Studie: So tickt die arabische Welt Araber sind gegen IS und wollen Demokratie
22.12.2015, 23:37 Uhr
Belebter Basar in Kairo: Auch Ägypter waren unter den Befragten.
(Foto: REUTERS)
Mehr als 18.300 Menschen aus zwölf arabischen Ländern äußern sich zu Politik und Religion: Sie sind mehrheitlich gegen den IS und hoffen auf Demokratie. Allerdings lehnen Araber auch weiterhin Israel überwiegend ab.
Was denken die Menschen in den arabischen Ländern über Politik und Religion? Das Arabische Zentrum für Forschung und Politikstudien in Katar wollte es genau wissen und hat mehr als 18.300 Menschen aus zwölf arabischen Ländern befragt. Die Ergebnisse sind zum Teil überraschend: So halten die meisten Menschen zwischen dem Irak und Mauretanien nichts von einer Vermengung von Politik und Religion und setzen auf eine demokratische Zukunft. Die Extremisten vom Islamischen Staat (IS) sind dagegen weitgehend verhasst.
Fast 80 Prozent der Befragten bezeichnen sich als religiös, jeder vierte sogar als sehr religiös. Das steht aber nicht zwingend im Widerspruch zu religiöser Toleranz: So lehnen es mehr als 70 Prozent der Befragten ab, Anhänger anderer Religionen als Ungläubige zu bezeichnen. Sieben Prozent sind allerdings entschieden dafür.
Ferner stimmen über alle befragten Staaten hinweg 55 Prozent der Aussage zu, dass eine Trennung von Politik und Religion ihrem Land gut tun würde. 71 Prozent widersprechen zudem der Aussage, dass der Islam nicht mit der Demokratie vereinbar sei. Das islamische Gesetz der Scharia als Grundlage der Regierung lehnen dagegen mehr als 60 Prozent ab.
Auch strengreligiöse Muslime sind gegen den IS
Vor diesem Hintergrund überrascht es wenig, dass viele Araber aufmerksam die Entwicklungen rund um den IS verfolgen. Vor allem auf der Arabischen Halbinsel sowie in Marokko und Tunesien beschäftigt die Menschen die Ausbreitung der Extremisten-Organisation.

Menschen auf der Flucht vor dem IS im irakischen Ramadi: 89 Prozent der befragten Araber lehnen die Terrormiliz rundweg ab.
(Foto: REUTERS)
Insgesamt haben der Umfrage zufolge 89 Prozent eine negative Wahrnehmung vom IS, aber auch drei Prozent eine sehr positive. Generell ist die Ablehnung dort besonders hoch, wo die Menschen vom IS-Terror betroffen sind. Sei es im Irak, wo der IS weite Gebiete kontrolliert, oder im Libanon, wohin Hunderttausende vor dem Terror geflüchtet sind.
Dabei ist die Haltung zum IS keine Frage der Religiösität: Selbst Befragte, die sich als sehr gläubig bezeichnen, lehnen den IS zu 75 Prozent rundweg ab. Bei den "normal religiösen" Arabern liegt die Ablehnungsrate bei 84 Prozent.
Ungeachtet dieser einhelligen Ablehnung glaubt mehr als die Hälfte der Befragten, der IS sei ein Produkt "fremder Kräfte". Dabei ist jedoch unklar, ob die Menschen die Terror-Miliz zum Beispiel für ein ungewolltes Ergebnis der US-Invasion im Irak halten, oder glauben, ein anderes Land würde den IS kontrollieren.
Vom Arabischen Frühling enttäuscht

"Rassistisch, expansionistisch und kolonialistisch": Israel unter Führung von Benjamin Netanjahu ist ähnlich verhasst wie der IS.
(Foto: REUTERS)
Ähnlich verhasst wie der IS ist in der arabischen Welt nur der Staat Israel. Auch dieser wird von 89 Prozent der Befragten negativ betrachtet. Als Gründe nannten die Befragten, Israel sei "rassistisch, expansionistisch und kolonialistisch". Die Befragten bezeichneten Israel als größte Bedrohung für ihr Land, gefolgt vom Iran, den USA und Russland.
Den Umsturz in der arabischen Welt, der 2011 begann und als arabischer Frühling in die Geschichte einging, wird inzwischen von fast 60 Prozent der Befragten negativ bewertet. Das sind mehr als dreimal so viele wie noch vor zwei Jahren. Gut ein Drittel der Befragten glaubt, dass am Ende dieses Prozesses doch wieder nur die alten Eliten an der Macht sein werden.
Dabei haben die Menschen durchaus eine hohe Meinung von den Zielen, die viele mit dem arabischen Frühling verbunden hatten. Tatsächlich stimmen mehr als 70 Prozent der Araber der Aussage zu, dass die Demokratie aller Nachteile zum Trotz noch immer die beste aller Regierungsformen sei. Mit demokratischen Werten verknüpfen die meisten Befragten vor allem die Garantie politischer und bürgerlicher Rechte, gefolgt vom Versprechen auf Gleichheit und Gerechtigkeit.
Wenig Hoffnung auf eine bessere Zukunft
Damit ist es in der Gegenwart allerdings wenig her in den meisten arabischen Ländern: Das Militär hat mit 58 Prozent eine achtmal so hohe Vertrauensrate wie die politischen Parteien. Der Justiz traut nur jeder vierte, der Regierung jeder fünfte Befragte. In acht der zwölf Staaten glaubt jeweils weniger als ein Fünftel, im Zweifelsfall einen fairen Prozess bekommen zu können.
Nicht einmal ein Fünftel glaubt zudem, dass die Legislative seines Landes die Regierung kontrolliert und zum Wohl ihrer Bürger arbeitet. Das könnte auch der hohen Korruption anzulasten sein, die 92 Prozent als sehr weit, weit oder teilweise verbreitet einstufen. So ist es auch kein Wunder, dass jeder fünfte Araber gerne sein Land verlassen würde.
Zumal fast zwei Drittel der Befragten die wirtschaftliche Situation ihres Landes als negativ bezeichnen und die Mehrheit auch für die Zukunft eher eine Verschlechterung erwartet. Doch während die Auswanderungswilligen in Jordanien vor allem wegen hoher Armut gehen wollen, treibt die Iraker zumeist die schlechte Sicherheitslage aus der Heimat.
Befragt wurden Bürger aus Saudi-Arabien, Kuwait, Irak, Jordanien, Libanon, Ägypten, Sudan, Tunesien, Algerien, Marokko, Mauretanien und den palästinensischen Gebieten.
Quelle: ntv.de, mit dpa