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Paracetamol und scharfe Chips Tiktok-Challenges sind die modernen Mutproben

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Tiktok-Nutzung bietet nicht nur Eskapismus, sondern birgt auch Gefahren.

Tiktok-Nutzung bietet nicht nur Eskapismus, sondern birgt auch Gefahren.

(Foto: picture alliance/dpa)

Challenges sind Teil des Tiktok-Universums. Die meisten von ihnen sind harmlos, doch immer wieder tauchen riskante oder sogar lebensgefährliche Herausforderungen auf. Damit junge Menschen nicht zu Nachahmern werden, sind vor allem die Eltern gefragt.

Tiktok ist Hort moderner Mutproben. Besonders riskante Wagnisse erzeugen in regelmäßigen Abständen Aufmerksamkeit über die Plattform hinaus. Jüngst hielt der Verband Pharma Deutschland Apotheken dazu an, beim Verkauf von Paracetamol an Jugendliche besonders wachsam zu sein. Der Hintergrund: Bei der sogenannten "Paracetamol-Challenge" schlucken junge Menschen raue Mengen des Schmerzmittels und filmen sich bei der potenziell lebensgefährlichen Überdosis.

Dieser Trend ist nur einer von vielen. Die "Hot-Chip-Challenge", bei der extrem scharfe Chips gegessen werden müssen, brachte bereits mehrere Schülerinnen und Schüler ins Krankenhaus. Im Mai starb eine 13-Jährige in Hessen nach einer "Blackout-Challenge". Hierbei strangulieren sich Jugendliche bis zur Ohnmacht mit dem Ziel, einen kurzen Rauschzustand zu erleben.

"Das Prinzip solcher Challenges ist nicht neu, das gab es früher schon auf dem Schulhof: Wer ist der Stärkere, der Schnellere, wer traut sich mehr? Aber durch die sozialen Medien kann sich sowas viel schneller verbreiten", sagt Antonia Markiewitz im Gespräch mit ntv.de. Durch die Teilnahme an Challenges werde ein Gruppenzugehörigkeitsgefühl erzeugt, so die Kommunikationswissenschaftlerin von der Ludwig-Maximilians-Universität München.

Jeder Vierte nutzt Tiktok

Denn während das direkte soziale Umfeld begrenzt ist, bietet die Plattform ein schier endloses Potenzial, mit anderen in Verbindung zu treten. Nach Angaben des Unternehmens nutzte 2023 jeder vierte Mensch in Deutschland die App mindestens einmal im Monat. Besonders beliebt ist sie in den jüngeren Altersgruppen. 70 Prozent der 16- bis 19-Jährigen haben Umfragen zufolge Tiktok auf ihrem Smartphone. Allerdings erstellen längst nicht alle eigene Videos, die Mehrzahl bleibt in ihrem Nutzungsverhalten passiv.

Was sie in der App zu sehen bekommen, hängt maßgeblich vom Algorithmus ab. "Der ist ein Stück weit eine Blackbox", sagt Markiewitz. Grundsätzlich gelte: Wenn die Nutzerinnen und Nutzer bei einem Video hängen bleiben, spielt der Algorithmus ähnliche Inhalte aus. "Einzelne Studien zeigen jedoch, dass Algorithmen negative Inhalte favorisieren."

In einer von Antonia Markiewitz und Lara Kobilke durchgeführten Befragung unter Kindern und Jugendlichen gaben 70 Prozent an, die "Hot-Chip-Challenge" zu kennen. Diese sei von der Plattform kaum reguliert worden. Die deutlich gefährlichere "Blackout-Challenge" war demnach immerhin noch einem Fünftel ein Begriff, obwohl Tiktok stark gegen eine Verbreitung vorgehe.

Den Wissenschaftlerinnen zufolge spielen dabei auch herkömmliche Medien eine Rolle, die über Challenges berichten und zu ihrer Verbreitung beitragen. "Tiktok selbst unternimmt einiges, um die Inhalte zu pflegen, problematischen Content herunterzunehmen oder Hashtags zu blockieren, wobei es da auch Umgehungsstrategien gibt", so Markiewitz. "Unser Eindruck ist: Je gefährlicher eine Challenge, desto besser klappt es, diese zu sperren."

Viele Challenges sind harmlos

Anders als mitunter suggeriert wird, handelt es sich bei den meisten Challenges um harmlose Aufgaben, wie das Aufnehmen von Sing- oder Tanzvideos. Manche Herausforderungen haben sogar einen dezidiert positiven Hintergrund. Ein Beispiel ist die vor einigen Jahren populäre "Ice-Bucket-Challenge", durch die Spenden für die Nervenkrankheit ALS generiert werden sollten.

Risikoreiche oder gar lebensgefährliche Challenges machen nur einen Bruchteil des Tiktok-Kosmos aus. Dennoch existiere ein gewisser Nachahmungseffekt: Rund ein Prozent der Kinder und Jugendlichen gaben in der Untersuchung an, bereits schädliche Challenges absolviert zu haben. Häufiger seien es jedoch Erwachsene, die sich daran beteiligten, so Markiewitz. "Da scheint es weniger um Zugehörigkeit zu gehen, als mehr um Klicks und Reichweite."

Um Risiken für Heranwachsende auf Tiktok zu minimieren, seien vor allem die Eltern gefragt. "Wichtig ist eine offene Gesprächskultur. Kinder sollten sich an ihre Eltern wenden können, wenn sie Inhalte entdecken, die ihnen Unbehagen bereiten", sagt Markiewitz. Soziale Medien seien ein wichtiger Teil ihres Lebens - und das nicht nur im Negativen. "Eltern sollten sich mit dieser Lebenswelt beschäftigen und informiert bleiben. Ein restriktives Verbieten ist da nicht zielführend."

Quelle: ntv.de

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