Arbeitspflicht für Asylbewerber Bislang sind die 80-Cent-Jobs ein Flop
29.02.2024, 19:57 Uhr Artikel anhören
Nicht alle Asylbewerber dürfen Arbeitsgelegenheiten wahrnehmen. Dafür gelten strenge Regeln.
(Foto: Patrick Pleul/zb/dpa)
Der Landrat des ostthüringischen Saale-Orla-Kreises will Asylbewerber arbeiten lassen, für 80 Cent pro Stunde als Aufwandsentschädigung. Seine CDU feiert ihn dafür. Dabei gibt es die gesetzliche Regelung seit 1993, die Diskussion darum ist keinesfalls neu. Der Vorschlag könnte einen anderen Grund haben.
Worum geht es?
Landrat Christian Herrgott von der CDU plant, Asylbewerber zur Arbeit zu verpflichten. Dabei geht es um vier Stunden pro Tag. Gezahlt wird kein Lohn, aber eine Aufwandsentschädigung von 80 Cent pro Stunde. "Ich erhoffe mir von dem Vorschlag, dass diejenigen, die zu uns gekommen sind als Geflüchtete oder Asylbewerber, tatsächlich eine sinnvolle Tagesstruktur bekommen und vier Stunden am Tag gemeinnützige Arbeit leisten und der Gesellschaft, die sie hier unterbringt und alimentiert, auch etwas zurückgeben mit dieser Arbeit", sagte Herrgott ntv. In der "Bild"-Zeitung sagte er zudem, dass Asylbewerber "nicht den ganzen Tag auf einer Parkbank sitzen" sollten.
Können Asylbewerber zur Arbeit verpflichtet werden?
Ja. Herrgotts Vorschlag basiert auf dem Asylbewerberleistungsgesetz. In Paragraf 5 steht, dass Asylbewerbern "Arbeitsgelegenheiten insbesondere zur Aufrechterhaltung und Betreibung der Einrichtung zur Verfügung gestellt werden" sollen. Das gilt demnach auch für Arbeitsgelegenheiten bei staatlichen, kommunalen und gemeinnützigen Trägern, "wenn das Arbeitsergebnis der Allgemeinheit dient". Die Asylbewerber, sofern sie nicht erwerbstätig oder schulpflichtig sind, "sind zur Wahrnehmung einer zur Verfügung gestellten Arbeitsgelegenheit verpflichtet".
In dem Paragrafen sind auch die 80 Cent festgelegt. Die Entschädigung kann erhöht werden, wenn der Aufwand für die Tätigkeit - also etwa Arbeitskleidung oder Fahrpreise - nachweislich höher ausfällt. Zudem können bei "unbegründeter Ablehnung einer solchen Tätigkeit" Leistungen gekürzt werden. Laut Saale-Orla-Kreis drohen Geldkürzungen von bis zu 180 Euro im Monat.
Eine Arbeitspflicht, die darüber hinausgeht, gibt es nicht. Diese hatte Landkreistags-Präsident Reinhard Sager im Oktober gefordert. "Wer gesund ist und nicht gehandicapt ist, muss arbeiten. Eine Arbeitspflicht muss her", sagte er der "Bild"-Zeitung. Er nannte gemeinnützige Arbeit - aber auch etwa Arbeit in der Gastronomie, also in der freien Wirtschaft.
Seit wann gibt es die Arbeitsgelegenheiten?
Sie sind keineswegs neu, sondern wurden 1993 eingeführt, als das Asylbewerberleistungsgesetz unter schwarz-gelber Regierung erstmals erlassen wurde. Damals wurden 2 D-Mark gezahlt, die mit der Abschaffung der alten Währung zu 1,05 Euro wurden. 2016 wurde unter der Großen Koalition die Aufwandsentschädigung auf 80 Cent reduziert. Die damalige Arbeitsministerin Andrea Nahles von der SPD begründete dies damit, dass die meisten Asylbewerber in Aufnahmeeinrichtungen eingesetzt würden und daher nur geringe Ausgaben hätten.
Hinzu kamen zwischen 2016 und 2020 im Rahmen des Integrationsgesetzes, das auf die damals vielen neu ankommenden Flüchtlinge reagierte, sogenannte Flüchtlingsintegrationsmaßnahmen (FIM), mit denen jährlich bis zu 100.000 Arbeitsgelegenheiten geschaffen werden sollten. Analog zu den Ein-Euro-Jobs wurden damals die Arbeitsgelegenheiten als 80-Cent-Jobs bekannt.
