Zusammenkommen mit Kleen "Warum wird hier 6 überall mit x geschrieben?"
14.06.2025, 16:42 Uhr Artikel anhören
Schön, wenn es schön ist. Für beide.
(Foto: IMAGO/Zoonar)
"Let's talk about sex, Baby", sangen einst Salt-N-Pepa, und es klang so einfach. Dabei ist darüber zu reden oftmals komplizierter als die Sache an sich. Autorin und Sex-Kolumnistin Heike Kleen hat sich auf den Weg gemacht: Zu Sex-Partys, einem Dominus, ins Freie und in ihr Innerstes. Mit ntv.de spricht sie über alles von Stimulation bis "Bumsen", und das, was zwischen zwei Laken oder zwei (oder mehreren) Menschen noch so passieren kann.
ntv.de: Warum ist es immer noch - und immer wieder - so schwer, über Sex zu sprechen?
Heike Kleen: Sexualität ist unsere letzte Instanz, in der wir unser Innerstes zeigen. Wir fragen uns nicht nur: Bin ich begehrenswert? Sondern auch: Bin ich normal oder können meine geheimsten Wünsche den Menschen verletzen oder abstoßen, der uns am nächsten ist? Also schweigen wir lieber, zur Sicherheit. Hinzu kommt: Unsere Sprache für Sex ist entweder medizinisch oder pornografisch, zwischen "Stimulation der Klitoris" und "Bums mich, Baby" liegen Welten. Beides klingt nicht unbedingt antörnend. Das riesige sprachliche Niemandsland, das dazwischenliegt, müssen wir uns mühsam erarbeiten.
Warum finden Kinder es eklig, dass ihre Eltern Sex haben könnten?
Vor der Pubertät finden Kinder Sex generell eklig - ein Zeichen dafür, dass sie noch nicht bereit für das Thema sind. In der Pubertät ist Sex etwas, das sie sich nur mit taufrischen Körpern vorstellen - und nicht mit mittelalten Menschen, die Butterbrote schmieren und gerade noch Monster unterm Bett vertrieben haben. Kinder wollen Eltern als sichere Häfen erleben, nicht als erotische Wesen, die womöglich unkontrollierte Laute von sich geben.
Und warum finden Eltern es so schrecklich, dass ihre Kinder irgendwann Sex haben könnten, wo es doch "die schönste Nebensache der Welt" ist?
Weil das Wort "Sex" in diesem Zusammenhang plötzlich sehr konkret wird und fremde Menschen plötzlich den Körper unserer Kinder wollen! Diese Körper, die uns mal so nah waren, aber die wir schon lange nicht mehr nackt gesehen haben, vielleicht nicht mehr berühren dürfen. Natürlich machen Eltern sich auch Sorgen: Intime Fotos im Netz, Übergriffe, sexuelle Gewalt, Geschlechtskrankheiten, Schwangerschaften - all das denken Eltern mit, wenn die Kleinen aus der Paw Patrol-Bettwäsche rausgewachsen sind. Wir müssen akzeptieren, dass wir keine Kontrolle mehr haben und stattdessen auf Vernunft und Vertrauen setzen. Das ist schwer.
Ich glaube ja nicht, dass Mutterschaft die Libido killt - aber was könnte sie killen?
Das stimmt, nicht die Kinder killen die Libido, sondern die Strukturen, in denen Mütter leben: das Funktionieren-Müssen, die Verantwortung, die endlose To-Do-Liste, der chronische Schlafmangel, die Rollenerwartungen. Und das alles in einem Körper, der gerade Höchstleistungen vollbracht hat, entsprechend aussieht, aber dafür leider noch immer nicht gefeiert wird. Freiräume und Zeit würden der mütterlichen Libido wieder auf die Sprünge helfen. Und ein liebevoller Blick, der nicht fragt: "Machst du das auch alles richtig?!?" Sondern: "Was brauchst du?"
Was hat Gleichberechtigung mit Sex zu tun?

"Ach Mama, über dich wundere ich mich schon lange nicht mehr," sagt Heike Kleens Sohn.
