
Kind - Waffe: ein Widerspruch in sich.
(Foto: IMAGO/ZUMA Wire)
Ich gebe es zu, ich habe an Kommunikation statt Knarren geglaubt. Das finden Sie vielleicht naiv. Aber dass jetzt unsere Kinder "die Geeignetsten, Motiviertesten" für einen Dienst an der Waffe sein sollen? Das finde ich beängstigend. Und unfair.
Ein ganz normaler Vormittag, ich bin im Homeoffice und schlendere mit meiner Tasse Kaffee (mit einem Schuss Hafermilch, wie die jungen Leute) durch meinen Flur, um zum Briefkasten zu gehen. Ich habe einen der zehn Postboten, die täglich am Gartenzaun mit ihren Elektrobikes halten, gesehen, und denk mir, ach, geh' ich dem doch mal entgegen. Der Briefzusteller schaut mich etwas bedrückt an, und ich frag' ihn, was los ist. Er sagt, das sei das letzte Mal gewesen heute, dass er mir die Post bringt, er sei eingezogen worden. Zur Bundeswehr.
Ich lege meine Hand auf seine Schulter, gucke ihn bedauernd an, wünsche ihm aufrichtig viel Glück, dann radelt er davon. Werde ich ihn je wiedersehen? Er hat mir noch zwei Umschläge überreicht. Für meine volljährigen Kinder. Von der Bundeswehr. Ich kann mir denken, was drin ist. Am Nachmittag öffnen wir die Umschläge, sie enthalten die vielfach bereits angekündigten "Einladungen" von der Bundeswehr, mir ist übel.
Go West
Ein schlechter Traum? Leider nein. So könnte es bald aussehen, denn ab 2025 will Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius "die Geeignetsten, Motiviertesten" jedes Jahrgangs für die Bundeswehr rekrutieren. Verständlich, aber meine Babys an der Front? In letzter Zeit wurde daher also viel diskutiert, pro und contra, und auch darüber, ob die heutige Jugend zu verweichlicht ist, um sich für ihr Vaterland einzusetzen.
Was für eine bescheuerte Diskussion!! Zu verweichlicht? Bloß weil ein paar alte Säcke es verkackt haben? Weil Regierende versagt haben und Bürger, die sich dumm benehmen in ihrem Wahlverhalten, dafür sorgen, dass sich die Lage im Land immer weiter zuspitzt? Weil wir einen Mann nicht rechtzeitig in Schach gehalten haben, der mit seinen wirren, großkotzigen Fantasien ein Nachbarland angreift, besetzt, dem Erdboden gleichmacht und den Anschein erweckt, dass er das eventuell auch mit anderen Ländern vorhat? Der "Friedensangebote" macht, die nichts weiter sind als Erpressung? Und dann nach Polen schielt, nach Deutschland, oder Skandinavien, oder was weiß ich in welcher Reihenfolge?
13 Jahre, nachdem die sogenannte "richtige" Wehrpflicht ausgesetzt wurde, sollen nun also jährlich mindestens 5000 zusätzliche Soldaten - und Soldatinnen - "die Truppe" aufstocken. Und als wenn das nicht schon absurd genug wäre, wieder über Krieg im eigenen Land nachdenken zu müssen, wird nun gefragt, ob unsere Jugend überhaupt "wehrtauglich" oder gar "wehrwillig" ist.
Man macht sich sogar bis zu einem gewissen Grad lustig über sie, die Generation Z, die Hafermilch-Boys und die Vanilla-Girls. Hallo, das sind nicht irgendwelche Youtube-Erfindungen oder Tiktok-Fantasien, das sind echte Menschen, das sind unsere Kinder. Und wenn die verweichlicht sind, dann liegt das auch ein gutes Stück an uns. An ihren Helikopter-Eltern.
Sorry, aber nein sorry
Ich soll jetzt so tun, als ob es das Normalste der Welt wäre, mir zu überlegen, ob "wir" wehrtüchtig sind? Würde es mich denn nicht stolz machen, für mein Vaterland einzutreten, werde ich gefragt? Ich liebe mein Vater- und Mutterland, aber will ich mit der Knarre in der Hand vor der Tür stehen und mein Hab und Gut, meine Lieben, verteidigen? Keine Frage, ich würde es tun, aber grundsätzlich: Nein, njet, no, grazie, merci! Will ich nicht!! Und ich will auch nicht, dass meine Kinder das tun müssen, oder mein Mann. Oder ich.
