
Am Donnerstag wurde Julian Assange von der britischen Polizei aus der Botschaft von Ecuador geführt.
(Foto: imago images / Italy Photo Press)
Ecuadors Präsident Moreno wollte den nervigen Dauergast in London nicht mehr und fand schließlich einen Weg, ihn loszuwerden. Sein Vorgänger Correa schäumt über den "Verrat" seines ehemaligen Parteifreundes.
In einer auf Twitter veröffentlichten Ansprache erklärte Ecuadors Präsident Lenín Moreno, warum sein Land Julian Assange fallen gelassen hat. "Respektloses und aggressives Verhalten" des Wikileaks-Gründers, die "Unhöflichkeit und Drohungen" seiner Organisation sowie der Verstoß gegen internationale Abkommen hätten dazu geführt, dass ihm das gewährte Asyl entzogen wurde.
Assange habe sich trotz mehrfacher Aufforderung, dies zu unterlassen, in interne Angelegenheiten anderer Staaten eingemischt. Heißt: Wikileaks veröffentlichte unter seiner Federführung weitere Dokumente. Nur zwei Tage vor Assanges Festnahme hatten seine Anwälte eine Pressekonferenz gegeben und Ecuador vorgeworfen, ihn ausspioniert zu haben. Das war für Moreno der nötige Rest. "Ecuadors Geduld ist am Ende", sagte er. Britische Polizisten nehmen Assange kurze Zeit später fest.
Das klingt soweit nachvollziehbar. Aber der Bruch des südamerikanischen Landes mit Assange hat auch noch eine Geschichte abseits dessen, was Ecuadors Außenminister José Valencia vor dem Parlament in Quito anführte: Unter anderen sprach der Diplomat von missachteten Verhaltensregeln, immensen Kosten von insgesamt 6,2 Millionen US-Dollar und "unangenehmen Verdauungsproblemen" des Gastes. Assange fallen zu lassen, ist auch eine politische Entscheidung, die vorbereitet worden war. Sie zeigt, wie weit sich Ecuador von seiner Vergangenheit entfernt hat. Ex-Präsident Rafael Correa etwa schäumte, beschimpfte Moreno als korrupt und "größten Verräter in der Geschichte Ecuadors und Lateinamerikas".
Assange als PR-Coup
Als Assange im Jahr 2012 als Motorradkurier verkleidet um politisches Asyl in der ecuadorianischen Botschaft bittet, hat das einen Grund: Er sieht in dem südamerikanischen Land eine mögliche Schutzmacht gegen den langen Arm Washingtons. Ecuadors linker Präsident Rafael Correa, ideologisch nahe der Linie von Venezuelas damaligem Präsidenten Hugo Chávez und Boliviens Evo Morales, hatte ein Jahr zuvor den US-Botschafter aus dem Land geworfen. Assange Asyl zu gewähren, ist ein PR-Coup. Der Australier zieht ins Botschaftsgebäude, richtet sich ein, irgendwann bekommt er sogar eine Katze, die zwischen 2016 und 2018 ein eigenes Twitter-Konto hat.
Moreno wird im April 2017 als von Correa unterstützter linker Kandidat zum Präsidenten gewählt. Im gleichen Monat nennt der heutige US-Außenminister Mike Pompeo (damals noch in seiner Rolle als CIA-Chef) Wikileaks einen "Geheimdienst", der die Nationale Sicherheit der USA gefährde. Ganz ohne Beigeschmack ist das nicht, immerhin hat Wikileaks dazu beigetragen, Pompeos Chef Donald Trump ins Weiße Haus zu bringen: Im Wahlkampf hatte die Organisation mehrere E-Mails von Servern der US-Demokraten veröffentlicht, die keinen Skandal offenlegten, aber Hillary Clinton im Wahlkampf schadeten. "Ich liebe Wikileaks", verkündete Trump im Oktober 2016, nachdem die Enthüllungsplattform damit begonnen hatte, Mails von Clintons Wahlkampfchef John Podesta zu veröffentlichen. Am Donnerstag sagte er nun: "Ich weiß nichts über Wikileaks. Das ist nicht meine Angelegenheit."
Dass die US-Regierung Assange trotz seiner Wahlkampfhilfe für Trump nicht als Verbündeten ansieht, war auch für Ecuador von Bedeutung. Schon zu Beginn seiner Amtszeit im Mai 2017 schimpft Moreno über das "vererbte Problem" Assange. Seither hat er zudem einen politischen Richtungswechsel vollzogen. Erfolgreich ist der Regierungschef bislang nicht. In der Bevölkerung hat sich Pessimismus breitgemacht. Seit Februar 2018 sind die Zustimmungswerte Morenos laut dem Umfrageinstitut Perfiles de Opinión in der Bevölkerung der drei größten Städte des Landes von 65 auf 27 Prozent gefallen, das Vertrauen in den Präsidenten im selben Zeitraum von 50 auf rund 17 Prozent. Ecuador hat vor allem ein Geldproblem und hält sich nur mit Milliardenkrediten des Internationalen Währungsfonds, der Weltbank und anderen Instituten liquide.
In einer Pressekonferenz am Dienstag warfen die Wikileaks-Anwälte Ecuador auch vor, mit den USA gegen Assange zusammengearbeitet zu haben. Der Plattform zufolge versuchte Quito schon 2017, seinen Gast loszuwerden und daraus Kapital zu schlagen. Bei einem Treffen von Trumps Ex-Wahlkampfmanager Paul Manafort mit Moreno soll es um einen möglichen Deal gegangen sein: Ecuador bat die USA um Krediterlass und bot im Gegenzug an, dem Wikileaks-Chef die Unterstützung zu entziehen. Ende desselben Jahres erhält Assange zwar die ecuadorianische Staatsbürgerschaft. Aber auch das soll dazu führen, dass er die Botschaft verlässt. Quito will ihm per Diplomatenstatus Immunität verschaffen, damit er nicht ausgeliefert werden kann. London lehnt ab.
