Panorama

Steigendes Meer in Ozeanien Bleibt ein Staat ein Staat, wenn er versinkt?

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Die Atolle des Südpazifikstaats Tuvalu liegen an ihrem höchsten Punkt bloß fünf Meter über dem Meeresspiegel.

(Foto: picture alliance / robertharding)

"Wir sinken", hat Tuvalus Außenminister Kofe während der Weltklimakonferenz in Glasgow gesagt. Erderwärmung und der steigende Meeresspiegel bedrohen den winzigen Inselstaat im Südpazifik. Wie andere vor ihm wirft er daher die Frage auf: Was passiert, wenn wir untergehen?

Simon Kofe steht knietief im Wasser, als er sich mit dramatischen Worten an die Weltgemeinschaft wendet. "Wir erleben die Realität des Klimawandels und des Anstiegs des Meeresspiegels", appelliert er. "Wir können nicht auf Reden warten, wenn das Meer um uns herum ständig steigt. Wir müssen heute mutige alternative Maßnahmen ergreifen, um die Zukunft zu sichern."

Kofe ist Außenminister des kleinen Inselstaates Tuvalu in Ozeanien. Per Videoschalte ist er zur Weltklimakonferenz in Glasgow zugeschaltet und sorgt für einen der eindrücklichsten Moment des Gipfeltreffens in diesem Monat. Er zeichnet das Bild von einer Nation, die durch den steigenden Meeresspiegel bereits weggespült wurde. Und er wirft die Frage auf: Kann ein Staat ein Staat bleiben, wenn er untergeht?

"Der Klimawandel und der Anstieg des Meeresspiegels sind eine tödliche und weitreichende Bedrohung für Tuvalu und für alle niedrig gelegenen Länder", sagt Simon Kofe. "Wir sinken, aber das gilt auch für alle anderen."

Zum Beispiel für Vanuatu, ein anderer Inselstaat im Südpazifik, der genauso wie Tuvalu langfristig seine Existenz als Staat gefährdet sieht. Laut Weltrisikobericht ist Vanuatu sogar weltweit das Land, das am meisten durch Katastrophen bedroht ist. Jedes Jahr wird die Nation mit ihren 300.000 Einwohnern auf 83 Inseln von schweren Zyklonen getroffen. Und Erdbeben. Und jetzt kommt auch noch der steigende Meeresspiegel dazu.

"Alle Inseln Ozeaniens betroffen"

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Tuvalus Außenminister Simon Kofe während seiner Rede im Rahmen der Weltklimakonferenz.

(Foto: via REUTERS)

In Vanuatu hat der Ethnologe und Kulturanthropologe Arno Pascht ein Forschungsprojekt über die Situation der Inselnationen in Ozeanien geleitet. "Mein Gastgeber in einem kleinen Dorf hat mir sehr plastisch gezeigt, wo vor noch 20, 30 Jahren die Küstenlinie war und wo sie jetzt ist. Das waren ungefähr fünf Meter Unterschied", berichtet Pascht im ntv-Podcast "Wieder was gelernt".

Vor allem die Inseln der Region Mikronesien seien "sehr stark betroffen", so Pascht. "Diese Inselstaaten bestehen zu einem sehr großen Teil aus niedrigen Atoll-Inseln, die zum Teil nur wenige Meter über dem Meeresspiegel liegen. Es gibt auch in anderen Regionen, vor allem in Polynesien, einige dieser Atoll-Inseln."

Für die etwas höher gelegenen Inseln, etwa in der Region Melanesien, ist der Anstieg des Meeresspiegels sogar noch ein verhältnismäßig kleines Problem. Dazu gehört auch Vanuatu. "Aber die anderen Effekte des Klimawandels machen sich dort bemerkbar. Alle Inseln Ozeaniens sind von den Veränderungen des Wetters betroffen", erklärt Pascht.

Wo finde ich "Wieder was gelernt"?

Alle Folgen von "Wieder was gelernt" können Sie in der ntv-App hören und überall, wo es Podcasts gibt: RTL+ Musik , Amazon Music, Apple Podcasts, Google Podcasts und Spotify. Mit dem RSS-Feed auch in anderen Apps.

Das gilt auch für Tuvalu, das einige hundert Kilometer weiter nördlich von Vanuatu im Südpazifik liegt. In dem Inselstaat leben gerade mal 11.500 Einwohner. Nach dem Vatikan, Monaco und dem Nachbarstaat Nauru ist Tuvalu das viertkleinste unabhängige Land der Welt. Ein Idyll, ein Paradies irgendwo im Nirgendwo. Mit einem großen Problem: Die Atolle Tuvalus liegen an ihrem höchsten Punkt gerade mal fünf Meter über dem Meeresspiegel. Tendenz sinkend. Mittelfristig müssen die Einwohner als Klimaflüchtlinge wohl umziehen.

