann ist es das Essen. Zum Beispiel die Lasagne", sagt Davide, der Küchenchef des Restaurants "In Galera", auf Deutsch "Im Knast". Womit er indirekt meint: "Egal, wo das Essen stattfindet." Die beschriebene Szene stammt aus "Benvenuti In Galera", einem Dokumentarfilm von Michele Rho, der gerade einen überraschenden Erfolg feiert.
Überraschend, weil der Name des Restaurants und der Titel des Films nicht nur eine gelungene Marketingaktion sind, sondern die Wirklichkeit darstellen. Das Restaurant befindet sich nämlich auf dem Gelände der Mailänder Strafvollzuganstalt im Vorort Bollate, funktioniert aber wie ein ganz normales Restaurant. Jeder kann einen Tisch reservieren, am Gefängniseingang angekommen wird man von einer Bedienung abgeholt und zum Restaurant geleitet.
Als das Restaurant 2015 eröffnet wurde, sorgte es für viel Aufmerksamkeit, auch im Ausland, denn es war das erste in einem Gefängnis. Insgesamt zählt es 50 Tische und hat einen Küchenchef, der seine Lehre bei dem mittlerweile verstorbenen Starkoch Gualtiero Marchesi gemacht hat.
Von außen betrachtet sieht das Restaurant wie jeder Gefängnisbau aus - grau und ein wenig trostlos. Sobald man aber über die Schwelle tritt, befindet man sich in einem Restaurant gehobener Klasse. Die Tische sind so perfekt gedeckt, als würde ein Staatsoberhaupt erwartet. Die Kellner und die Kellnerin tragen, wie es sich in so einem Lokal gehört, schwarze Uniform mit weißem Hemd und die Bedienung ist makellos. Und dann ist da noch die Speisekarte. Um sich selber ein Bild von den Gerichten zu machen, kann man das Menü auf der Webseite des Restaurants (auch auf Englisch) lesen. Alles ist sehr geschmackvoll angerichtet, wie es sich eben für ein Gourmetrestaurant gehört. Nur die Poster preisgekrönter Filme wie "Papillon", "Flucht von Alcatraz" oder "Die Verurteilten" spielen auf den Ort an, an dem man sich befindet.
Kein Almosenrestaurant
Kopf und Seele dieses Projekts ist und bleibt Silvia Polleri, eine einfühlsame und gleichzeitig sehr energische Frau im besten Alter. Sie ist außerdem die Mutter des Regisseurs von "Benvenuti in Galera". Bevor Frau Polleri in Bollate landete, hatte sie mehr als 20 Jahre in einem Kindergarten gearbeitet und danach 10 Jahre lang ein Catering Unternehmen geführt, das seine Dienste der "gehobenen Mailänder Gesellschaft" anbot, wie sie schmunzelnd im Gespräch mit ntv.de sagt. "Und bei einem dieser Abende fragte mich die damalige Direktorin der JVA von Bollate, Lucia Castellano, eine einmalige Frau, ob ich nicht Lust hätte, einen Catering-Service im Gefängnis aufzumachen, in dem die Häftlinge die Speisen zubereiten, ausliefern und auch servieren." Sie habe die Idee so verrückt gefunden, dass sie zusagte, aber eine Bedingung stellte. "Wir sollten kein Almosen-Catering werden. Es musste mit den anderen der Branche konkurrieren können und Profit erwirtschaften." Dasselbe Prinzip wurde später auch beim Restaurant angewandt, das heute auch, wenngleich ohne Sterne, im prestigevollen Gourmetführer Michelin gelistet ist.
Im Jahr 2003 gründete Frau Polleri die Genossenschaft ABC La Sapienza in Tavola mit Sitz in der JVA von Bollate und startete mit dem Catering. Wie bei einem ganz normalen Catering ging es bei den Aufträgen um Hochzeiten, Geburtstage, Firmenfeste und so weiter. "Am Anfang haben uns immer auch ein paar Polizisten in Zivil zu den Kunden begleitet", erzählt sie. Nach zwei Jahren fuhr Frau Polleri allein mit ihrer Truppe. "Darüber waren aber nicht alle Häftlinge froh, einige baten die Polizisten zu bleiben, ich sei nämlich zu streng", lacht sie. "Natürlich war das ein Scherz, aber nicht nur." Hätte sie die Regeln nicht so streng befolgt, etwa die Vorschrift, dass es für die Häftlinge gleich nach der Arbeit schnurstracks nach Bollate zurückging, gebe es heute weder das Catering noch das Restaurant.
Um im Restaurant arbeiten zu dürfen, müssen die Häftlinge einen Teil der Freiheitsstrafe schon abgesessen haben. Beim Bewerbungsgespräch fragt Frau Polleri nicht, warum jemand sitzt, sondern wie lange die Haft noch dauert. "Ich stelle lieber die ein, die noch länger bleiben müssen. So können sie den Beruf wirklich lernen und wenn sie dann wieder frei sind, auch Arbeit finden". Was in der Tat auch schon geschehen ist.
Arbeit und Struktur
Wie man im Film sieht, geht es in der Küche wie in jedem anderen Restaurant nach streng geregelten Abläufen zu. Frau Polleri fügt erklärend hinzu, dass die Küchenhierarchie, die noch aus den Zeiten der alten Kriegsmarine stammt und wie damals auf dem absoluten Respekt der Regeln fußt, perfekt für das Personal sei. Von den insgesamt zehn Personen, die im Restaurant arbeiten, sind abgesehen von einer Kellnerin und dem Maitre alle anderen Häftlinge.
Sie alle haben einen unbefristeten Arbeitsvertrag und verdienen zwischen 1300 und 2500 Euro netto. Nicht schlecht, wenn man bedenkt, dass viele ihrer Kollegen draußen von so einem Betrag nur träumen können. Wie jeder andere Bürger bezahlen auch sie darauf Steuern, außerdem werden davon auch die Kosten für den Gefängnisunterhalt, die monatlich bei 130 Euro liegen, abgezogen.
Wie wichtig die Arbeit für die Häftlinge ist, zeigt der Film. Da ist unter anderem die Szene, wo sie ihre Alltagskleider ablegen und in die Arbeitsuniform schlüpfen und von dem Moment an ganz normale Restaurantangestellte sind. Die meisten Gäste sehen sie auch so. Doch immer wieder gibt es den einen oder die andere, die sie mit der Frage konfrontieren: "Und, warum sitzt du?" Und so lautet einer der sechs Untertitel des Films: "Sie kommen, um die Äffchen zu sehen."
Eine andere Haft ist möglich
Der Regisseur Rho erzählt ntv.de, dass ihm erst im Laufe der Dreharbeiten eigentlich klar wurde, was er mit dem Film bezwecken wolle: "Und zwar der Gesellschaft das Leben im Gefängnis näherzubringen", und nicht nur in Italien, weswegen der Film jetzt auch auf Tournee geht. Erster Halt: bei einem Filmfestival in Frankreich.
Natürlich handelt es sich beim Restaurant "In Galera" um eine positive Ausnahme, im Vergleich zu den Problemen, die das italienische Haftsystem plagen. Dennoch ist es auch ein Anstoß, neue Wege zu beschreiten, die dem Häftling wirklich die Chance bieten, sich zu rehabilitieren, wie die italienische Verfassung vorsieht. Ein anderes Gefängnis ist möglich.
Quelle: ntv.de