Panorama

Bei Lockerungen wie in Israel Wie kommt Lauterbach auf 500 Corona-Tote?

Lauterbach schweigt zu der Berechnung.

Lauterbach schweigt zu der Berechnung.

(Foto: dpa)

Die Rufe nach dem Ende der Corona-Maßnahmen werden in Deutschland immer lauter. Doch bei schnellen Lockerungen drohen laut Gesundheitsminister Lauterbach 400 bis 500 Corona-Tote pro Tag. Wie kommt er auf diese Zahl? Und ist sie realistisch?

400 bis 500 Corona-Tote am Tag - damit rechnet Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach, sollte Deutschland jetzt ähnlich wie Israel seine Corona-Maßnahmen lockern. So begründete der Minister im ZDF seine Ablehnung schneller Lockerungen: "Ich habe mal ausgerechnet, wie viele Menschen derzeit mit der Strategie Israels sterben würden, wenn wir ähnlich vorgehen würden. Dann kommt man auf eine Quote von vielleicht 400, 500 Menschen, die in Deutschland pro Tag sterben würden." Doch wie kommt diese Zahl zustande?

Israel hatte Anfang der Woche seine Corona-Beschränkungen weiter gelockert. Lediglich bei Großveranstaltungen muss seit Montag eine Impfung oder Genesung mit dem "Grünen Pass" belegt werden, Ungeimpfte können etwa Restaurants und Kinos wie vor der Pandemie besuchen. Ein Szenario, das Lauterbach für Deutschland für gefährlich hält. Derzeit liegen die täglichen Corona-Todeszahlen etwa bei 100 bis 150. Wie Lauterbach die zukünftige Entwicklung bei einer ähnlichen Strategie wie Israel berechnet hat, erklärt er im "heute journal" und auch auf Rückfragen nicht.

Ein Sprecher des Gesundheitsministeriums teilte nun mit, dass Todeszahlen auf der Grundlage der Daten des Robert-Koch-Instituts (RKI) berechnet werden. Zu den konkreten Zahlen, die in diesem Fall verwendet wurden, machte das Ministerium jedoch auch keine Angabe. Das RKI schweigt ebenfalls zu dem Thema.

Geheime Berechnungen, dessen Daten-Grundlage nicht genannt werden, könnten Bürgerinnen und Bürger verunsichern, sagte Stephan Rixen, Professor für Öffentliches Recht an der Universität Bayreuth und Mitglied im Deutschen Ethikrat. Er mahnte zudem, dass nicht transparente Zahlen nicht als Rechtfertigung für weitere Freiheitsbeschränkungen genutzt werden können. "Grundrechtseingriffe müssen sich auf nachvollziehbare Prognosen zur weiteren Entwicklung der Pandemie stützen", so Rixen.

Experten halten 500 Corona-Tote täglich für möglich

Lauterbachs Berechnungen halten Experten derweil für realistisch. 400 bis 500 Tote am Tag wären denkbar, wenn die maximalen Inzidenzen zwischen 3.500 und 4.000 liegen, sagte Thorsten Lehr dem ZDF. Der Professor an der Universität des Saarlands modelliert mithilfe eines Covid-19-Simulators Entwicklungen der Pandemie. Zu Bedenken ist laut Lehr allerdings, dass die Zahl von weiteren Faktoren wie etwa dem Alter der Erkrankten sowie möglichen Therapien von schweren Verläufen abhänge, die in der Berechnung nicht berücksichtigt werden können. In der Realität könnte die Zahl unter Umständen also auch deutlich niedriger ausfallen.

Auch Statistiker Christian Hesse hält eine so hohe Todeszahl pro Tag für möglich. Beschreite Deutschland den israelischen Weg, könne es wieder zu stark steigenden Zahlen kommen, sagte er dem "Focus". Ohne Beschränkungen könnten sich die Infektionszahlen innerhalb von nur drei Wochen verdoppeln und so einen sprunghaften Anstieg der Todesfälle mit sich bringen.

Der Arzt und Medizinjournalist Christoph Specht erklärte im Interview mit ntv dagegen, er sehe die Schwarzmalerei nicht. Im Gegenteil habe sich die Lage aufgehellt und es gebe "viel Raum für Lockerungen". "Die Politik, namentlich Herr Lauterbach haben sich ein bisschen verrannt", so Specht. Seit vielen Monaten, fast schon seit Jahren, spiele die Angst eine große Rolle. Auch Lauterbach neige offenbar dazu. Er müsse nun aber den Menschen und der Bevölkerung die Angst vor Corona nehmen. "Wir müssen den Menschenverstand wieder entdecken", so Specht.

Kritik aus der Opposition

Auch wenn seine Berechnungen nicht abwegig zu sein scheinen, muss sich Lauterbach aus den Reihen der Opposition scharfer Kritik stellen. Hamburgs CDU-Chef Christoph Ploß warf ihm in der "Bild"-Zeitung vor, zum "Angstminister" zu werden. Auf Rückfrage von ntv sagte Ploß: "Derzeit droht glücklicherweise keine Überlastung des Gesundheitssystems - das war aber immer die Hauptbegründung für Einschränkungen. Dass Karl Lauterbach jetzt einfach die Grundlage für die Pandemiemaßnahmen ändern will, zerstört Vertrauen." Laut Ploß sind Einschränkungen von Grund- und Freiheitsrechten ohne drohende Überlastung des Gesundheitswesens nicht mehr aufrechtzuerhalten.

Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki hält es für "bemerkenswert, wenn das verfassungsrechtlich begründete Ziel der Corona-Maßnahmen plötzlich verschoben wird - und zwar in dem Moment, in dem die Überlastung des Gesundheitssystems nicht mehr droht", sagte er dem Blatt. Der FDP-Politiker glaubt, dass es in Zukunft schwierig werden könnte, im Bundestag eine mehrheitliche Zustimmung für die Aufrechterhaltung der Corona-Maßnahmen zu erreichen.

Der Arzt und Medizinjournalist Christoph Specht erklärte im Interview mit ntv, er sehe die Schwarzmalerei nicht.

Unterstützung bekommt Lauterbach von FDP-Fraktionschef Christian Dürr. Dieser erklärte im "ntv Frühstart": "Aktuell sagt er (Lauterbach, Anm. der Redaktion): Wenn wir heute alle Maßnahmen abschaffen würden, dann hätten wir ein Problem und das teile ich durchaus."

Quelle: ntv.de, hny

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