Genozidgespräche mit Namibia "Aussöhnung ist uns Deutschnamibiern wichtig"
08.08.2021, 12:13 Uhr
Demonstration im Mai 2021 in Berlin. Das Plakat beschreibt den Kern der Forderungen der Herero und Nama, mit denen sie sich bislang nicht durchsetzen konnten.
(Foto: picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild)
Rund sechs Jahre lang verhandelten die Delegationen von Namibia und Deutschland miteinander. Ende Mai präsentierten sie schließlich ihre Einigung: Deutschland erkennt die Kolonialverbrechen an den Nama und Herero zwischen 1904 und 1908 als Völkermord an; zudem will die Bundesregierung über 30 Jahre 1,1 Milliarden Euro Wiederaufbauhilfen an Namibia zahlen.
Auf den vermeintlichen Durchbruch folgten Proteste und scharfe Kritik von Vertretern der Herero und Nama. Das Angebot von deutscher Seite betrachten einige als Hohn. Zuletzt hat die Ovaherero Traditional Authority (OTA), die traditionelle Führung der Herero, abermals mit rechtlichen Schritten gegen die namibische und deutsche Regierung gedroht. Die Corona-Pandemie erschwert den Abschluss der Verhandlungen zusätzlich. Denn noch müssen die Parlamente beider Länder das Versöhnungsabkommen unterzeichnen - doch die dritte Infektionswelle bremst den politischen Betrieb in Namibia seit Wochen aus.
Im Gespräch erklärt Harald Hecht, Vorsitzender des Forums Deutschsprachiger Namibier, wie er die Stimmung in Namibia derzeit wahrnimmt, wie die deutschsprachige Minderheit zu den Genozidverhandlungen steht - und warum er die Unruhen im Nachbarland Südafrika als Warnung betrachtet.
ntv.de: Als die Regierungsdelegationen Ende Mai ihre Einigung verkündeten, haben Sie diesen Schritt begrüßt und sich positiv dazu geäußert. Hat sich in den vergangenen Wochen etwas an Ihrer Haltung geändert?
Harald Hecht: Wir sehen es immer noch positiv - insofern, als es überhaupt zu einem Abschluss gekommen ist und sich beide Chefunterhändler wahrscheinlich ein Mandat der jeweiligen Regierung geholt haben, diesen Vorvertrag zu unterschreiben. An der Erklärung der Delegationen kann man aus juristischer Sicht sicherlich kaum rütteln. Ich glaube nicht, dass Deutschland noch einmal nachverhandeln lässt. Was wir damals nicht absehen konnten, war die Resonanz einiger politischer Gruppierungen, die nun sagen, sie seien nicht berücksichtigt worden und könnten mit dem Ergebnis nicht leben. Es gab aber auch einige namibische Parteien, die zwar an den Verhandlungen teilgenommen haben, das Ergebnis aber dennoch nicht anerkennen. Die Frage ist nun, ob sie weiter auf ihren Forderungen beharren oder das Angebot letztendlich doch akzeptieren, nach dem Motto: A deal is better than no deal.
Einige Schlüsselfiguren der Verhandlungen sind in den vergangenen Wochen an den Folgen einer Corona-Infektion gestorben, unter anderem Chefunterhändler Zed Ngavirue und Vekuii Rukoro, das traditionelle Oberhaupt der Herero und einer der schärfsten Kritiker des Abkommens. Wie wird sich das Ihrer Einschätzung nach auf die Verhandlungen auswirken?
Die Ovaherero Traditional Authority lässt sich bis zu sechs Monate Zeit, um einen Nachfolger zu nominieren. Ich erwarte aber auch unter einem neuen Chief keine Änderung in der Grundhaltung dieser Gruppierung der Herero. Seit Jahrzehnten schon fordern sie Reparationen von Deutschland. Einige gehen dabei ins Extrem und sagen: Wenn Deutschland seinen Verpflichtungen aus unserer Sicht nicht nachkommt, dann holen wir uns das, was uns zusteht, von den deutschsprachigen Namibiern - zur Not gewaltsam. Insgesamt ist das Stimmungsbild unter den Herero und Nama gemischt. Es gibt auch prominente Vertreter, die stolz sind auf das Erreichte. Vor 60 Jahren war es noch undenkbar, dass sich Deutschland überhaupt auf die Betroffenen zubewegt. Letztlich ist es eine Frage der Auslegung. Fest steht: Es ist und bleibt spannend.
Waren deutschsprachige Namibier in irgendeiner Weise in die Verhandlungen eingebunden?
