Politik

Deutsch-Indisches Gipfeltreffen Ampel reist nach Indien - und will Fachkräfte mit zurückbringen

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Das halbe Bundeskabinett fliegt ins bevölkerungsreichste Land der Erde. Kanzler Scholz und seine Minister haben bei den Regierungskonsultationen in Neu-Delhi viel zu besprechen. Nicht zuletzt geht es um eine Anwerbe-Initiative: Arbeitskräfte, ob Pfleger oder IT-Spezialisten, sollen in großer Zahl nach Deutschland kommen.

An seinem ersten offiziellen Arbeitstag in Berlin läuft es gut für den neuen indischen Botschafter in Deutschland. Bei traumhaftem Herbstwetter spielt Ajit Gupte eine Runde Cricket mit dem deutschen Arbeitsminister Hubertus Heil. Cricket ist in Indien Volkssport und obwohl sich Heil als Werfer überraschend gut schlägt, ist ihm der Diplomat aus Neu-Delhi als Fänger haushoch überlegen. Macht nichts. Wenn das, was Indien und Deutschland vorhaben, klappt, sind am Ende beide Gewinner. Auf dem Gelände des Berliner Olympia-Stadions treffen Botschafter Gupre und Minister Heil indische Einwanderer und Einwanderinnen, die mit Cricket eine Tradition aus ihrer Heimat in Deutschland pflegen.

Einer von ihnen ist Pratik Chaudhary. In seiner Heimat hat der 33-Jährige einen Bachelor als Maschinenbau-Ingenieur erworben. 2013 kommt Chaudhary für ein Masterstudium in Energietechnik nach Cottbus. Nach dem Studium will er bleiben und sucht sich in Berlin einen Job in der Rundfunktechnik. Chaudhary ist das, was die Politik "gut integriert" nennt. Er spricht beinahe fließend Deutsch und als er seinen für deutsche Ohren kompliziert klingenden Namen in ein Smartphone tippt, schimpft er lachend: "Mist, die blöde Autokorrektur macht aus Prakti immer Praktikant." Er ist längst hier angekommen, auch wenn der Anfang nicht ganz einfach war. "Es ist eben eine total andere Kultur als in Indien, aber wenn man sich ein bisschen Zeit nimmt und versucht, die deutsche Kultur zu verstehen, Deutsch lernt, sich integriert und es macht, wie die deutschen Leute hier, dann ist es gar nicht so schwierig."

Bislang machen Inderinnen und Inder nur einen verschwindend geringen Teil der Arbeitnehmer in Deutschland aus: 1,8 Prozent der Beschäftigten stammten 2022 vom Subkontinent, gibt das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) an. Dennoch war der relative Anstieg zuletzt rasant: Zwischen 2010 und Ende 2022 stieg die Zahl indischer Arbeitnehmer von 20.000 auf 120.000. Geht es nach der Bundesregierung und Wirtschaftsverbänden, sollen viele weitere folgen.

"Deutschland ist gut"

Prakti Chaudhary hat den Schritt nach Deutschland nicht bereut und möchte hier bleiben. Wenn er seine Familie in Indien besucht, kommt er aus dem Schwärmen für das Leben in seiner neuen Heimat gar nicht mehr raus: "Dann erzähle ich viele Sachen von Deutschland, von der Kultur, wie die Orte hier sind. Berlin, Dresden, München. Und Cottbus. Da war ich ja zuerst. Ich sage immer meinen Cousins und Cousinen, Deutschland ist gut. Wenn man einen guten Beruf hat, dann findet man hier etwas, was man machen kann. Es gibt viele Möglichkeiten." Hat er in den elf Jahren, die er inzwischen hier lebt, Ausländerfeindlichkeit, Ablehnung, Rassismus erlebt? "Ich habe bisher noch keine Probleme gehabt. Klar, man hört vieles in den Nachrichten, aber persönlich habe ich noch nichts erlebt."