Wie wurden die Arbeitsgelegenheiten angenommen?
Angesichts der Flüchtlingszahlen: mäßig. Auch Nahles, die mittlerweile Vorstandsvorsitzende der Bundesagentur für Arbeit ist, sagt heute, dass die Kommunen die Möglichkeit der Arbeitspflicht "eher zurückhaltend" nutzen würden. Die Anzahl derjenigen, die Arbeitsgelegenheiten ergreifen, ist in der Asylbewerberleistungsstatistik des Statistischen Bundesamtes erfasst. "Wie hoch die Anzahl der bereitgestellten Arbeitsgelegenheiten ist, liegt dagegen nicht vor", teilt das Bundesarbeitsministerium (BMAS) ntv.de auf Anfrage mit. Unklar ist also, wie viele der geschaffenen Tätigkeiten nicht besetzt wurden.
Laut BMAS nahmen 2018 insgesamt 13.325 Asylbewerber Arbeitsgelegenheiten auf, im Jahr darauf waren es 12.320. 2020 sank die Zahl auf 9320, im Folgejahr stieg sie auf 10.615. Einen weiteren Anstieg gab es 2022, als 17.100 Asylbewerber entsprechende Jobs annahmen. Daten für 2023 liegen noch nicht vor.
Das Arbeitsmarktprogramm Flüchtlingsintegrationsmaßnahmen (FIM), das 100.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer angestrebte, stieß nur auf geringes Interesse. "Bereits kurz nach Inkrafttreten der Förderrichtlinie Mitte 2016 wurde klar, dass diese Zielgröße deutlich über dem tatsächlichen Bedarf lag", teilt das BMAS mit. 2017 lag der Bestand demnach im Jahresdurchschnitt bei knapp unter 6000, bereits 2018 sank er stark auf nur noch etwa 2500. Im Jahr darauf gab es laut dem Ministerium einen weiteren Rückgang auf etwa 1600. Im letzten Jahr der Maßnahme, 2020, waren es noch 900 Teilnehmerinnen und Teilnehmer.
Wie dürfen Asylbewerber sonst arbeiten?
Der Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt ist für neu ankommende Geflüchtete stark eingeschränkt. Nach geltender Rechtslage dürfen sie frühestens nach drei Monaten einer Arbeit nachgehen. Bei Asylbewerbern, die in einer Aufnahmeeinrichtung leben und kein minderjähriges Kind haben, sind es sogar neun Monate. Asylbewerber aus sogenannten sicheren Herkunftsstaaten haben keinen Zugang zum Arbeitsmarkt.
Wie sind die Reaktionen auf den Vorstoß im Saale-Orla-Kreis?
Thüringens CDU-Chef Mario Voigt verteidigt die Initiative. "Wir müssen die Botschaft aussenden: Wer in Deutschland die Solidarität der Gemeinschaft erfährt, muss dafür auch etwas zurückgeben", sagte er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann sagte der "Bild"-Zeitung: "Alles, was das Prinzip des Förderns und Forderns wieder stärkt, ist zu begrüßen." Dies gelte "nicht nur für Bürgergeldempfänger, sondern auch für Asylbewerber".
Die Landesregierung aus Linke, SPD und Grünen kritisierte den Plan. "Herr Herrgott macht genau das, was rechte Gruppierungen zurzeit versuchen: Er bedient das falsche Narrativ von den arbeitsscheuen Geflüchteten", so die grüne Integrationsministerin Doreen Denstädt. Dabei sei bekannt, dass die meisten Flüchtlinge arbeiten wollten, aber an Arbeitsverboten und zu großer Bürokratie scheiterten.
Bundesarbeitsminister Hubertus Heil hält eine Arbeitspflicht für Asylbewerber im Einzelfall für sinnvoll. "Dass die Kommunen Asylbewerber, die in Gemeinschaftsunterkünften leben, zu gemeinnütziger Arbeit verpflichten können, ist geltendes Recht", sagte er der "Bild"-Zeitung. "Im Einzelfall mag es auch sinnvoll sein, Menschen während der mitunter langen Wartezeit in Sammelunterkünften zu beschäftigten."