(Foto: Eva Häberle)
Sehr viel. Gleichberechtigung schafft die Grundlage für echten, lustvollen Sex, weil wir uns nur fallen lassen können, wenn wir uns sicher fühlen. Wer sich respektiert fühlt und nicht wie der Depp vom Dienst, kann Wünsche äußern und sich hingeben, ohne sich kleinzumachen. Wer nicht finanziell vom Partner abhängig ist, hat nur den Sex, den er oder sie wirklich will. Aber dafür ist der dann gut. Wer sich ehrlich fragt, wie gleichberechtigt die eigene Beziehung ist, hat vielleicht nicht sofort besseren Sex - aber irgendwann den authentischeren. Gleichberechtigung bedeutet auch, dass niemand performen muss - auch der Mann nicht. Dass man gemeinsam Verantwortung für gute Sexualität übernimmt - für den Orgasmus genauso wie für die Verhütung. Das ist entlastend!
Wie weit sind wir vom echten Verständnis der Geschlechter füreinander entfernt?
Noch immer ziemlich weit - und gleichzeitig so nah dran wie nie. Wir führen endlich offene Gespräche über Rollenbilder, Macht und Gefühle. Aber echtes Verstehen beginnt nicht beim Reden, sondern beim Zuhören. Viele Männer fühlen sich schnell angegriffen, wenn es um diese Themen geht - als müssten sie sich rechtfertigen, statt einfach nur hinzuhören. Vielleicht ist der Ton auch nicht immer gut gewählt. Doch solange Verstehen mit Verteidigen verwechselt wird, bleiben wir in alten Mustern stecken. Wir sind mitten in einem unbequemen, aber notwendigen Umbruch. Und so anstrengend er manchmal ist: Er trägt das Potenzial in sich, dass wir wirklich zusammenkommen - ohne Kampf, ohne Sieger, aber mit echtem Interesse.
Die Antwort deines Mannes - "Feminismus und Sex sind wahrscheinlich dasselbe" - ist schon lustig. Haben er und sein Kumpel denn den wahren Kern dieser Aussage verstanden? Und was ist der wahre Kern deiner Ansicht nach?
Vielleicht haben sie ihn intuitiv verstanden. Der Satz ist ein bisschen wie ein Flirt mit einem politischen Konzept, und das ist ja auch schon mal was (lacht). Feminismus kämpft dafür, dass alle Menschen frei und gleichberechtigt leben und lieben dürfen. Guter Sex beginnt genau da - wo niemand sich unterwirft, sondern beide sich freiwillig hingeben. Feminismus bedeutet auch Selbstbestimmung. Und was ist Sexualität anderes als die körperlichste Form von Selbstbestimmung?
Wechseljahre = Sexrente. Woher nimmst du die steile These?
Das muss nicht so sein, aber viele Frauen entscheiden sich freiwillig für die Sexrente, das haben mir SexologInnen erklärt. Denn erst dann sind sie kraftvoll genug, um zu sagen: "Der Sex, den ich in meinem Leben geboten bekommen habe, interessiert mich nicht - und ich mach' ihn nicht mehr mit." Das Schöne daran: Viele Frauen berichten von einer neuen, freieren Sexualität durch die Wechseljahre. Ohne Zyklus, ohne Druck, sondern mit sich selbst, vielleicht mit einer Frau. Oder auch mit dem eigenen Mann, weil er sich dafür interessiert, wie man Sexualität neu denken kann. Und das ist verdammt sexy.
Sex scheint für alle in jedem Alter wichtig zu sein - man hat Sex, oder man hat keinen, aber immer ist das Thema wichtig. Oder?
Sexualität ist nicht nur eine Handlung, sondern ein Teil unserer Identität. Auch wer keinen Sex hat, lebt mit einem sexuellen Selbstbild. Über all dem liegt eine dicke Schicht Sozialisierung, die Sex bis heute vor allem aus männlicher Perspektive definiert: als Ziel, als Leistung, als Penetration. Als Akt mit einem Anfang, (s)einem Höhepunkt und einem - seien wir ehrlich - oft zu schnellen Ende. So ein Sex ist nicht begehrenswert, sondern die Frage: "Wie fühlst du dich in deinem Körper? Welche Nähe wünschst du dir?"