Im Juni 2018 ist US-Vizepräsident Mike Pence auf Lateinamerikareise und trifft auch Moreno in Quito. Die beiden reden über ihre verbesserten Beziehungen und laut einem Sprecher des Weißen Hauses auch über Assange. Sie vereinbaren, in dem Fall "eng zusammenzuarbeiten". Mehrere US-Senatoren hatten Pence um Initiative gebeten. Assange zufolge wurde bei dem Treffen seine Übergabe vereinbart.
Plötzlich Verschwörer
Im Februar 2019 werden schwere Korruptionsvorwürfe gegen Moreno publik. Unbekannte veröffentlichen die sogenannten Ina-Papers auf einer eigenen Website. Sie enthalten der Seite zufolge Informationen über ein Firmengeflecht und Offshore-Konten, mit denen Moreno und seine Familie Geld gewaschen haben sollen. Der Präsident habe unter anderem Steuern hinterzogen und Bestechungsgelder eingesammelt.
Am 25. März twittert Wikileaks etwas zu dem Fall - verbunden mit dem Vorwurf, Ecuador habe versucht, Assange gegen Krediterlasse an die USA zu "verkaufen". Moreno sieht darin offenbar eine mögliche Rechtfertigung, Assange endlich loszuwerden. Am 28. März sagt Ecuadors Kommunikationsminister, die Ina-Papers sollten den Präsidenten zu Fall bringen. Einer entsprechenden Verschwörung gegen Moreno beschuldigt er Assange, Correa sowie Venezuelas Präsidenten Nicolás Maduro.
Wikileaks und Assange bestreiten jegliche Beteiligung an den Veröffentlichungen. Am selben Tag empfiehlt das Parlament dem Außenministerium per Resolution (pdf), Assanges Asyl zu überprüfen. Außenminister Valencia sagt, Assange und seine Website hätte Morenos vertrauliche Kommunikation abgefangen. "Er beißt die Hand, die ihn füttert."
Die scheidende ecuadorianische Generalstaatsanwältin eröffnet am Tag ihrer Ablösung durch eine als regierungstreu geltende Nachfolgerin ein vorläufiges Ermittlungsverfahren gegen Moreno. Am 2. April kündigt der Präsident an, schnell eine Entscheidung im Fall Assange herbeiführen zu wollen. Am 4. April twittert Wikileaks, es habe erfahren, dass Ecuador ihn bald herauswerfen wolle und sich mit den Briten über eine Vorgehensweise einig sei. Eine Woche später veröffentlicht Moreno seine Erklärung per Video. Das Asyl wird entzogen, die ecuadorianische Staatsbürgerschaft wegen "Verfahrensunregelmäßigkeiten" widerrufen. Es folgt die Festnahme im Botschaftsgebäude. (Die Katze des Wikileaks-Chefs musste laut "Guardian" schon früher ausziehen, weil Assange nicht für ihre Versorgung bezahlen wollte.) Großbritanniens Außenminister Jeremy Hunt dankt per Twitter namentlich Moreno für dessen Zusammenarbeit mit dem britischen Außenministerium, damit Assange vor Gericht gestellt wird.
Was vor der Festnahme Assanges wie und wann abgesprochen wurde, ist kaum zu beweisen. Allerdings gibt es Unstimmigkeiten, die auffallen. Darunter ist auch, dass Premierministerin Theresa May in London sagte, Assange sei von der britischen Polizei wegen eines Auslieferungsantrages der USA festgenommen worden. Ecuadors Außenminister Valencia versicherte dagegen, zum Zeitpunkt, als sein Land das Asyl zurückzog, habe es keinen Auslieferungsantrag gegeben. Der war nach der Festnahme aber in Windeseile aufgetaucht. Die Anklage enthält den Vorwurf der Verschwörung, um in ein staatliches Computersystem der USA einzudringen. Das bezieht sich auf seine Zusammenarbeit mit der Whistleblowerin Chelsea Manning, die 2010 Dokumente an Wikileaks weitergegeben hatte, mit denen Menschenrechtsverletzungen der US-Armee im Irak und in Afghanistan enthüllt wurden. Der Vorwurf der Spionage, auf den die Todesstrafe steht, wird in der Anklage nicht erhoben.
Moreno sagt in seinem Video, es gebe eine schriftliche Zusicherung der britischen Regierung, dass der Wikileaks-Chef nicht in ein Land ausgeliefert werde, wo ihm Folter und Todesstrafe drohen könnten. Im Auslieferungsersuchen des US-Justizministeriums steht denn auch, dass auf die ihm vorgeworfenen Vergehen höchstens fünf Jahre Haft stünden. Offen ist allerdings, ob Assanges Rolle im US-Präsidentschaftswahlkampf noch wichtig wird. Bereits seit März ist Chelsea Manning, die im Mai 2017 aus der Haft entlassen worden war, wieder im Gefängnis. Der Grund: Sie hatte sich geweigert, im Rahmen von Ermittlungen gegen Assange auszusagen. Laut Sonderermittler Robert Mueller waren die von Wikileaks veröffentlichten E-Mails der Demokratischen Partei von russischen Hackern erbeutet worden. Weitere Anklagen gegen Assange sind damit möglich.
Quelle: ntv.de