Panorama

"Angst ist der falsche Berater" Klingen Filme durch KI bald anders?

00:00
Diese Audioversion wurde künstlich generiert. Mehr Infos
Lässt KI den Job des Synchronsprechers bald verschwinden?

Lässt KI den Job des Synchronsprechers bald verschwinden?

Seit gut 80 Jahren werden ausländische Filme und Serien in Deutschland synchronisiert, damit man sie verstehen kann. Doch Künstliche Intelligenz könnte zu einer Gefahr werden - für Synchronsprecherinnen, Synchronsprecher und Filmfans. Nun hat die EU eingegriffen.

Wenn Gary Cooper im Western "High Noon" zu seinem entscheidenden Kampf aufbricht oder wenn Bill Skarsgård als Vampir Nosferatu seine Opfer beißt, dann haben sie eines gemeinsam: Sie sprechen Deutsch. Doch das tun sie nicht selbst. Dafür gibt es Synchronsprecher. Die leihen ausländischen Schauspielern ihre Stimmen. Doch in der Branche herrscht Verunsicherung. Künstliche Intelligenz könnte ihre Arbeit gefährden. Deswegen haben vor einigen Monaten Synchronsprecherinnen und -sprecher in Berlin an die Synchronunternehmen appelliert, ihre Jobs zu erhalten. Auch die Europäische Union hat den Handlungsbedarf erkannt. Ich möchte herausfinden, wie groß die Gefahr wirklich ist.

Maximilian Belle gehört zu den gefragtesten Synchronsprechern Deutschlands. Seit 25 Jahren ist er schon dabei. Er hat schon so ziemlich alles synchronisiert: vom jüngsten "Zauberer vom Waverley Place" bis zum arroganten Teenager in "Quarantäne 2", vom coolen Kid im Film "Scouts vs. Zombies" bis zum Geheimdienstagenten in der Serie "Alex Rider". Eigentlich ist sein Vorname Maximilian. Aber alle nennen ihn Maxi.

Marko Schlichting mit Synchronsprecher Maximilian Belle (r.)

Marko Schlichting mit Synchronsprecher Maximilian Belle (r.)

(Foto: privat)

"Ich kann mir mein Leben ohne diesen Job nicht vorstellen", sagt Maxi Belle. "Man lebt dabei alle seine Gefühlslagen aus. Das ist etwas Wunderschönes. Ja, es gibt Rollen, da spielt man nur. Aber es gibt Rollen, bei denen ist man mit ganzem Körper dabei."

Bei seiner Arbeit muss Belle sehr spontan reagieren. Einige Tage vorher erfährt er, dass seine Stimme für einen Film oder eine Serie gebraucht wird. "Im Studio sehe ich dann den Text auf einem Monitor. Der steht etwas rechts oder links vom Bildschirm. Vor mir ist der Bildschirm mit dem Material, das wir synchronisieren sollen. Jede Filmszene ist in kleine Ausschnitte unterteilt, die wir Takes nennen. Vor der Synchronisation schauen wir uns jeden Take einmal an. Dabei achte ich vor allem auf die Mundbewegungen. Und dann fange ich an, zu sprechen. Manchmal klappt es beim ersten Mal. Aber ich hatte auch schon schwierige Projekte, da musste ich einen Text dreißig oder vierzig Mal wiederholen."

Der Shaun-Ton

Ein ganz besonderes Projekt für Maxi Belle war "The Good Doctor". 2017 startete die Serie, die im free TV auf Vox ausgestrahlt wurde und im vergangenen Jahr endete. Darin geht es um das Leben eines Arztes mit Autismus, Doctor Shaun Murphy, der sich in der "normalen" Welt zurechtfinden muss. Diesen Arzt, dem es schwerfällt, seine Gefühle zu äußern, hat Maxi Belle synchronisiert.

"Wir wollten die Serie so echt wie möglich klingen lassen", erzählt er. "Wenn die in der Serie zum Beispiel bei einer Operation waren, hatten auch wir echte OP-Masken auf. Aber das Wichtigste war meine Stimme. Uns war klar, dass die Stimme anders klingen muss als die der anderen Schauspieler. So ist es auch im Original. Aber uns war auch klar: Es darf nicht lächerlich klingen. Wir wollten unseren Respekt vor der Autismus-Spektrum-Störung zeigen. Das war eine Gratwanderung. Irgendwann haben sich dann tatsächlich bestimmte Sprachbögen herauskristallisiert, die für mich in meiner Rolle so klar und wiederholbar waren, dass unsere Regisseure vom "Shaun-Ton" gesprochen haben. Dazu kam dann die Körpersprache des Originalschauspielers, der oft sehr verkrampft dasteht. Man sieht, wie er sich in seinem Kopf zur Kommunikation zwingen muss. Man kann förmlich sehen: Sein Hirn funktioniert wie eine Maschine. Das musste sich in der Stimme widerspiegeln."

Für Maxi war die Rolle von Shaun Murphy etwas ganz Besonderes. "Im Bereich Serien war das meine wichtigste Rolle. Und auch meine Lieblingsrolle", sagt er stolz. "Ich fand die Machart der Serie sehr schön. Sie haben es immer geschafft, traurige und schwere Themen zu bearbeiten, aber am Ende der Episoden hatte man immer ein gutes Gefühl."

Herausforderung Künstliche Intelligenz

Leon Beckert studiert Informatik, der 25-Jährige arbeitet und forscht seit Jahren an Künstlicher Intelligenz. Können Synchronsprecher wie Maxi Belle wirklich durch KI ersetzt werden?.