Reden Frauen offener über Sex als Männer?
Oft scheint es so, als würden Frauen offener über Sex reden, hauptsächlich untereinander. Ich denke, sie sprechen eher über Lust, Frust oder Unsicherheiten, während Männer darüber lieber schweigen. Nicht, weil sie nichts zu sagen hätten, sondern weil sie gelernt haben, "ihren Mann zu stehen": immer zu wollen, immer zu können, immer souverän zu wirken. In diesem Rollenbild ist kein Platz für Zweifel, Scham oder Verletzlichkeit. Das stelle ich mir sehr anstrengend vor! Und wer ständig performen muss, kann schwer über das sprechen, was ihn wirklich berührt.
Wie macht eine Frau den verunsicherten Mann wieder zu einem wahren Hengst, einem Don Juan, einem Liebesdiener?
Indem sie aufhört, ihn zu etwas machen zu wollen (lacht). Und indem beide stattdessen gemeinsam erforschen, was sie beide wirklich wollen. Die Zeiten, in denen Männer die Macher und Frauen die Gemachten waren, sind vorbei - zumindest theoretisch. Und genau daraus ist eine große Verunsicherung entstanden. Praktisch brauchen wir oft noch ein bisschen Mut und Milde, um neue Rollen zu erproben. Wer die alten Rollen mag, kann sie ja im Bett spielen - nur die Küche bitte vorher gemeinsam aufräumen.
Männer rücken nach rechts, weil Frauen zu emanzipiert sind, schreibst du auch, sie vermissen die traditionellen Rollen. Machen wir es den Männern da nicht zu einfach?
Ja, vielleicht machen wir es den Männern manchmal zu einfach - aber auch zu schwer. Ich bin nicht sicher, ob erst die Emanzipation kam und dann die Verunsicherung der Männer. Beides passiert gleichzeitig. Frauen sind heute finanziell unabhängig, sie müssen keinen Mann mehr nehmen - sie dürfen sich für die entscheiden, die ihnen guttun. Das verändert die Dynamik grundlegend. Männer hingegen merken: Die alten Rollen funktionieren nicht mehr, neue Vorbilder fehlen. Wirklich laut sind nur Andrew Tate und Donald Trump, aber da ist keiner, der ihnen erzählt, wie der neue Mann aussehen kann. Kein Wunder, dass sich manche nach den scheinbar einfachen Antworten der 1950er zurücksehnen. Statt in alte Muster zu flüchten oder Schuldzuweisungen zu verteilen, wäre es Zeit, dass wir alle miteinander ins Gespräch kommen - ehrlich, verletzlich, neugierig. Denn Gleichberechtigung heißt nicht: Frauen gewinnen, Männer verlieren. Sondern: Alle gewinnen und dürfen mehr sie selbst sein.
Schlampe oder frigide - was macht Sprache eigentlich mit dem Sex?
Sie entscheidet, ob wir uns schämen oder genießen. Sprache ist nie neutral. Sie formt unsere Vorstellung von Normalität - und unsere Vorstellung von uns selbst. Wenn Frauen zwischen "zu viel" und "zu wenig" eingequetscht werden, dann ist klar: Es geht nicht um Lust, sondern um Kontrolle. Wer die Sprache verändert, verändert das Begehren. Und das ist ein ziemlich politischer Akt.
"Mama, wieso wird 6 hier überall mit X geschrieben?" fragt deine Tochter irgendwann mal, als sie vor dem heimischen Bücherregal steht. Einer meiner Lieblingssätze im Buch. Was ist mit dir während des Schreibens passiert, in sexueller Hinsicht?
Während des Schreibens ist viel mit mir passiert - nicht spektakulär, sondern tief. Ich bin mutiger geworden, habe mich neu entdeckt. Nicht, weil ich plötzlich tantrisch erleuchtet durch die Welt schwebe, sondern weil ich mir selbst ehrlich zugehört habe. Ich habe mich gefragt: Was will ich wirklich? Was macht mir Spaß? Was langweilt oder überfordert mich? Und was davon gehört zu mir - und was hat mir die Gesellschaft eingeredet? Ich habe gelernt, dass es keine Tabus gibt. Alles darf gedacht, gesagt, ausprobiert werden - solange es respektvoll und einvernehmlich ist.