Erfolgsgeschichten wie die von Prakti Chaudhary klingen wie Musik in den Ohren des deutschen Arbeitsministers. Hubertus Heil setzt große Hoffnungen auf einwanderungswillige Inder. Die deutsche Bevölkerung wird immer älter, vergleichsweise wenige Arbeitskräfte rücken nach. Der Fachkräftemangel droht längst zu einer ernsthaften Wachstumsbremse zu werden. In Indien ist die Lage gegenläufig. Dort stoßen geburtenstarke, zum Teil sehr gut ausgebildete Jahrgänge auf einen Arbeitsmarkt, der nur begrenzt in der Lage ist, diese Menschen aufzunehmen. Immerhin eine Million zusätzliche Arbeitskräfte pro Monat. Indien hat, was Deutschland braucht und umgekehrt. Klingt wie eine klassische Win-win-Situation.

Ein eigenes Paket für Indien

"Kluge Köpfe im IT-Bereich und helfende Hände in der Pflege", wie es Heil, als einer der zuständigen Minister, formuliert. Vorher muss aber vor allem die deutsche Seite noch ihre Hausaufgaben machen und ganz praktische Fragen klären. Wenn zum Beispiel die Visa-Erteilung zu bürokratisch ist und zu lange dauert, dann gehen die heiß begehrten Arbeitskräfte eben woanders hin.

Heil sieht aber auch Pluspunkte für Deutschland: "Ich habe mit Menschen gesprochen, die mir gesagt haben, wir sind bewusst zum Studieren nach Deutschland gekommen, weil es hier keine Studiengebühren gibt. Es gibt Menschen, die wissen, dass wir hier gute Arbeitsbedingungen haben im Vergleich zu anderen Ländern, dass wir auch ein ordentliches Gesundheitswesen haben mit Krankenversicherungen, und dass wir nach wie vor eine starke Wirtschaftsnation sind."

Die Bundesregierung hat in der vergangenen Woche eine Fachkräftestrategie eigens für Indien auf den Weg gebracht: die Förderung der deutschen Sprache schon in Indien, effiziente Anerkennungsverfahren für ausländische Berufsabschlüsse, die Digitalisierung von Visa-Verfahren, vereinfachte Verwaltungsverfahren. Mit diesem Paket im Gepäck sind der Bundeskanzler und sein halbes Kabinett am Donnerstag nach Indien gereist.

Die Botschaft von Olaf Scholz an die Inderinnen und Inder: "Ihr seid in Deutschland willkommen." Denn auch wenn sich viele Inderinnen und Inder das Arbeiten im Ausland vorstellen können: Erste Anlaufstationen sind zunächst die englischsprachigen Länder USA, Großbritannien, Kanada oder Australien. Die Option Deutschland muss sich noch stärker herumsprechen - und sich gerade im Werben um die Hochqualifizierten attraktiv machen.

Russland ist der Spaltpilz

Neben der Fachkräftestrategie gibt es aber auch einige andere Punkte auf der Tagesordnung der deutsch-indischen Regierungskonsultationen. Berlin will engere Beziehungen in der Außen-, Sicherheits- und Wirtschaftspolitik mit Indien, immerhin die größte Demokratie der Welt und fünftgrößte Volkswirtschaft. Das wollen die Inder auch. Aber deshalb ist längst nicht alles eitel Sonnenschein: Gravierende Unterschiede in der Beurteilung des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine könnten die Gespräche klar belasten.

Auch der immer wieder öffentlich zur Schau gestellte Schulterschluss zwischen Premierminister Narendra Modi und dem russischen Präsidenten Wladimir Putin gefällt dem Westen ganz und gar nicht. Und erst recht nicht, dass Indien Waffen nach Russland liefern könnte. Versuche von westlicher Seite, in dieser Frage Einfluss auf Neu-Delhi zu nehmen, sind allesamt erfolglos geblieben.

Trotzdem hat die Bundesregierung entschieden, in Mannschaftsstärke nach Neu-Delhi zu reisen. Neben dem Bundeskanzler sind die Minister für Wirtschaft, Außenpolitik, Arbeit, Verteidigung und Bildung dabei - und eine große Wirtschaftsdelegation. Indien hat China als bevölkerungsreichstes Land abgehängt. Längst heißt es, Indien sei das neue China. So einen wichtigen Player und großen Markt können weder der Staat noch die deutsche Wirtschaft vernachlässigen.

Quelle: ntv.de

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