Panorama

Blaue Leichensäcke im Fahrstuhl Schacht 11 in Südafrika: 78 Tote und 246 Überlebende

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Diese Leichen waren kalkuliert - ob das als Abschreckung reichen wird?

Diese Leichen waren kalkuliert - ob das als Abschreckung reichen wird?

(Foto: dpa)

Südafrikas Regierung will den illegalen Rohstoffabbau unterbinden und wendet dabei brutale Methoden an. Seit August waren tausende Schürfer in zwei Kilometern Tiefe eingeschlossen. Viele sind verhungert. Diejenigen, die überlebt haben, werden verhaftet. 

Fast 30 Minuten benötigt die Kabine, bis sie in einer Tiefe von zwei Kilometern angekommen ist – und weitere 30 Minuten, bis sie wieder an die Oberfläche gelangt. Rettungskräfte in weißen Schutzanzügen öffnen die Kabinentür und bergen die blauen Leichensäcke, die zutage gefördert werden.

78 Tote wurden in den vergangenen Tagen aus Schacht Nummer 11 nahe der Bergwerksstadt Stilfontein in Südafrika geborgen. 246 junge Männer konnten lebend gerettet werden. Sie sehen verwahrlost aus, abgemagert und schmutzig. Einige sind so schwach und krank, dass sie medizinisch notversorgt werden müssen. Diejenigen, die noch gehen können, werden von Polizisten in Handschellen gelegt und abgeführt.

Wer überlebt hat, kommt in den Knast. Vorerst ...

Wer überlebt hat, kommt in den Knast. Vorerst ...

(Foto: dpa)

Was auf den ersten Blick wie eine Rettungsmission wirkt, war in Wirklichkeit ein brutaler Versuch der südafrikanischen Regierung, die illegalen Aktivitäten in den zahlreichen stillgelegten Minen des Landes einzudämmen – mit tödlichen Folgen. Denn die Minenarbeiter hatten sich geweigert, den stillgelegten Schacht freiwillig zu räumen. Stattdessen hatten sie sich in den Tunnelsystemen über ein halbes Jahr lang verschanzt.

Im vergangenen August hatte Südafrikas frisch gewählte Regierung unter Präsident Cyril Ramaphosa entschieden, gegen den illegalen Rohstoffabbau durch Kleinbergwerksleute vorzugehen. In dem ressourcenreichen Land gibt es schätzungsweise über 6000 stillgelegte Bergwerke, wo kein industrieller Abbau mit Maschinen durch lizenzierte Firmen mehr stattfindet, sondern die Minen offiziell geschlossen sind. Dennoch graben dort weiterhin junge Männer - zum Teil noch Kinder - mit Spitzhacken und Schaufeln nach Gold. Bei vielen handelt es sich um ehemalige Bergleute, die während der Wirtschaftskrise in den vergangenen Jahren entlassen worden waren und sich nun illegal ein Einkommen erwirtschaften wollten.

Befreit unsere Brüder - sofern sie noch leben.

Befreit unsere Brüder - sofern sie noch leben.

(Foto: dpa)

Goldpreis auf Rekordhoch

Südafrika verfügt zwar über die fünftgrößten Diamantvorkommen weltweit und mit über 90 Goldminen belegt es derzeit Platz elf hinsichtlich des Gold-Abbaus. Doch die Goldrausch-Zeiten, in denen die Wirtschaft in Anbetracht des Ressourcenreichtums boomte, sind schon lange vorbei - denn in den vergangenen Jahren schauten sich internationale Rohstoffgesellschaften zunehmend in anderen Ländern um. Die Gründe zeigt eine aktuelle Studie des Institutes für Sicherheitsstudien mit Sitz in Südafrikas Hauptstadt Pretoria: eine Fülle von Vorschriften und Richtlinien, die es zu beachten gilt, um ein Explorationsprojekt zu starten, gepaart mit gravierenden Engpässen bei der Stromversorgung und Transportlogistik.

Derzeit liegt der Goldpreis weltweit bei einem nie gesehenen Rekordhoch. Die Arbeitslosenquote in dem südafrikanischen Land beträgt laut offiziellen Zahlen rund 33 Prozent. Besonders junge schwarze Männer in den ländlichen Gebieten finden kaum Jobs, um ihre Familien zu ernähren. Für sie ist der illegale Goldabbau lukrativ – trotz der Risiken. Meist verkaufen sie ihre Funde an kriminelle Netzwerke, die mit diesem Gold illegale Geschäfte machen.

