Ausweisung nach Facebook-Like? Was Faesers Abschiebe-Reform so gefährlich macht


Bei Gründen für eine Ausweisung sollen Ausländerbehörden zunehmend auch die Social-Media-Aktivitäten im Auge haben.
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Die Ampel schreibt sich den Kampf gegen Terror-Verherrlichung im Netz auf die Fahnen - und schießt womöglich weit über das Ziel hinaus. Nach einem jüngsten Gesetzentwurf könnten Ausländer schon nach einem Like auf Instagram und Co. ausgewiesen werden. Experten sind alarmiert.
Ein Like ist schnell gesetzt. Aber was bedeutet es eigentlich, Urlaubsfotos auf Instagram oder politische Statements auf X mit einem Herz zu markieren? Was genau drückt jemand aus, der auf einen Facebook-Post mit einem nach oben zeigenden Daumen reagiert? Auf eine Art von "Gefällt mir" werden sich wohl die meisten einigen können. Die Frage, ob damit immer auch die volle Überzeugung für den gesamten Beitrag gemeint ist, dürfte hingegen zu Diskussionen führen. Trotzdem könnte eben jener Klick künftig weitreichende Konsequenzen haben. Und zwar dann, wenn er darüber entscheidet, ob ein bis dato rechtmäßig in Deutschland lebender Ausländer sein Aufenthaltsrecht behält oder verliert.
Hintergrund ist ein jüngst verabschiedeter Gesetzesentwurf der Bundesregierung. Die Behörden sollen, so die Intention der Ampel, härter gegen Ausländerinnen und Ausländer vorgehen können, die Terror gutheißen. Konkret bedeutet das: Wer terroristische Straftaten bejubelt, soll sein Aufenthaltsrecht leichter verlieren - und damit auch eher abgeschoben werden können. Die Entscheidung liegt in diesem Fall bei den Ausländerbehörden - eine strafrechtliche Verurteilung braucht es nicht.
Der Vorstoß kam prompt nach der Messerattacke eines 25-Jährigen in Mannheim im vergangenen Mai, bei der ein Polizist tödlich verletzt wurde. Die Gewalttat war kaum ein paar Stunden her, da kursierten bereits etliche Beiträge auf X, Tiktok und Instagram, in denen der Täter als "Vorbild", gar als "Held" gefeiert wurde. Ähnlich menschenverachtend und vor Antisemitismus triefend war die Vielzahl an Posts, die nach dem Terrorangriff der Hamas auf Israel im vergangenen Oktober das Netz schwemmte.
Verschärfung im Ausweisungsrecht - oder doch nicht?
Strafbar sind Posts, in denen schlimmste Verbrechen befeuert und gutgeheißen werden, in vielen Fällen seit Langem, kann es sich bei ihnen etwa um Volksverhetzung oder die Aufforderung zu einer Straftat handeln. Mit ihrem jüngsten Gesetzentwurf pocht die Regierung nun - zusätzlich - auf eine direkte Verbindung zum Aufenthaltsrecht. "Die Verrohung im Netz schürt auch ein Klima der Gewalt, das Extremisten zu neuen Gewalttaten animieren kann", sagte Bundesinnenministerin Nancy Faeser, die bei dem Entwurf federführend war. "Deshalb brauchen wir neben konsequenter Strafverfolgung auch schärfere ausländerrechtliche Instrumente. Diese schaffen wir jetzt." Das Ministerium betont in diesem Zusammenhang vor allem einen Punkt: Künftig soll bereits "ein einzelner Kommentar, der eine terroristische Straftat auf sozialen Medien verherrlicht oder gutheißt, zu einer Ausweisung führen".
Nun klingt diese Ankündigung nach einer drastischen Änderung im Aufenthaltsgesetz. Allerdings ist die Liste an Gründen, wegen denen jemand sein Aufenthaltsrecht verlieren kann, schon jetzt lang. Darunter fallen bereits etliche Straftaten - auch das "Verbreiten von Schriften", die terroristische Straftaten billigen. Dass dies eben auch Posts auf X, Facebook und Co. einschließt, ist bei den Behörden längst angekommen, wie die Juristin Christine Graebsch im Gespräch mit dem "ND" berichtet. So sei es für Behörden kaum etwas Neues, Beiträge aus den sozialen Medien heranzuziehen, um Menschen auszuweisen.
"Abgesehen von sprachlichen Anpassungen ist es nicht leicht zu sagen, wo die Erweiterung des Ausweisungsrechts nach dem Kabinettsentwurf liegen soll", fasst die Migrationsrechtlerin Julia Kraft im Gespräch mit ntv.de zusammen. Das habe vor allem einen Grund: "In den vergangenen Jahren ist das Ausweisungsinteresse immer wieder erweitert worden. Es noch weiter zu dehnen, dürfte gerade im Bereich Terrorismus nur sehr schwer möglich sein."
