Panorama

Abschluss der Holocaust-Trilogie Im "Berliner Ensemble" treffen Überlebende auf Täter

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Die Theaterleute verstehen ihre Arbeit als Auseinandersetzung mit der Gegenwart.

Die Theaterleute verstehen ihre Arbeit als Auseinandersetzung mit der Gegenwart.

(Foto: Ilse-Holzapfel-Stiftung )

Das Theater "Berliner Ensemble" schließt mit "Gestern zwar, doch nicht vergangen" eine emotionale Stückreihe über den Nationalsozialismus ab. Diesmal begegnen sich Holocaust-Überlebende und Nazi-Täter sowie deren Nachkommen und stellen die Frage nach Schuld und Verantwortung.

Nach "Fünf Stellvertreter" und "Ratten auf der Flucht" bringt die Ilse-Holzapfel-Stiftung den dritten und damit letzten Teil einer bemerkenswerten Trilogie zum Nationalsozialismus auf die Bühne des "Berliner Ensembles". In "Gestern zwar, doch nicht vergangen" kommen wieder Opfer und Täter zu Wort. Holocaust-Überlebende und Nazi-Täter nach der Stunde Null.

In dem Stück, das wie die beiden vorherigen von dem renommierten Berliner Autor Alexander Pfeuffer geschrieben wurde, trifft die Ärztin Gustl Stein, eine jüdische Überlebende der Shoah, im Argentinien der 1960er Jahre zufällig auf einen der Nazi-Täter. Horst Ehrmann, ehemaliger Staatssekretär im Reichsverkehrsministerium, hat in den Wirren nach Ende des Zweiten Weltkrieges seine Kontakte genutzt, um sich in Deutschland der Justiz zu entziehen und nach Südamerika abzusetzen.

Über die sogenannte Rattenlinie sind damals viele Nazi-Täter aus Europa geflohen und haben sich vor allem in Argentinien niedergelassen. Ehrmann, dessen Part von Sylvester Groth gelesen wird, ist durch seine Flucht straffrei geblieben und zeigt auch mehr als zehn Jahre nach Kriegsende weder Reue noch ein Einsehen. Die jüdische Ärztin Gustl Stein wird durch diese Begegnung nicht nur gezwungen, sich ihren eigenen Traumata zu stellen, sondern sie muss sich auch mit dem fortdauernden Machtmissbrauch der Täter von damals auseinandersetzen.

Trauma trifft auf Schuld

Claudia Michelsen, die schon in Aufführungen der "Fünf Stellvertreter" mitgewirkt hatte und jetzt in die Rolle der Gustl Stein schlüpft, kommt trotz des emotional herausfordernden Themas beinahe ins Schwärmen: "Es ist großartig, was Alexander Pfeuffer mit diesen Stücken geschaffen hat. Eine emotionale Wucht, die nicht moralisiert, sondern teilweise auch faktisch erzählt, so dass wir nicht vergessen können."

Das Stück bildete Szenen an fünf verschiedenen Tagen über einen Zeitraum von 14 Jahren ab. Es beschreibt bedrückend realistisch, wie nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges die Traumata der Verfolgten genauso fortbestanden haben wie die Weigerung der Täter, sich mit ihrer Schuld auseinanderzusetzen. Pfeuffer und die Darsteller unter der Regie von Leonie Rebentisch erzählen, wie die Familien - sowohl die der Opfer als auch die der Täter - von den Schrecken der Shoah geprägt wurden und welche Auswirkungen all das auch auf folgende Generationen hat. Zum Teil bis in die Gegenwart.

Laura Talenti muss sich als Eva Stein genauso mit der Vergangenheit ihrer Mutter Gustl auseinandersetzen wie Franz Ehrmann, als Sohn von Horst Ehrmann ein Täter-Kind. Der junge Ehrmann muss einen Weg finden, die Schuld seines Vaters und dessen Generation als Teil seiner eigenen Familiengeschichte anzuerkennen und gleichzeitig nicht daran zu zerbrechen. Der Schauspieler Jannik Schümann setzt sich beinahe schmerzhaft mit seiner Rolle als Franz Ehrmann auseinander: "Mich fasziniert, wie eindringlich das Stück den Bogen von der Vergangenheit in die Gegenwart schlägt. Es zeigt, dass die Schatten der Geschichte nicht einfach verschwinden, sondern dass sie weiterwirken - in Familien, in Gesellschaften und in den Herausforderungen, vor denen wir heute stehen. Gleichzeitig ist das Stück auch eine Mahnung. Angesichts des aktuellen Wiederauflebens von Rassismus, Antisemitismus und Ausgrenzung weltweit stellt sich die Frage, was wir heute tun können, um die Fehler der Vergangenheit nicht zu wiederholen."

Und Schümann geht sogar noch einen Schritt weiter: "Wie viel Verantwortung tragen wir als Nachgeborene? Können wir uns von der Schuld unserer Vorfahren lösen? Und welche Schritte müssen wir unternehmen, um sicherzustellen, dass sich solche Gräueltaten nie wiederholen? Diese Fragen sind nicht nur für mich persönlich wichtig, sondern auch für die Gesellschaft, in der wir leben."

Die Ilse-Holzapfel-Stiftung, 1993 von dem Dramatiker Rolf Hochhuth gegründet und nach seiner Mutter benannt, widmet sich seit ihrer Gründung immer wieder schwierigen und schmerzhaften Stoffen. "Gestern zwar, doch nicht vergangen" beendet eine Trilogie, die allen Beteiligten viel abverlangt hat. Für Mike Wündsch, Stiftungs-Vorstand, ist das Stück mehr als eine Lesung: "Es ist eine Manifestation gegen Hass und Verfolgung hier und heute. Menschen haben aus Auschwitz und dem Holocaust nichts gelernt und darum setzen wir dieses Stück auf."

Dass für die Uraufführung in Berlin ausgerechnet der Abend des 27. Januar gewählt wurde, ist kein Zufall. An diesem Tag jährt sich zum 80. Mal die Befreiung des KZ Auschwitz.

Quelle: ntv.de

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