Bei 33 Prozent Arbeitslosenquote im Land dürfte dies nicht der letzte illegale Schacht sein ...

Bei 33 Prozent Arbeitslosenquote im Land dürfte dies nicht der letzte illegale Schacht sein ...

(Foto: dpa)

"Wir werden sie ausräuchern"

Gegen diese Syndikate geht die Regierung mittlerweile verstärkt vor, um ihnen den Geldhahn abzudrehen – mit drastischen Maßnahmen: Im August 2024, kurz nach den Wahlen, startete die Polizei- und Militäroperation "Vala Umgodi" - übersetzt: Schließt das Loch.

"Wir werden sie ausräuchern", hatte die Ministerin im Präsidialamt, Khumbudzo Ntshavheni, im November erklärt, als die Regierung die Wasser- und Stromleitungen in den Minen rund um die Stadt Stilfontein, 150 Kilometer südwestlich von Johannesburg, stilllegte. Nahrungsmittellieferungen wurden unterbunden. Auch die Aufzugsschächte und Treppensysteme wurden demoliert, sodass die Schürfer nicht mehr selbst herausklettern konnten. Sie wurden eingesperrt; man könnte auch sagen: lebendig begraben.

Über 4000 Bergwerksleute seien zu jener Zeit in den Stollen eingeschlossen gewesen, so die ursprünglichen Schätzungen des südafrikanischen Gewerkschaftsverbundes SAFTU. Bei einer Polizeioperation im November wurden laut Polizeiangaben 1576 illegale Bergwerksleute verhaftet. Davon wurden 121 nicht-südafrikanische Schürfer in ihre Heimatländer ausgeliefert. 46 wurden bereits von einem Gericht als schuldig befunden, illegal Ressourcen abgebaut oder gegen das Immigrationsgesetz verstoßen zu haben.

Abgemagerte Leichen in Schlafsäcken

Kurz nach der Verhaftungswelle im November zogen Menschenrechtler und Anwälte vor Gericht, um die Rechte der Schürfer einzuklagen. Südafrikas Menschenrechtskommission (SAHRC) erhielt verzweifelte Schreiben von Angehörigen, die um das Leben ihrer Verwandten fürchteten. Das Hohe Gericht in Pretoria erließ im November die einstweilige Verfügung, dass ein Rettungsteam in die Stollen vordringen solle, um die Schürfer ärztlich zu versorgen. In einer erneuten Entscheidung vergangene Woche wies das Gericht letztlich die Regierung an, die Operation zügig zu beenden, um Menschenleben zu retten.

Doch für viele kam dieser Rettungsversuch zu spät. Dies zeigen nicht zuletzt verstörende Videos, die vergangene Woche in den Tunnels aufgenommen worden waren und mithilfe der südafrikanischen Menschenrechtsgruppe MACUA (Mining Affected Communities United in Action) zutage gefördert wurden. Darauf zu sehen: zahlreiche in Schlafsäcken eingepackte Leichen, die im schlammigen Wasser schwimmen, sowie bis auf die Knochen abgemagerte Männer, die in den dunklen Stollen auf dem Boden hocken.

Immerhin: Anfang der Woche rückte ein Rettungsteam gemeinsam mit der Polizei an, um an einer langen Drahtseilwinde die Rettungskabine in die Tiefe zu lassen. Dabei wurden in drei Tagen insgesamt 78 Leichen geborgen sowie 246 Männer lebend gerettet. Am Donnerstag wollten die Rettungskräfte selbst in die Tiefe fahren, um sich zu vergewissern, dass sich niemand mehr dort unten aufhält, so die Erklärung des Polizeisprechers.

Doch jetzt muss sich die Regierung erklären. Als der zuständige Minister für Mineralien und Rohstoffe, Samson Gwede Mantashe, am Dienstag die Mine besuchte, kamen die Angehörigen der Schürfer aus den umliegenden Siedlungen angelaufen, um zu protestieren. In der Gegend lebt ein Großteil der Bevölkerung von den illegalen Einkommen aus Schacht 11. Sie fragten Minister Mantashe, wer die Verantwortung für die Toten übernehmen soll. Seine Antwort: Er schickte die Polizei los, um die Demonstrierenden zu vertreiben.

Quelle: ntv.de

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