Politik

Fakten zum Flüchtlingspakt Das bedeutet der Deal mit der Türkei

Griechenland braucht Hilfe, soviel ist sicher. Um die Rückführung von illegalen Migranten zu organisieren, braucht es Personal.

Griechenland braucht Hilfe, soviel ist sicher. Um die Rückführung von illegalen Migranten zu organisieren, braucht es Personal.

(Foto: imago/ZUMA Press)

Die EU einigt sich mit der Türkei auf ein komplexes Abkommen. Es soll das große Chaos in der Flüchtlingspolitik ordnen - und dabei auch noch rechtlich unanfechtbar und moralisch vertretbar sein.

Was ist der Kern des Deals?

Ziel der Vereinbarung ist es, Schleppern das Geschäft zu zerstören und so die illegale Migration nach Europa zu bremsen. Ankara erklärt sich bereit, alle illegalen Einwanderer, die von der Türkei aus nach Griechenland kommen, zurückzunehmen. Auch alle Flüchtlinge. Stichtag ist der 20. März. Schon vom 4. April an sollen die Rückführungen beginnen.

Funktioniert der Plan, könnte es ruhig werden zwischen der Türkei und den griechischen Inseln.

Funktioniert der Plan, könnte es ruhig werden zwischen der Türkei und den griechischen Inseln.

(Foto: imago/ZUMA Press)

Für Menschen aus Syrien gilt eine Sonderregel. Nimmt die Türkei einen Flüchtling aus dem Bürgerkriegsland zurück, muss die EU im Gegenzug einen Flüchtling aus den Camps in der Türkei auf legalem Wege nach Europa holen. Vorrang haben dabei Flüchtlinge, die sich nicht an Schlepper gewandt haben und nicht den verbotenen Versuch einer Mittelmeerquerung unternommen haben. Das soll Flüchtlingen den Anreiz nehmen, die gefährliche Fahrt auf sich zu nehmen und den Schleppern die Kundschaft entziehen.

Kommt die illegale Migration so zum Erliegen, richtet die EU auf freiwilliger Basis zusätzliche Kontingente für Flüchtlinge ein, die sich in der Türkei befinden.

Was hat die Türkei davon?

Die EU verspricht der Türkei bis Ende Juni die Öffnung eines weiteren Kapitels (33, Budget) im Beitrittsprozess. Über die Öffnung von noch mehr Kapitel soll gesprochen werden. Ankara hatte ursprünglich die Öffnung von insgesamt fünf Kapiteln gefordert. Ebenfalls von Juni an sollen türkische Staatsbürger visafrei durch Europa reisen können - wenn Ankara alle rechtlichen Voraussetzungen dafür erfüllt. Um die Anforderungen für die Visa-Liberalisierung zu erfüllen, muss die Türkei insgesamt 72 Kriterien genügen. Ankara will laut Bundeskanzlerin Angela Merkel bis Ende April nachlegen.

Hinzu kommt Geld: Erstens zahlt die EU für die Rückführung der Flüchtlinge an die Türkei. Zweitens stellt sie dem Land darüber hinaus nun insgesamt sechs Milliarden Euro bis 2018 zur Verfügung, um Flüchtlinge im eigenen Land zu versorgen. Das Geld soll zudem schnell fließen. Von den drei Milliarden Euro, die der Türkei bereits in einer früheren Absprache zugesagt worden sind, sind bisher kaum 100 Millionen Euro in Flüchtlingsprojekte (Humanitäre Hilfe und Schulbildung für Flüchtlingskinder) geflossen.

Entscheidend für die Türkei dürfte zudem die diplomatische Aufwertung des zuletzt doch sehr heftig kritisierten Staates unter Führung von Präsident Recep Tayyip Erdoğans sein.

Wie viele Flüchtlinge aus der Türkei wird Europa noch aufnehmen müssen?

Das hängt davon ab, ob der Deal Flüchtlinge wirklich von der illegalen Überfahrt abhält. In der Bundesregierung geht man davon aus, dass es sich höchstens um 18.000 Flüchtlinge handeln wird. Und die wären nicht einmal ein echtes Plus. Die EU will sie mit Kontingenten eines Resettlement-Programms verrechnen, dass sie im vergangenen Jahr aufgelegt hat. Von den 22.000 Plätzen sind bisher erst 4000 vergeben.

Sollte das nicht reichen, soll es den Mitgliedstaaten auch möglich sein, die Flüchtlinge aus der Türkei auf die Kontingente des sogenannten Relocation-Plans der EU anzurechnen. Ebenfalls im vergangenen Jahr beschloss die EU, 160.000 Flüchtlinge aus Griechenland und Italien auf andere EU-Staaten zu verteilen. Eigentlich sollten auch Ungarn 54.000 Flüchtlinge abgenommen werden. Da sich das Land grundsätzlich gegen die Verteilung von Flüchtlingen stellte, stehen diese Plätze theoretisch noch zur Verfügung.