Nein, nach meiner Kenntnis direkt überhaupt nicht. Wir haben aus den Zeitungen erfahren, was der Stand der Dinge ist. Wahrscheinlich waren wir mit Blick auf die Verhandlungen alle etwas zu optimistisch - wir sind schlichtweg davon ausgegangen, dass die Unterhändler mit allen Herero und Nama sprechen und dass ein bilaterales Abkommen zweier unabhängiger Staaten nach mehr als sechs Jahren Verhandlungszeit größere Akzeptanz findet. Nun ist einer der größten Kritikpunkte, dass sich Teile der betroffenen Bevölkerungsgruppen nicht richtig vertreten und gehört fühlen. Von deutscher Seite wird immer wieder betont, dass man das Gespräch mit allen Gruppierungen gesucht und auch geführt habe. Wir würden uns jetzt gerne mit beiden Seiten unterhalten. Auf die bilateralen Verhandlungen können wir zwar keinen Einfluss nehmen. Aber letztlich sind es wir Namibier, die mit dem Ergebnis leben müssen. Die Versöhnung und Aussöhnung ein für allemal ist uns Deutschnamibiern natürlich sehr wichtig. Dass das ein Prozess ist, der über Jahre stattfinden muss, ist uns auch klar.
Nehmen Sie im Alltag Spannungen zwischen den Bevölkerungsgruppen wahr, gerade auch mit Blick auf die Genozidverhandlungen?
Ich glaube nicht, dass die Spannungen zugenommen haben, seit das Abkommen bekannt wurde. Es gab einen kurzen Wolkenbruch im Juni, aber mittlerweile ist sicherlich alles beim Alten. Wir haben aber trotzdem eine Realität in diesem Land, und das ist die strukturbedingte Ungleichheit. Die ist durch Corona noch einmal größer geworden. Wir müssen uns dem nationalen Problem dieser Ungleichheit stellen. Auch in den letzten 30 Jahren ist es uns nicht gelungen, ein Gleichgewicht herzustellen. Namibia ist eines der Länder mit den größten Einkommensgefällen, von ganz arm bis ganz reich. Das lässt sich auf Dauer nicht aufrechterhalten. Insofern ist das immer eine konstante Bedrohung. Als deutschsprachige Namibier haben wir sicherlich eine besondere Verantwortung, uns diesem Problem zu stellen. Schließlich geht es den Deutschsprachigen in Namibia am besten. Statistiken bescheinigen uns den größten materiellen Wohlstand und die höchste Lebensqualität. Wir müssen uns nun fragen: Was können wir tun, um das Einkommensgefälle abzubauen? Die Regierung ist natürlich auch besonders gefordert. Wir können das Problem nicht alleine lösen. Aber wir können ein Teil der Lösung sein und sind dabei, diesbezüglich konkrete Vorschläge zu formulieren. Das Forum Deutschsprachiger Namibier hat sich dem Grundsatz "Landesinteressen über Gruppeninteressen" verpflichtet.
Der deutsche Historiker Jürgen Zimmerer betrachtet Namibia als "Opfer von Kolonialismus". Anfang Juli hat er Impfstoff-Hilfen für Namibia von deutscher Seite gefordert - als "Gebot historischer Gerechtigkeit". Sehen Sie Deutschland ebenfalls in einer besonderen Verantwortung gegenüber Namibia?
Deutschland hat wenig später auch gehandelt und Hilfsgüter nach Windhoek geschickt. Nicht nur von Historikern, auch von deutschen Politikern hört man immer wieder, dass Deutschland eine historische Verantwortung gegenüber Namibia habe. Für mich steht jedoch vielmehr die humane Verantwortung im Vordergrund. In einer Pandemie wie dieser sollten weltweit die stärkeren Staaten die schwächeren unterstützen. Man kann von Bringschuld sprechen, von historischer Verantwortung - oder einfach von Menschlichkeit. Insgesamt hat sich die deutsche Verbindung zu Namibia seit der Unabhängigkeit des Landes 1990 verstärkt. Deutschland zahlt sehr viel Entwicklungshilfe. Aber auch indirekt kommt viel Hilfe ins Land, etwa durch wohltätige Projekte und Organisationen. Selbstverständlich ist das sicherlich nicht. Man kann und sollte sich aus namibischer Sicht nicht immer nur auf Deutschland verlassen.
Wurde in Namibia bislang zu wenig über den Herero-Krieg und seine Folgen gesprochen?
Ja, ich denke schon. Das ist sicherlich auch ein Vermächtnis der Apartheid, die nach der deutschen Kolonialzeit kam. Die Geschichtsbücher sind beispielsweise etwas einseitig geschrieben worden. In meiner Schulzeit wurde der Herero-Krieg kurz angesprochen, aber das Thema war nie so präsent, wie es hätte sein müssen. An der Deutschen Höheren Privatschule in Windhoek fängt man jetzt an, die Geschichtsbücher etwas mehr zu "namibianisieren” und umzuschreiben.