KI-Forscher Leon Beckert

KI-Forscher Leon Beckert

(Foto: privat)

Wo die mögliche Gefahr liegt, ist sofort klar: Im Klonen einer Stimme. Theoretisch ist das ganz leicht: Man nimmt die Stimme eines Schauspielers und speichert sie, je mehr, desto besser, aber mindestens eine halbe Stunde. Dann lässt man sie von einer Künstlichen Intelligenz analysieren, man "trainiert" die KI. Die erkennt Stimmmuster, merkt sich, wie der Sprecher betont und atmet. Danach kann man zum Beispiel einen Text schreiben und ihn mit dieser Stimme sprechen lassen. Es gibt sogar die Möglichkeit, dass die Stimme in einer anderen Sprache redet. Die Stimme von Freddie Highmore, der Doctor Shaun Murphy gespielt hat, könnte Deutsch sprechen. Belle würde vielleicht in einer möglichen achten Staffel von "The Good Doctor" keine Rolle mehr spielen. Das wäre das Ende seines "Shaun-Tons".

Belle weiß das. "Ich bin mit dem Klonen meiner Stimme nicht einverstanden", sagt er. Nur Beckert erlaubt er es. Ein einziges Mal. Seine Stimme und das Trainingsergebnis dürfen nicht gespeichert werden, die verwendete KI muss Belles Stimme nach dem Test wieder vergessen. Das ist ungewöhnlich, denn eine Künstliche Intelligenz will lernen.

Der Versuch beginnt mit einer der besten und zuverlässigsten Künstlichen Intelligenzen zum "Instant Voice Cloning" (IVC), dem "AI Voice Generator" ElevenLabs. Doch ElevenLabs ist auf Sicherheit bedacht. Belle muss mit seiner Stimme einen etwa zehn Sekunden langen Satz direkt vom Bildschirm vorlesen. Damit bestätigt er, dass er vom Klonen seiner Stimme weiß. Er ist aber nicht vor Ort.

Aber was, wenn jemand mit krimineller Energie die Sache in die Hand nehmen würde? Schon nach fünf Minuten findet sich eine Künstliche Intelligenz, die keine Identifikation des Sprechers verlangt. Aus Sicherheitsgründen muss zum Klonen eine Minute reichen - statt einer halben Stunde. Das Ergebnis ist dann auch nicht wirklich berauschend. Das Ergebnis ist dann auch wirklich nicht berauschend und reißt Maxi Belle nicht vom Hocker, obwohl seine Klon-Stimme wütend, belustigt, angenehm und traurig klingen kann. "Wenn das das Ergebnis ist, brauche ich mir um meinen Job im Moment keine Sorgen zu machen", lacht er.

Es gibt Entwickler von Künstlicher Intelligenz, die die Gefahren erkannt haben. Sie nehmen das Recht auf die Stimme ernst. Aber es gibt auch "schwarze Schafe". Doch die Synchronsprecherinnen und Synchronsprecher können sich wehren. Denn mittlerweile hat auch der Gesetzgeber begriffen: Künstliche Intelligenz schafft viele Erleichterungen, birgt aber auch Gefahren. Die müssen minimiert werden.

Die Rechtslage

Wer eine Stimme ohne das Einverständnis von deren Eigentümer klont, macht sich strafbar. Er verstößt gegen dessen Persönlichkeitsrechte. Das verschafft Synchronsprechern wie Belle eine gewisse Sicherheit. Doch auch die großen Synchronstudios in Deutschland setzen im Moment nicht auf "künstliche", also geklonte Stimmen. Sebastian Heinzelmann von Hallberg ist CEO der FFS- Film & Fernsehen Synchron GmbH, einer der größten Synchrongesellschaften in Deutschland. Er sagt: "Die schauspielerische Leistung ist ein essenzieller Bestandteil unserer Arbeit. Auch in Zukunft werden wir nicht auf die kreative und interpretative Arbeit gut ausgebildeter Schauspieler*innen, Autor*innen und Regisseur*innen verzichten. Gerade im hochqualitativen Segment ist authentisches, emotional nuanciertes Schauspiel durch Technologie nicht ersetzbar."

Noch ist Belles Job nicht in Gefahr. Doch die Entwicklung schreitet in einer Riesengeschwindigkeit voran. Angst vor der Zukunft hat er aber nicht. "Angst ist da der falsche Berater", sagt er. "Uns allen war klar, dass die Technik voranschreitet. Sie schreitet jetzt deutlich schneller voran, als wir es erwartet hätten. Ich bin dankbar, dass ich das so lange machen durfte und hoffe, dass ich das noch sehr lange machen darf, in irgendeiner Form. Und falls sich unsere Rolle in der Synchronbranche so verändert, dann ist das eine Entwicklung, der wir uns stellen müssen. Und werden."

Dabei hilft Belle und seinen Kollegen auch der am 2. August in Kraft getretene "AI-Act" der Europäischen Union. Seitdem müssen Anbieter von KI-Modellen wie ElevenLabs und deren Anwender, die KI kommerziell oder beruflich einsetzen, darüber informieren, wenn sie von einer KI erzeugte Bilder oder Stimmen verwenden. Wer sich daran nicht hält, kann zur Zahlung von gepfefferten Bußgeldern verdonnert werden. Die Stimmen von Schauspielerinnen und Schauspielern können zwar immer noch geklont werden. Aber Zuschauerinnen und Zuschauer können nun entscheiden, ob sie in Filmen und Serien von Künstlicher Intelligenz erzeugte Stimmen hören wollen - oder Menschen wie Maxi Belle und seinen Shaun-Ton.

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen