Besichtigung per Schlüsselbox Investigativteam deckt neue Masche von Mietbetrug auf
20.02.2024, 10:32 Uhr Artikel anhören
RTL-Reporterinnen kommen einer neuen, besonders perfiden Masche beim Vermietungsbetrug auf die Spur. Schon jetzt gibt es mehrere Hundert Geschädigte und einen finanziellen Schaden in Millionenhöhe. Inzwischen ermitteln Polizei und Staatsanwaltschaft.
Zwei Zimmer mit hellem Holzfußboden, eine kleine separate Küche, ein Bad mit Dusche. 53qm im Hamburger Stadtteil Hamm für 840 Euro warm. Als Marie R. (Name geändert) den Mietvertrag für ihre erste eigene Wohnung unterschreibt, hat sie gedanklich schon alles fertig eingerichtet. Sechs Wochen später steht sie zur vereinbarten Schlüsselübergabe vor der neuen Haustür. Sie wartet auf den Immobilienmakler, der am Telefon immer so nett klang. Doch sie wartet vergeblich, denn Marie R.s Mietvertrag ist ein Fake und in ihrem neuen Zuhause wohnt längst jemand anderes. Langsam realisiert sie: Sie ist betrogen worden. Um ihre Traumwohnung und rund 4000 Euro.
+++ Die Reportage sehen Sie heute Abend um 22.35 Uhr bei RTL Extra und anschließend auch auf RTL+. +++
Marie R. ist eines von Hunderten Opfern einer neuen Masche von Mietbetrug. Eine Masche, die in den letzten Monaten zu einem deutschlandweiten Problem wurde. "Es ist uns nicht bekannt, dass schon einmal mit der gleichen Masche vorgegangen wurde und dass man ganz Deutschland quasi so abgrast", sagt Elisa Herbach vom Betrugsdezernat Frankfurt. "Der Modus Operandi ist in allen Fällen der gleiche. Demzufolge gehen wir schon davon aus, dass es auch die gleiche Tätergruppierung ist".
"Wir haben Ihre Bewerbungsunterlagen gründlich geprüft und möchten Sie gerne zu einer kontaktlosen Einzelbesichtigung einladen", mit dieser Mail fing für Marie R. alles an. Über ein Online-Portal einer Immobilienverwaltung konnte sie sich einen Termin buchen und bekam anschließend den Zahlencode für eine Schlüsselbox mitgeteilt. Eine Besichtigung ganz ohne Makler. "Die haben damit geworben, dass sie ein Onlinemakler-Unternehmen sind. Und dass es natürlich in unserer modernen Welt mittlerweile einfach praktischer ist", erinnert sich Marie R. im RTL-Interview.
30 Minuten hatte sie Zeit, die Wohnung allein zu besichtigen, Fotos zu machen und sich alles in Ruhe anzuschauen. Ein paar Tage später meldete sich der nette Mann von der Immobilienverwaltung telefonisch mit der Zusage. Den Mietvertrag für ihre erste eigene Wohnung unterschrieb Marie R. online. Sie überwies 1920 Euro für die Kaution, 840 Euro für die erste Monatsmiete und 1000 Euro für Möbel, die sie vom Vormieter übernehmen soll. Als sie merkte, dass sie betrogen wurde, gab es keine Möglichkeit mehr, das Geld zurückzuholen.
Betrüger agieren im Namen von Immobilienfirmen
Ausgestellt wurde der Mietvertrag von einer Immobilienfirma mit Sitz in Essen. Weißes Logo auf blauem Grund, die Website macht einen professionellen Eindruck. Ein Blick ins Handelsregister zeigt: Die Firma existiert wirklich. "Alle Daten stimmen", sagt Geschäftsführer Dennis Belsky. Trotzdem ist nicht seine Unterschrift unter den Mietverträgen. Auch mit dem Logo und der Website hat er nichts zu tun. Seine Firma ist so klein, dass es nie eine eigene Homepage gab.