Scharfe Kritik gab es vom Deutschen Gewerkschaftsbund: "Arbeitspflicht für Geflüchtete ist ein weiterer substanzloser Höhepunkt der Debatten auf dem Rücken von geflüchteten Menschen", so DGB-Vorstandsmitglied Anja Piel. Werde in Arbeit vermittelt, müsse dies gute und sozialversicherte Beschäftigung sein.
Welche grundsätzliche Kritik gibt es an den Arbeitsgelegenheiten?
Hauptkritikpunkt ist die Schaffung eines parallelen Arbeitsmarktes. Im Gesetz steht ausdrücklich, dass die Arbeitsgelegenheiten für Asylbewerber kein Arbeitsverhältnis im Sinne des Arbeitsrechts und kein sozialversichertes Beschäftigungsverhältnis begründen. Minister Heil kritisierte denn auch, dass eine nachhaltige Arbeitsmarktintegration mit den Arbeitsgelegenheiten nicht gelingen werde. Ziel sei es, Menschen, die hier Schutz gefunden hätten, dauerhaft in sozialversicherungspflichtige Arbeit zu bringen.
"Für die Kommunen ist der bürokratische Aufwand bei Arbeitsgelegenheiten enorm groß", teilte der Deutsche Städte- und Gemeindebund ntv.de mit. Zudem seien die Möglichkeiten der Sanktionierung gering. Ein weiterer Punkt sei die mögliche Konkurrenz zur lokalen Wirtschaft. "Die Arbeitsgelegenheiten bestehen oft aus denselben Tätigkeiten, etwa dem Beschnitt von Bäumen und Rasenmähen in Parks. Diese Arbeit wird aber von Unternehmen vor Ort ausgeführt, die damit in Konkurrenz zu den Asylbewerbern geraten könnten. Bessere wäre im Übrigen eine reguläre Beschäftigung für all jene mit Bleibeperspektive."
Warum wird nun wieder über Arbeitsgelegenheiten diskutiert?
Die Möglichkeiten von Arbeitsgelegenheiten gibt es seit 1993. Seitdem waren sie immer wieder mal ein Thema. 2018 etwa wollte Bayerns Innenminister Joachim Herrmann weitere 5000 Arbeitsgelegenheiten für Flüchtlinge in dem Bundesland schaffen.
Dass das Thema nun wieder aufkommt, dürfte verschiedene Gründe haben. So klagen Kommunen seit langem über die Belastung durch neue Flüchtlinge. Der Bundesregierung aus SPD, Grünen und FDP wird vielfach vorgeworfen, nicht genug zur Begrenzung der Migration zu tun. Thüringens CDU-Landeschef Voigt sagte entsprechend, die Entscheidung des Landkreises sei ein "Zeichen für notwendige Begrenzung von Zuwanderung".
CDU-Politiker Herrgott setzte sich zudem erst Ende Januar in der Landratswahl knapp gegen einen AfD-Kandidaten durch - es wäre nach dem thüringischen Sonneberg der zweite AfD-Landrat in Deutschland gewesen. Herrgotts Vorstoß und seine Kritik an Asylbewerbern könnten ein Versuch sein, die AfD-Wähler vor Ort von seiner Politik zu überzeugen und einer weiteren Spaltung der Bevölkerung entgegenzuwirken.
Daneben könnte der Schritt aber auch dazu dienen, der AfD Wind aus den Segeln zu nehmen. Im Herbst steht die Landtagswahl in Thüringen an. Laut Umfragen ist die AfD - die dort vom Verfassungsschutz als gesichert rechtsextremistisch eingestuft wird - stärkste Partei, mit mehr als zehn Prozentpunkten Vorsprung vor der CDU. Dann folgen Linke und BSW, noch vor SPD und Grünen.
Wie eine Trotzreaktion auf die AfD wirkt auch ein Kommentar einer CDU-Landtagsabgeordneten: "Apropos, was macht eigentlich dieser erste AfD-Landrat Deutschlands in #Sonneberg? Nichts als heiße Luft: weder #Bezahlkarte, noch Arbeitsverpflichtung für #Fluechtlinge! Die einen hetzen, die anderen machen!", schrieb Beate Meißner auf X.
Quelle: ntv.de