Eine Zukunft, auf die sich die Regierung der kleinen Nation seit Jahren vorbereitet. Bei seiner Rede beim Weltklimagipfel in Glasgow sagt Außenminister Kofe, man wolle die "rechtlichen Möglichkeiten" prüfen, wie man die "Anerkennung als Staat nach internationalem Recht aufrechterhalten" kann, wenn die Bevölkerung das Land verlassen hat.

"Migration mit Würde"

Ein Nachbarinselstaat hat dieses Szenario schon vor einigen Jahren durchgespielt, erzählt Arno Pascht. "Das berühmteste Beispiel ist der Inselstaat Kiribati. Dort hat der damalige Präsident Anote Tong vor einigen Jahren ein Konzept entwickelt, um die Menschen auf eine Migration vorzubereiten."

Ein Großteil von Kiribati liegt weniger als zwei Meter über dem Meeresspiegel. Langsam aber sicher dringt das salzige Meerwasser ins Grundwasser der kleinen Nation ein und verseucht es. Das bedroht die Trinkwasserversorgung, aber auch die Landwirtschaft. Selbst, wenn die Insel nicht untergeht, ist sie vermutlich eines Tages nicht mehr bewohnbar.

Deshalb hat Kribatis damaliger Staatschef Tong den Plan einer "Migration mit Würde" ausgerufen und ein Stück Land auf Fidschi gekauft, einem anderen, viel größeren Inselstaat im Südpazifik. Vor allem die jüngere Generation Kiribatis soll damit die Möglichkeit bekommen, erhobenen Hauptes auszuwandern und ein Leben in einem fremden Land zu planen, anstatt Hals über Kopf die Flucht anzutreten.

Noch hat die Umsiedlung aber nicht begonnen, zumal sich die meisten Bewohner Kiribatis dagegen wehren. "Das ist natürlich eine ganz schwierige Situation, weil die Verbindung zu dem Herkunftsland der Menschen in Ozeanien sehr stark ist. Für die Identität der Menschen ist es sehr wichtig, diese Verbindung aufrechtzuerhalten. Was letztlich dann passiert, wenn das Land wirklich weg ist, kann und mag sich natürlich keiner vorstellen", erzählt Ethnologe Pascht im Podcast.

Palau befürchtet "Aussterben"

"Wieder was gelernt"-Podcast

"Wieder was gelernt" ist ein Podcast für Neugierige: Bekommt die Deutsche Bank ihr Geld von Donald Trump zurück? Warum bezahlen manche Berufspiloten Geld für ihren Job? Warum ziehen Piraten von Ost- nach Westafrika? Hören Sie rein und werden Sie dreimal die Woche ein bisschen schlauer. Alle Folgen von "Wieder was gelernt" finden Sie unter anderem in der ntv-App, bei Audio Now, Amazon Music, Apple Podcasts, Google Podcasts und Spotify.

Wie dramatisch die Lage für einige Inselstaaten Ozeaniens ist, zeigt auch eine Aussage von dem Präsidenten der Inselgruppe Palau. Die Weltgemeinschaft müsse sofort handeln, "weil es um unser Aussterben geht", sagt Surangel Whipps. Natürlich könne man die Bewohner der Inseln im Pazifik umsiedeln - "in ein Gebäude nach Shanghai oder auf ein Feld in Arkansas" - aber dann sind sie "nicht länger ein Volk, nicht länger eine Nation".

Die Frage, ob ein Staat, der versinkt, immer noch ein Staat ist, stellen sich in Ozeanien viele Nationen, nicht nur Tuvalu. Nach internationalem Recht muss ein Staat eine ständige Bevölkerung und ein definiertes Territorium haben. Trifft das auf ein Feld in Arkansas oder ein Gebäude in Shanghai zu? Die bedrohten Nationen wollen es erst gar nicht so weit kommen lassen.

Und vielleicht haben sie Glück im Unglück: In einer Studie aus dem Jahr 2010 wurden 27 Inseln im Südpazifik untersucht. Dabei ist festgestellt worden, dass durch den steigenden Meeresspiegel nur vier kleiner geworden sind. Die anderen sind wider erwarten gewachsen, das zeigen historische Luftaufnahmen aus den 50er Jahren, die Forscher mit aktuellen Satellitenbildern verglichen haben. Auch sieben der neun Atolle Tuvalus gehören dazu. Sie bestehen aus Korallentrümmern, die von den umliegenden Riffen angespült werden. Aber, warnen die Wissenschaftler, 27 Pazifik-Inseln sind keine belastbare Größe. Und wenn der Meeresspiegel beginnt, schneller zu steigen, könnte die Korallen nicht mehr reichen, um die Inseln zu schützen.

Quelle: ntv.de

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