Politik

Gröhe unter Druck Das bringt die Sterbehilfe-Debatte

Gesundheitsminister Gröhe (M.) will Sterbenden noch besser Hilfe leisten. Grüne und Linke ergänzen: Auch die Pflege von Alten und Kranken muss dringend verbessert werden.

Gesundheitsminister Gröhe (M.) will Sterbenden noch besser Hilfe leisten. Grüne und Linke ergänzen: Auch die Pflege von Alten und Kranken muss dringend verbessert werden.

(Foto: dpa)

Der Bundestag diskutiert über würdevolles Sterben. Sehr viel wichtiger ist jedoch ein anderes Thema: würdevolles Leben, nicht nur für Sterbende, auch für Alte und Kranke.

"Alle machen sich massiv Sorgen: Werde ich in Würde und selbstbestimmt sterben können?" Für die Grünen-Politikerin Renate Künast war das der Ausgangspunkt in der Sterbehilfe-Debatte des Bundestags. Sie zieht den Schluss: Beihilfe zum Suizid sollte straffrei bleiben, auch für Sterbehilfevereine.

Die Mehrheit der Deutschen gibt Künast recht: 77 Prozent sagen, Ärzten sollte es erlaubt sein, schwerstkranken Patienten Sterbehilfe zu leisten. Genauso viele sind gegen ein Verbot von Sterbehilfeorganisationen. Aber machen sich wirklich alle Sorgen darüber, ob sie "selbstbestimmt sterben" können?

Auf den ersten Blick scheint eine Umfrage vom September dies nahezulegen. Die Deutschen fürchten sich vor allem vor steigenden Lebenshaltungskosten und vor Naturkatastrophen. Bereits auf Platz drei folgt die Angst davor, im Alter zum Pflegefall zu werden; die Angst vor einer schweren Erkrankung steht auf Platz fünf. Diese Ängste jedoch kann man den Menschen nicht nehmen, indem man ihnen Sterbehilfe in Aussicht stellt.

Das weiß natürlich auch Künast - wie fast alle Redner forderte sie eine Ausweitung der palliativen Versorgung in Deutschland, also der Pflege von Sterbenden. Der Linken-Abgeordnete Harald Weinberg rechnete vor, dass im vergangenen Jahr, rein statistisch betrachtet, 522.000 Menschen in Deutschland eine palliativmedizinische Versorgung benötigten. Tatsächlich bekommen hätten, bei großzügiger Berechnung, nur 100.000 Sterbende eine solche Versorgung.

Angst vor dem Pflegenotstand

Politiker von Union und SPD versicherten glaubwürdig, dass sie diese Situation ändern wollen. Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) kündigte an, er werde die Palliativ- und Hospizversorgung flächendeckend gewährleisten. Aber die Umfrage zu den Ängsten der Deutschen zeigt, dass es auch mit einer flächendeckenden Palliativmedizin nicht getan ist. Angst haben die Menschen offenbar nicht vor Schmerzen beim Sterben, sondern davor, den Pflegenotstand am eigenen Leib zu erleben.

Pflege ist teuer und als politisches Thema damit nicht populär. Dabei ist kaum etwas wichtiger: 1,1 Millionen Pflegebedürftige soll es bis 2030 in Deutschland geben. Die vor ein paar Tagen vom Bundesrat gebilligte Mini-Reform wird dieses Problem nicht lösen, aber immerhin: In einem Jahr hat Gröhe mehr erreicht, als seine Amtsvorgänger in einer ganzen Legislaturperiode.

In der Sterbehilfe-Debatte sprach Gröhe sich für eine restriktive Regelung aus. Hilfsbedürftig zu sein, habe nichts Entwürdigendes, sagte er, "und deshalb müssen wir jeder Debatte, 'ich möchte anderen nicht zur Last fallen', entschieden entgegentreten". Befürworter eines ärztlich assistierten Suizids würden mit besonders dramatischen Einzelfällen argumentieren, sagte Gröhe. Das müsse Ansporn sein, noch besser Hilfe zu leisten. Er hat vollkommen Recht. Nur reicht das nicht.

Die Grünen-Abgeordnete Elisabeth Scharfenberg forderte, der Bundestag solle einmal so intensiv über das Thema Pflege diskutieren wie über die Sterbehilfe. Der Linken-Politiker Matthias Birkwald sprach von der alarmierenden Situation in der Altenpflege und verwies darauf, dass beim Bundesverfassungsgericht eine Klage gegen den Pflegenotstand anhängig ist. Sie spannten den Bogen von der Suizidbeihilfe nicht nur zur Palliativmedizin, sondern zu einer Altenpflege, für die Abgeordnete und Angehörige sich nicht schämen müssen.

Die Sterbehilfe-Debatte im Bundestag, die Gröhe allem Anschein nach durchgehend sehr aufmerksam verfolgte, war niveauvoll und wichtig. Im kommenden Jahr soll der Bundestag entscheiden, ob Sterbehilfeorganisationen in Deutschland verboten werden und ob die bislang schon nicht strafbare Suizidbeihilfe durch Ärzte ausdrücklich erlaubt wird. Weitaus wichtiger ist jedoch eine andere Frage: Wie kann Deutschland sicherstellen, dass niemand, der zum Pflegefall geworden ist, in seinem Dreck liegen muss?

Quelle: ntv.de

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