Sollte auch das nicht reichen, wird die EU ihren Deal mit Ankara einfrieren und auf den Prüfstand stellen.

Ist der Deal rechtmäßig?

Das ist eine entscheidende und heftig umstrittene Frage. Die Vereinten Nationen und etliche Menschenrechtsorganisationen haben Zweifel daran geäußert. Aus mehreren Gründen: Internationales Recht verbietet das sogenannte Refoulment - die Abweisung von Flüchtlingen ohne ein Asylverfahren. In Länder, die diese Praxis betreiben, darf auch nicht abgeschoben werden. Zudem gilt: Auch nach einem Asylverfahren darf die EU nur in sogenannte sichere Drittstaaten abschieben. Bei der Türkei ist strittig, ob sie die Voraussetzungen dafür erfüllt, weil sie die Genfer Flüchtlingskonvention nur mit Einschränkungen erfüllt. Sie gilt nur für Flüchtlinge aus Europa. Außerdem gibt es Berichte über illegale Zurückschiebungen von Flüchtlingen auch in Staaten wie Syrien und den Irak.

Die EU wiederum pocht darauf, dass jeder Flüchtling vor der Rückführung in die Türkei ein individuelles Asylverfahren mit entsprechenden Revisionsmöglichkeiten bekommt. Kanzlerin Merkel verwies zudem darauf, dass die Türkei im Zuge der Visa-Liberalisierung ohnehin gezwungen sein wird, etliche Maßnahmen zu erfüllen, die dem Schutz der Flüchtlinge im Land dienen.

Im Abschlussdokument heißt es überdies, dass die Türkei "alle Flüchtlinge" gemäß der "relevanten" internationalen Standards schützen muss und sie nicht in gefährliche Herkunftsregionen abschieben darf. Darin besteht allerdings auch schon eine gewisse Aufweichung. In einer früheren Fassung war noch von einer "Verpflichtung, die internationalen Standards einzuhalten", die Rede.

Was passiert, wenn Gerichte den Deal kassieren?

Es ist möglich, dass Betroffene, also Flüchtlinge, die in die Türkei abgeschoben wurden, dagegen klagen. Laut Hendrik Cremer vom Deutschen Institut für Menschenrechte wären dann nicht nur Schadenersatzzahlungen fällig. Möglich wäre auch, dass diese Menschen einen Anspruch auf Asyl in der EU bekommen würden. Bis eine Klage zu einem Urteil führt, dürften allerdings Jahre vergehen. Deswegen gibt es laut Cremer auch die Möglichkeit, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte Abschiebungen in einem Eilverfahren stoppt,  um die "unmittelbare Gefahr eines nicht wieder gutzumachenden Schadens" abzuwenden.

Lässt sich der Plan überhaupt umsetzen?

In Kreisen der Bundesregierung und unter EU-Diplomaten war vor dem Abschluss des Deals die Rede von einer "gewaltigen" Herausforderung. Um den rechtlichen Maßstäben formal zu genügen, ist ein komplexes Verfahren notwendig. Bevor ein Flüchtling zurück in die Türkei geschickt werden kann, muss er ein individuelles Asylverfahren durchlaufen und daraufhin auch die Möglichkeit der Revision erhalten. Dafür braucht Griechenland extrem schnell Beamte, die diese Prüfungen durchführen können. Die geplanten Hotspots müssen schnell ausgebaut werden. Außerdem muss Athen die Transportmöglichkeiten für die Rückführungen schaffen. Ohne Hilfe der anderen EU-Staaten wird das angeschlagene Land, in dem sich derzeit ohnehin schon 46.000 Flüchtlinge stauen, kaum schaffen.

Ist die Flüchtlingskrise beendet, wenn der Plan funktioniert?

Die Vergangenheit hat gezeigt: Fluchtrouten können sich schnell ändern. Noch vor einem Jahr stand die zentrale Mittelmeerroute im Fokus. Zuletzt spielte sie wegen der Konjunktur der Balkan-Route kaum noch eine Rolle. Mittlerweile ist wiederum die Balkan-Route praktisch zu. Die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini sagte deshalb kürzlich, dass es auch mit anderen Herkunfts- und Transitländern Verhandlungen geben müsse. Die dürften mit extrem fragilen Staaten wie Libyen schwer werden. Kanzlerin Merkel sagte kurz nach dem Abschluss mit der Türkei, dass mit dem Plan für die Ägäis-Route die Flüchtlingskrise insgesamt sicher noch nicht gelöst sei.

Quelle: ntv.de

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