Ja, nein, vielleicht - du plädierst für das Vielleicht, für das Hintertürchen. Sind wir zu starr geworden? Zu schwarz oder weiß … Und was ist mit Flirten?
Wir leben in einer Zeit der klaren Kanten. Alles soll eindeutig, schnell und effizient sein - auch im Privaten. Und wehe, das Gegenüber hat eine andere Meinung! Das "Vielleicht" ist verdächtig geworden - aber vielleicht mag ich ja etwas, das ich noch gar nicht kenne? Woher soll ich es wissen, wenn ich es nicht ausprobiere? Und das kann ich nur, wenn ich mich sicher und aufgehoben fühle. Da sind wir dann wieder bei der Gleichberechtigung. Beim Flirten braucht es gerade die Grauzone, das Spielerische, das Nichtwissen. Wer flirtet, will spielen - nicht gleich heiraten oder canceln. Und muss auch ein Nein akzeptieren können.
Alle machen sich nackig und ab 18 Uhr wird das Internet ausgeschaltet - ich halte das für einen guten Vorschlag. Was hältst du von geplantem Sex?
Ich halte sehr viel davon. Geplanter Sex ist nicht unsexy - er ist ein Ausdruck von Priorität. Wir planen Meetings, Urlaube, Elternabende - warum nicht Sex? Es geht nicht darum, Romantik in eine Excel-Tabelle zu zwingen oder um Punkt 9.30 Uhr loszurammeln. Sondern darum, sich Zeit für gemeinsame Körperlichkeit zu nehmen - wie auch immer die dann aussieht.
Bist du nach Tantra, Swingerclub und Golden Goddess-Erfahrung schlauer, besser, anders - oder bleibst du doch beim alten (nicht Mann, sondern eher Methoden)?
Ich bin neugieriger, entspannter und weniger beeindruckt von Etiketten. Nicht alles, was spirituell daherkommt, bringt Erleuchtung. Nicht alles, was unfeministisch aussieht, ist frauenfeindlich. Und nicht alles, was klassisch wirkt, ist langweilig. Für mich zählt inzwischen nur noch die persönliche Verbindung zu einem Menschen, die finde ich erotischer als sexy Körper oder ausschweifende Orgien. Ob das an meinem mittleren Alter oder an meinen Erfahrungen liegt, weiß ich nicht.
Dürfen deine Kinder dein Buch und deine Kolumnen lesen?
Ich freue mich, offen gestanden, über jedes Buch, das meine Kinder überhaupt lesen. Und sie sind alt genug, alles über Körper, Grenzen, Begehren und Einvernehmlichkeit zu lernen. Meine Kinder wissen, was ich beruflich treibe, und als ich einmal zu meinem 15-jährigen Sohn gesagt habe: "Nicht wundern, morgen erscheint ein Text von mir über eine Frauen-Erotik-Party", hat er nur süffisant gegrinst und gesagt: "Ach Mama, über dich wundere ich mich schon lange nicht mehr." Aber dann hat er sich meine Erlebnisse interessiert angehört. Ich hoffe, dass ich ihnen beigebracht habe, dass wir über alles reden können.
Was macht dein Mann beruflich? Er scheint auf jeden Fall sehr tolerant zu sein ...
Er entwickelt Software und ist mein Gegenentwurf zur toxischen Männlichkeit. Was mich an ihm fasziniert, ist sein unaufgeregtes Urvertrauen in sich selbst. Kein Macho-Gehabe, kein Konkurrenzdenken - für ihn sind Frauen keine Bedrohung. Selbst dann nicht, wenn sie feministische Bücher verschlingen und sich am Wochenende mit einem Dominus treffen. Ein guter Mann ist einer, der nicht erschrickt, wenn du du selbst bist - sondern dich ermutigt, dich weiterzuentwickeln.
Mit Heike Kleen sprach Sabine Oelmann
Quelle: ntv.de