Genau das, so erklärt Belsky im RTL-Interview, haben die Betrüger ausgenutzt. Sie haben seine Identität gestohlen, eine Internetpräsenz für seine Firma erfunden, Exposés in seinem Namen verschickt und letztlich mehrere Hunderttausend Euro kassiert. Erst als Schadensersatzforderungen in Belskys Briefkasten landen, erfährt er von dem Betrug und erstattet selbst Anzeige. Belskys Firma ist nur eine von vielen: Mindestens zehn verschiedene Immobilienfirmen nutzten die Betrüger in den vergangenen Monaten, zeigen die RTL-Recherchen.
Wohnungsnot in Großstädten ausgenutzt
Aufgetaucht ist die Masche bislang in Hamburg, Berlin, Frankfurt und Köln. In jeder Stadt agierten die Betrüger mit mehreren Wohnungen zeitgleich und ohne Wissen der tatsächlichen Eigentümer. "Ich habe die Wohnung untervermietet", erklären mehrere Mieter, unabhängig voneinander, gegenüber RTL. Sie waren für mehrere Monate im Ausland und wollten sich währenddessen die teure Großstadtmiete sparen. Was sie nicht ahnen konnten: Während sie in der Ferne waren, besichtigten Dutzende fremde Menschen ihre Wohnung und unterschrieben anschließend Mietverträge. Ihr Zuhause wurde zum Tatort.
"Auf dem Gebiet des Wohnungsmietbetruges ist das schon eine neue Qualität, die die Betrüger da an den Tag gelegt haben", sagt Christiane Wagner vom LKA in Hamburg. "Vorher haben wir immer gesagt: Überweisen Sie kein Geld auf ausländische Bankkonten oder überweisen Sie kein Geld für eine Wohnung, die Sie noch nie in Ihrem Leben gesehen haben und besichtigen durften. Das funktioniert jetzt leider nicht mehr."
Marie R. und die anderen Geschädigten überwiesen das Geld an verschiedene deutsche Konten, als Kontoinhaber trugen sie die Namen der angeblichen Immobilienfirmen ein. Was viele nicht wissen: In Deutschland gibt es derzeit keine gesetzliche Verpflichtung für einen Abgleich von Kontoinhaber und IBAN. Mit anderen Worten: Solange die IBAN korrekt ist, kommt das Geld an, egal, wer in der Überweisung als Kontoinhaber eingetragen ist.
Wem die Konten tatsächlich gehören? Darüber bekommen die Geschädigten wegen des Bankgeheimnisses keine Auskunft. Doch selbst der tatsächliche Kontoinhaber führt nicht zwingend zu den Tätern, erklärt LKA-Expertin Wagner: "Das funktioniert leider nicht so einfach. Es gibt die Möglichkeit, dass Menschen ohne es zu wissen als Finanzagenten agieren. Das heißt, die haben gegen die Zahlung einer Provision ihr Bankkonto zur Verfügung gestellt und glauben, sie testen eine neue App oder glauben, sie testen die Arbeitsabläufe eines Kreditinstituts. Was Sie nicht wissen, ist, dass Sie den Arbeitsvertrag nicht mit einem seriösen Unternehmen geschlossen haben, sondern mit Betrügern."
Ein halbes Jahr lang haben RTL-Journalistinnen Dokumente, E-Mails und Websites analysiert, um zu verstehen, wie die Betrüger arbeiten und ihre nächsten Schritte vorauszusehen. Verdächtige Wohnungsinserate führen sie zu Adressen in Düsseldorf und Berlin, wo sie Zeuginnen der Mietmasche werden. An beiden Wohnungen finden sich Schlüsselboxen, an denen Wohnungssuchende erscheinen, die von angeblichen Immobilienfirmen zur Besichtigung eingeladen wurden. Die monatelange Recherche kann weitere Straftaten verhindern, inzwischen ermitteln auch Polizei und Staatsanwaltschaft.
Quelle: ntv.de