"Für den schnellen Klick gemacht"
Die Erweiterungen im Ausweisungsrecht durch den Gesetzentwurf selbst sind also minimal. Das öffentliche Interesse an ihnen wäre wohl schnell verpufft, möglicherweise nie aufgekommen - wäre da nicht das Kleingedruckte. So sorgt vor allem die Begründung des Entwurfs für Aufsehen, gibt sie doch Aufschluss darüber, wie die Interpretation des Gesetzes aussehen könnte: "Unter der Verbreitung eines Inhalts kann daher nunmehr etwa auch das Markieren eines Beitrags durch 'Gefällt mir' auf den Sozialen Medien wie Youtube, Instagram, Tiktok etc. fallen."
Mit anderen Worten: Nicht nur die Verfasserinnen und Verfasser von Hassposts laufen Gefahr, ausgewiesen zu werden. Auch derjenige, der einen digitalen Daumen unter den falschen Inhalt setzt, könnte riskieren, seinen rechtmäßigen Aufenthalt in Deutschland zu verlieren. Die Verschärfung des Aufenthaltsrechts wäre bei einer solchen Auslegung enorm. Juristinnen und Juristen sehen gleich mehrere Probleme.
"Es fängt schon mit der Frage an, ob man einen Like wirklich als Verbreitung betrachten kann", sagt Kraft. Dann müsse auch die Intention hinter dem digitalen Herzen oder Daumen ermittelt werden. Es geht um die eingangs aufgeworfenen Fragen: Was wollte die Person mit dem Like zum Ausdruck bringen - und wusste sie überhaupt, was sie tut? "Die sozialen Medien sind doch gerade für den schnellen Klick gemacht", sagt Kraft. Man könne kaum davon ausgehen, dass jeder immer den gesamten Inhalt liest, geschweige denn prüft. Mal werde ein Like nur für das Bild eines Beitrags vergeben, mal fungiere es als Lesezeichen, um den dazugehörigen Text später zu lesen. "Und selbst wenn die Person den gesamten Beitrag gelesen hat, ist ein extremistischer Inhalt auch nicht immer für jeden eindeutig zu erkennen."
"Ein scharfes Schwert"
Schließlich spiele auch die Umgebung für die vermeintliche Zustimmung eine Rolle, sagt Kraft. Die sozialen Medien "sind ein emotionaler Raum, oft auch ein Ort der Stimmungsmache", der leicht zu einem Like verführe. Der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Migrationsrecht beim Anwaltverein, Thomas Oberhäuser, gibt im Gespräch mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland ein Beispiel: "Stellen Sie sich einen Mann vor, dessen Familie im Gazastreifen lebt und dort nicht rauskommt", so der Rechtsanwalt aus Ulm. "Dass so ein Mann auf die Zerstörungen dort nicht gelassen und abgewogen reagiert, ist doch klar." Den Entwurf der Ampel hält der Rechtsanwalt für populistisch. "Die behauptete Lösung wird der Komplexität menschlichen Lebens nicht im Ansatz gerecht."
Gewalttaten zu "liken" hat mit Moral zweifellos nichts zu tun. Darauf mit dem Ausweisungsrecht zu reagieren, ist laut Experten allerdings nicht nur bedenklich, sondern möglicherweise auch verfassungswidrig. Das Stichwort lautet Verhältnismäßigkeit.
"Das Aufenthaltsrecht ist ein sehr scharfes Schwert. Es beendet den Aufenthalt von jemandem, der bis dahin rechtmäßig in Deutschland lebte", erklärt der Migrationsrechtler Stephan Hocks im ZDF. Während Strafen oder disziplinarische Mittel irgendwann erledigt seien, sei die Ausweisung etwas, "das den Rest des Lebens dieser Person betrifft". Dieser enorme Eingriff sei nur angemessen, wenn andernfalls eine beachtliche Gefahr für die Gesellschaft bestünde.
"Von einer wirklichen Gefahr kann keine Rede sein"
Genau da liegt der Punkt: Das Ausweisungsrecht ist gerade nicht dafür da, falsche Überzeugungen zu tadeln, sondern schlichtweg zur Gefahrenabwehr. "Von einer wirklichen Gefahr kann bei einem einzelnen Like aber wohl kaum die Rede sein", sagt Kraft. Auf der anderen Seite drohe jemandem ohne Aufenthaltsrecht nicht nur die Abschiebung, seine Integration werde auch massiv erschwert. Die Rechtsanwältin hält die jüngste Entwicklung im Ausweisungsrecht nicht nur für unverhältnismäßig, sondern auch gefährlich. "Es normalisiert Praktiken, die man eher mit autokratischen Regierungen verbindet als mit einer Demokratie."