Mit unserem Forum wollen wir erreichen, dass sich die deutschsprachigen namibischen Bürger auf ihre Verantwortung besinnen und sich auch mit kritischen Themen auseinandersetzen. Es ist immer leicht zu sagen: Das war vor über hundert Jahren, damit habe ich nichts zu tun. Aber: Wir müssen uns dieser Realität stellen. Es beeinflusst schließlich den Versöhnungsprozess zwischen den Bevölkerungsgruppen, und damit das Leben und den Frieden in Namibia.
Wie steht denn die deutschsprachige Gemeinschaft in Namibia zu den Genozidverhandlungen?
Corona hat mir in den vergangenen Wochen immer wieder vor Augen geführt, wie verschieden Menschen sind. Ich befürworte das Impfen und bin automatisch davon ausgegangen, dass die Mehrheit der deutschsprachigen Namibier ähnlich dazu steht. Nun merke ich aber, dass es auch in meinem Umfeld Impfgegner gibt - und das muss ich akzeptieren. Bei den Genozidverhandlungen ist das nicht anders, es gibt unterschiedliche Strömungen. Das liegt auch daran, dass das Thema die Landfrage berührt: Zu den Forderungen der Herero und Nama zählt die Rückgabe des Landes, das ihnen in Kolonialzeiten genommen wurde. Zuletzt kam es auch zu Gewaltdrohungen gegen deutschsprachige Farmbesitzer. Einige haben deshalb eine akute Angst, sie fühlen sich existentiell bedroht. Natürlich blicken sie anders auf die Verhandlungen als ein Stadtbewohner wie ich. Einige Namibier nehmen eine Art Vogelstrauß-Haltung ein. Sie verkriechen sich und wollen sich am liebsten gar nicht mit dem Thema auseinandersetzen. Mit dem Forum wollen wir das ändern, allen Stimmen eine Plattform bieten und offen diskutieren.
Haben Sie Verständnis für den Unmut der betroffenen Bevölkerungsgruppen?
Unmut ist sicherlich immer dann berechtigt, wenn eine gewisse Erwartungshaltung nicht erfüllt wurde. Die Frage ist: Wie sind die Unterhändler mit der Erwartungshaltung der Herero und Nama umgegangen? Und eine Erwartung muss auch immer zu erfüllen sein. Ich würde mich gerne einmal mit beiden Seiten zusammensetzen und hören, wie sie zu diesem Ergebnis gekommen sind - das weiß schließlich keiner so genau. Bei der Kommunikation und Pressearbeit hat es große Fehler gegeben. So ist Raum für politischen Opportunismus entstanden, den Kritiker nun nutzen. Aber: Nicht immer ist der, der am lautesten schreit, auch der mit der größten Gefolgschaft. Gewaltdrohungen lassen wir uns nicht bieten. Nichtsdestotrotz sind wir nach wie vor bereit, uns mit allen an einen Tisch zu setzen, um die Aus- und Versöhnung voranzutreiben. Wir wären als deutschsprachige Namibier gut beraten, die offenen Wunden des Völkermords nicht einfach zu ignorieren, sondern uns diesen Realitäten zu stellen. Ein Anfang wäre der offene Dialog - wir hören gern zu, wollen aber auch gehört werden.
Was wünschen Sie sich für den weiteren Verlauf der Verhandlungen?
Ich wünsche mir, dass das bilaterale Abkommen möglichst schnell in Kraft treten kann. Davon sind wir wahrscheinlich weiter entfernt, als wir bis vor kurzem noch gedacht haben. Wenn das geschehen ist, folgt die große Aufgabe, bei der auch wir Deutschsprachigen eine wichtige Rolle spielen: die Aussöhnung und Versöhnung.
Wir haben in Namibia unser deutschsprachiges Radio, Deutschunterricht an Schulen, wir leben unsere Kultur aus - etwa beim Karneval oder beim Oktoberfest. Wir müssen aber auch endlich mehr ein Teil des namibischen Hauses werden - was wiederholt von namibischen Politikern gefordert wurde - und uns etwas mehr aus unserer deutschsprachigen Gemeinschaft in die namibische Gesellschaft bewegen. Nur mit Verständnis und Lösungen für große Probleme wie die strukturelle Ungleichheit können wir Namibia weiterbringen. Die jüngsten Unruhen in Südafrika sollten uns eine Lehre und Warnung sein. Die Menschen dort sind schlichtweg desillusioniert. Wenn wir unsere großen Herausforderungen ignorieren, drohen Namibia ähnliche Szenarien. Wir müssen dringend lernen, uns gegenseitig an die Hand zu nehmen und geschlossen im Sinne Namibias zu handeln. Für mich gibt es nur einen Grundsatz: One Namibia, One nation. Auch wir deutschsprachigen Namibier müssen dazu beitragen.
Mit Harald Hecht sprach Annika Brohm
Quelle: ntv.de