Wir haben viel dafür getan, die Grenzen zu öffnen, sie abzuschaffen, wir haben Menschen anderer Nationen aufgenommen, wir haben uns in Frieden und Freiheit gewähnt. Wir haben die Generation Easy Jet erzogen, und mal ganz abgesehen davon, dass das klimatechnisch grob fahrlässig war, war es eindeutig so, dass wir uns abgefeiert haben dafür, wie grenzenlos wir durch Europa rauschen, dass wir leben und studieren und feiern und lieben und sterben, wo wir wollen. Und jetzt wieder Grenzen? Jetzt Verteidigung? Was ist denn da schiefgelaufen, dass jetzt nicht nach einer Lösung gesucht wird, wie wir dem ganzen Irrsinn ein Ende bereiten können, sondern in Habachtstellung gehen und rekrutieren?
Sie dürfen mich auslachen. Für meine Naivität. Ich steh' dazu. Ich habe geglaubt, dass wir keine Eisernen Vorhänge, Mauern, Waffen mehr brauchen. Ich habe gehofft, dass die Menschheit lernt aus ihren Fehlern. Ich weiß, dass nicht alles rund läuft. Aber ich habe auf Kommunikation statt Knarren gesetzt. Ein Journalist schrieb neulich, er halte die heutige Jugend für zu verweichlicht, um Dienst an der Waffe zu leisten, "auch wenn es nicht die Schuld der Jungen ist, dass Deutschland sich an sein friedfertiges Weltbild klammert". Doch die rosige Nachwendezeit sei seit Russlands Überfall auf die Ukraine vorbei, findet er. Da hat er zwar recht, aber anstatt zu fragen, wie es zu diesem Angriff kommen konnte, warum das niemand so richtig gesehen hat vor ein paar Jahren, stellt er die jetzige Jugend als Weicheier dar, denen "wir" mit unseren Ansprüchen auf Homeoffice, Vier-Tage-Woche und Rente mit 63 als Lebensziele angeblich vormachen würden, dass ein "softes" Berufsleben möglich ist! Hä?
Ja, das wäre durchaus möglich, wenn nicht irgendwelche Idioten durchdrehen und mit roten Knöpfen rumspielen würden! Das ist das Ziel, dieses EINE LEBEN lebenswert zu gestalten! Er mokiert sich darüber, dass es in deutschen Grundschulen inzwischen Bundesjugendspiele ohne Wettkampf, sogar Schule ohne Noten gäbe. Ja, stimmt, das ist Quatsch, beides, aber seine Schlussfolgerung: "Wie soll so die Erkenntnis reifen, dass wir uns gegen Feinde von Freiheit und Demokratie verteidigen müssen? Im Extremfall auf Leben und Tod", ist doch recht übergriffig. Hat er Kinder? Würde er sie ziehen lassen? Oder wird er jemanden kennen, der seine wertvollen DNA-Träger zurückstellt, wegen einer schiefen Wirbelsäule oder schiefen Zähnen? Wer will denn seine Kinder als Kanonenfutter für die Machtspiele von durchgedrehten Despoten hergeben? Ich nicht!
Chancengleichheit im Schützengraben, endlich!
Nur wenn wir ALLE bereit sind, für unsere Werte zu kämpfen, können wir die Zukunft unseres Landes sichern, fügt er noch hinzu. Werte! Ja! Ich bin für Werte, aber doch nicht so! Und ehrlich gesagt, ob jetzt Jungs oder Mädchen verheizt werden - darüber wird auch viel gestritten, denn alle Menschen seien erstmal gleich, heißt es dann. Ja, so steht es in unserem Grundgesetz. Das heißt zwar nicht, dass Gleichheit im Alltag herrscht, aber nun an den Waffen, im Schützengraben schon? An der Drohne?
Wer freiwillig zur Bundeswehr gehen möchte, super, be my guest, aber die Zukunft unserer Kinder haben wir uns doch anders vorgestellt. Wir wollten, dass Männer und Frauen zukünftig wirklich gleich sind, in ihren Chancen, oder auch, gleich viel zu verdienen. Und ob nun Chancengleichheit an der Waffe gut oder schlecht ist, darum geht es für mich nicht, ob Mann oder Frau, Junge oder Mädchen. Niemand sollte in den Krieg ziehen müssen. Können wir unsere Kraft bitte darauf verwenden, diesen Krieg nebenan - und weitere - zu beenden?
Wie gesagt, Sie können mich auslachen. Meinetwegen das ganze Wochenende. Ich schätze, Sie hören auf zu lachen, wenn Ihre Kinder eine "Einladung" von der Bundeswehr im Briefkasten haben.
Quelle: ntv.de