Auf die Bedenken hinsichtlich des Kabinettsentwurfs angesprochen, heißt es vom Bundesinnenministerium zu ntv.de, dass ein Like eine Ausweisung "nicht begründen" könne. Ausweisungen sollen in "gravierenden Fällen" von Terrorverherrlichung erfolgen können. Bleibt allerdings die Frage, warum in der Begründung des Entwurfs ein Urteil zitiert wird, wonach ein Like eben doch ausreicht, um den Tatbestand zu erfüllen. Das BMI verweist dabei auf die Einschätzung der Ausländerbehörden, die jeden Einzelfall bewerten müssten. Anschließend werde es auf die Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte ankommen.
Allerdings ist auch diese Kompetenzverlagerung nicht unproblematisch. So knüpft das Ausweisungsrecht vor allem an Straftaten an - üblicherweise erhalten die Ausländerbehörden Informationen über Delikte von den Ermittlungsbehörden. "Da geht es beispielsweise um die Bewertung einer bestimmten Bildsprache oder von gewissen Chiffren", erklärt Kraft. Hinzu kommen Fragen nach der Intention des Verfassers und ob es tatsächlich sein Account war. "Für all diese Fragen sind Strafgerichte ausgebildet. Mit dem Ergebnis können die Ausländerbehörden eigentlich immer gut arbeiten."
"Eine Gruppe medial im Fokus"
Nun werde diese Bewertung seit geraumer Zeit immer weiter vorverlagert. Damit müssen die Mitarbeitenden - meist ohne juristische, geschweige denn strafrechtliche Ausbildung - entscheiden, ob ein Post, ein Kommentar oder jetzt eben auch ein Like für eine Ausweisung ausreicht. Ihre Entscheidung kann zwar von Verwaltungsgerichten überprüft werden. Ob der Verfasser strafrechtlich verurteilt wird - oder eben nicht - bleibt aber vollkommen irrelevant. Mit Blick auf Tempo bei der Ausweisung ist das sicherlich von Vorteil, für den Betroffenen birgt es allerdings Risiken. Denn an Schutzregeln aus dem Strafprozess wie "in dubio pro reo" sind die Verwaltungsbehörden nicht gebunden. "Am Ende kann es vorkommen, dass jemand zwar strafrechtlich freigesprochen, aber trotzdem ausgewiesen wird", erklärt Kraft.
Es gehe jedoch nicht nur um die Kompetenzfrage. So arbeiten die Ausländerbehörden schon jetzt am Limit. "Ich gehe nicht davon aus, dass sie überhaupt die Kapazitäten hätten, etliche Social-Media-Aktivitäten zu überwachen." Vielmehr bestehe die Gefahr, so die Migrationsrechtlerin, dass die Verschärfung im Ausweisungsrecht dafür genutzt werde, "bestimmte Menschen, die man ohnehin im Visier hat, zu drangsalieren".
Denn obwohl die angestrebte Gesetzesverschärfung selbstverständlich nicht auf eine Gruppe beschränkt oder zugeschnitten werden kann, "rückt medial vor allem eine bestimmte Gruppe in den Fokus, gegen die man nun harte Hand zeigen möchte", sagt Kraft.
Weitreichende Konsequenzen
Tatsächlich betonte Faeser im Zusammenhang mit dem Gesetzesentwurf mehrfach, nun "hart gegen islamistische und antisemitische Hasskriminalität im Netz" vorzugehen. Wer Terrorismus feiere, habe sein Bleiberecht verwirkt, erklärte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck zum Entwurf und fügte hinzu: "Der Islam gehört zu Deutschland, der Islamismus nicht."
Mit Stimmungsmache und weiteren Verschärfungen im Ausweisungsrecht sei jedoch niemandem geholfen, sagt Kraft abschließend. "Es bringt keine Sicherheit, sondern vergiftet das Klima weiter." Schon jetzt würden sich auch andere Gruppen wie Fachkräfte, vor allem aus dem arabischen Raum, immer mehr abgeschreckt fühlen. Die Menschen seien zunehmend verunsichert, was ihren Aufenthalt in Deutschland angeht, berichtet die Anwältin aus ihrem Arbeitsalltag mit Mandanten. Einige überlegten bereits, ins Ausland zu gehen. "Der Eindruck, dass nun schon ein einziger Like ausreichen könnte, um ausgewiesen zu werden, hat diese Stimmung nicht verbessert, im Gegenteil." Der Gesetzesentwurf der Ampel befindet sich laut einem Sprecher des BMI nun in den parlamentarischen Beratungen.
Quelle: ntv.de